Adam, der Wundergeiger

Adam Bałdych gilt als „Wunderkind an der Violine“. Als „der größte lebende Geigentechniker der Welt“ (FAZ). Der polnische Jazzgeiger entlockt seiner „geliebten Braut“ sehnsuchtsvoll-ungewohnte, verzaubernde Töne. Er balanciert, zupft, zwickt, streicht und stürmt über die vier Saiten seiner Geige wie ein Seiltänzer ohne Netz und doppelten Boden. Der 38-jährige mit dem Hipster-Zopf hat sich in die erste Liga der Solisten gespielt. Stets auf der Suche nach einem neuen Mix aus Jazz-, Folk-, und Klassik. Von zart bis rau, von melancholisch-verträumt bis teuflisch-wild. Ausgebildet im polnischen Katowice und am Berklee College in den USA legt der vielfach ausgezeichnete Warschauer mit Portraits ein neues, sehr persönliches Album vor. Bałdych interpretiert in fünfzehn Liedern Zeitzeugenberichte des II. Weltkrieges – aus seiner Heimat Polen.

 

 

„Mit neun Jahren entschloss ich mich, eine Musikschule zu besuchen“, erzählt Bałdych: „Polen hat große Musiktradition, speziell beim Klavier.“ Zur Violine greift Bałdych mit elf. Seine Vorbilder: „Ich war sehr von den berühmten osteuropäischen Komponisten beeinflusst: Rachmaninoff, Chopin und Tschaikowski.“ Mit dreizehn entscheidet sich Adam für den Jazz: „Er gab mir die Freiheit, die ich suchte.“ Besonders gerne geht Bałdych mit dem norwegischen Pianisten Helge Lien, „dem Meister der nordischen Kammermusik“, auf musikalische Reisen.

Bałdychs Album „Portraits“ greift Schicksale aus dem II. Weltkrieg auf. Der Künstler entdeckte sie in zahlreichen Archiven, mitbeteiligt das Berliner Pilecki-Institut. In der polnischen Erinnerungskultur nehmen der Überfall Hitlers auf Polen am 1. September 1939 und besonders der blutige Warschauer Aufstand einen wichtigen Platz ein. Der verzweifelte Kampf des polnischen Widerstands gegen die NS-Besatzer von August bis Oktober 1944 steht für Mut und Hoffnung, Tragik und Trauma. Das Scheitern des Aufstands wirkt bis heute nach. Die Lernkurve bedeutet schlicht und einfach: Freiheit gibt es nicht umsonst.

Wiegenlied.

 

Wer die Vergangenheit kennt, versteht die Gegenwart besser. Dieses Motto treibt den Ausnahme-Geiger um. Bałdych beschäftigt sich mit der „Musik in Auschwitz“. Ein Standardwerk des Komponisten Szymon Laks aus dem Jahre 1967. Dessen Buch erzählt in erschütternden Briefen, Fotos und Dokumenten von der überlebenswichtigen Funktion der Musik im Alltag von Auschwitz-Birkenau. Bałdych: „Das Thema fühlt sich für mich sehr wichtig an, im Angesicht der wachsenden Konflikte in Europa und in der Welt. Ich habe Zeitzeugenberichte gelesen und ich wollte mich gegen das stellen, was Tausende heute wieder erleiden müssen. Ein Aufruf zum Frieden in der Welt. Es sind sehr emotionale Stücke entstanden, die versuchen, Menschen und Lebensbedingungen und die Zeit, in der wir leben, zu porträtieren“.

Adam Bałdych testet in seinen Episoden wie „Wiegenlied“ die Schnittstellen zwischen Jazz und klassischer Musik aus. Er mischt in seine fünfzehn eindrucksvollen „Portraits“ traditionelle polnische und jüdische Musik-Zitate. Weltmusik im besten Sinne, in dunklen, stürmischen Zeiten.

 

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