„Und wenn sie verbrennen…“
„Rechts oder Links?“ Wohin geht die Reise in Deutschland? Der Zeitgeist wähnt sich in einer gefühlten „Depression“. Die Trumps und Putins dominieren die Welt. Die Demokratie in den Farben des Nachwende-Deutschlands schwächelt, heißt es, die Eliten seien am Ende. National oder sozial, sind die einzigen starken Kraftfelder, und die politische Mitte sei erschöpft: „Das System mag in sich vernünftig sein, gut, aber wir wollen es nicht mehr. Dagegen ist kein Argument gewachsen.“ Dieser Satz ist fast hundert Jahre alt. Er stammt aus dem Oktober 1931, als die Weimarer Republik Richtung Abgrund rollt. Damals herrschte pure Endzeitstimmung. Beim Tanz auf dem Vulkan half auch die kulturelle Blütezeit nicht, mit Marlene Dietrich und vielen anderen herausragenden Künstlern wie Bert Brecht, Mascha Kaléko oder Kurt Tucholsky.
Der 32-jährige Hans Zehrer veröffentlicht seinen Text über das Ende der Demokratie in der „Tat“, eine „Monatszeitschrift zur Gestaltung neuer Wirklichkeit“. Seine 45 Seiten zum Thema: „Rechts oder Links?“ sind von hoher Aktualität. Der junge Autor fordert einen Neuanfang, eine „Dritte Gemeinschaft“. Jenseits von Faschismus und Kommunismus. Gedanklich ist der Weg zum Dritten Reich atemberaubend kurz. Diesen Begriff propagiert der „konservative Revolutionär“ Arthur Moeller van den Bruck 1923. Die Nazis kapieren den Begriff vom „Dritten Reich“ erfolgreich. Perfektes Wording würde man heute sagen.
Der Text in der „Tat“ analysiert: Das Land stehe vor dem „Selbstmord des Kapitalismus“. Die Menschen hätten die liberale Demokratie satt. Zehrer verleiht dem „Aufruhr der Mittelschichten“ Richtung und Stimme. „Die eigentliche Aufgabe“ sei nun die Führung zu übernehmen, in einem Deutschland, das vermeintlich nichts mehr zu verlieren habe außer seinen Ketten. Nur so sei Rettung und „Gestaltung neuer Wirklichkeit“ möglich – jenseits von Hickhack, Tagespolitik und Parteienkonkurrenz.
Ist die Lage Anfang 2025 tatsächlich so dramatisch wie Ende 1931? Nein, betont der Historiker Jens Bisky in seinem hochaktuellen Buch „Die Entscheidung“. Die Lage sei heute anders. Die Bundesrepublik kenne keine Massenarmut, keine Massen-Verelendung und nicht Millionen Menschen, die hungern. Es existiere keine „Dolchstoßlegende“ der Rechten nach dem verlorenen I. Weltkrieg. Trotz aller Haushaltslöcher sei die heutige Berliner Republik zahlungsfähig, und nicht bankrott wie damals in der Weimarer Republik. Zudem sei die Bundesrepublik in der EU integriert, es gebe keine unzufriedenen Militärs, die das System lieber heute als morgen abschaffen wollten. Bisky plädiert, einen kühlen Kopf zu bewahren und vor allem aus der Geschichte zu lernen.
Je länger man sich in Biskys Panorama-Werk vertieft, desto mehr Parallelen drängen sich auf. 1930 implodierte nach zwei Jahren Dauerstreit eine Mehrparteienkoalition unter Führung der SPD. Danach folgte ein rigider Sparkurs der Regierung Brüning, der die Radikalisierung politischer Ränder geradezu befeuerte.
Und 2025? Die gescheiterte Ampel hinterlässt ein Land ohne gültigen Haushaltsplan. Der Milliarden-Investitionsstau schwächt alle Bereiche der Daseinsfürsorge. Vom Personalmangel in Kitas, Schulen und Verwaltung über einstürzende Brücken und einen öffentlichen Nahverkehr, auf den kein Verlass mehr ist, bis zum täglichen Kampf um Arzttermine, um eine Wohnung oder einen Platz in überteuerten Pflegeheimen.
Auch heute heißt es wieder: Die liberale Demokratie ist in der Krise. Und damals? Da rief die Monatszeitschrift „Tat“ mit Sitz in der Budapester Straße 1 dazu auf, „mit der Zeit zu gehen“. Die Demokratie habe versagt. Die neue Zeit jedoch führte keine vierzehn Monate später schnurstracks zu Hitler.
Sehr empfehlenswert. Jens Bisky. Die Entscheidung. Deutschland 1929 bis 1934.