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Im Auge der Aufklärung

Was sehen wir? Was erleben wir gerade? Eine aufgeklärte, vernunftbetonte Epoche? Oder überrollt uns in diesen Zeiten die Gegenaufklärung? Mit Desinformation, Manipulation und KI-gesteuerten Deep Fakes? Wer nach Antworten sucht, bleibt mit seinen Fragen oft allein. Es geht um das Menschheitsprojekt Aufklärung. Was hat sich seit den Zeiten von Immanuel Kant verbessert? Der Mann mit der Denkerstirn quält uns seit fast zweihundertfünfzig Jahren mit seinem einfachen Credo: „Aufklärung ist der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Der Kern seiner „Kritik der reinen Vernunft“ bedeutet: „Sapere aude. Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“

 

Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft. 1781. Sein Versuch, die innere und äußere Welt zusammenzudenken.

 

Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert. Eine neue, ambitionierte Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin will Anfänge und Geschichte der Aufklärung erzählen. 387 Objekte sind zu sehen. Vom künstlichen Auge bis zur Erklärung der Menschenrechte. Das Versprechen von damals: Mehr Wissen, mehr Vernunft, mehr Teilhabe. Was bedeutet diese Menschheitsidee heute – im Zeitalter von Google, TikTok und Künstlicher Intelligenz? Viel, betont Raphael Gross, Hausherr des DHM: „Statt mächtigen Emotionen zu folgen, müssen wir Unterscheidungen treffen – nach Gründen für ein Geschehen fragen. Etwa für das Anwachsen von Rassismus. Etwa für die massiv gestiegene Anzahl antisemitischer Straftaten. Etwa für die rapide Schwächung demokratischer Parteien.“

 

„Zwischen Wissenschaft und Ehe“. Aufklärung im 18. Jahrhundert war eine reine Männerdomäne. Das Gemälde von Georg Melchior Kraus (ca. 1770/1776) zeigt ein streitendes Ehepaar. Er verweigert ihr den Zugang zu Wissen und Büchern.

 

Aufklärung bedeute nicht, dass alle einer Meinung sein müssen, sagen die Ausstellungsmacher. Nur: ein gemeinsames Gespräch über unterschiedliche Meinungen ist Grundvoraussetzung, sonst geht nichts. Bleibt die Aufklärung, als erklärte Herrschaft der Vernunft, ein frommer Wunsch? Liliane Weissberg, Kuratorin aus Pennsylvania, lächelt. Sie weiß, wie paradox Aufklärung sein kann. „Nehmen wir Thomas Jefferson, der die Menschenrechte erklärt hat. Was viele nicht wissen: Er hatte Sklaven.“ Viele. Im Laufe seines Lebens bis zu 600. So findet sich im Historischen Museum neben der berühmten Erklärung der Menschenrechte des US-Gründervaters eine genaue Auflistung seiner Sklaven. – Alle sind frei? Alle sind gleich? – Von wegen. Ein genauer Blick enthüllt die Realität. Ein Highlight der Ausstellung, ganz im Geiste der Aufklärung.

 

Eine der Sklaven-Listen von Thomas Jeffersons (1743-1826). Einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten deklarierte die Ideen der Aufklärung, wonach „alle Menschen von Natur aus frei, gleich und mit denselben angeborenen Rechten ausgestattet sind“.

 

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Sind solche Ideen mittlerweile museumsreif? Die fünfzehnjährige Romy meint: „Aufklärung hat auf jeden Fall etwas gebracht. Die Welt ist größer geworden. Man konzentriert sich nicht nur auf das eigene Land. Sonst würden wir wahrscheinlich noch im Mittelalter sein.“ Gibt es Fortschritte? Moritz, 23, überlegt: „Ich würde nicht sagen, wir leben in einer aufgeklärten Welt, dann würde die Welt ja funktionieren. Aber wir haben Fortschritte erzielt. Vor allem durch soziale Medien können schnell Wissen und Meinungen verbreitet werden. Da hat jeder die Möglichkeit gehört zu werden, vorausgesetzt man hat Zugang zu den Medien.“ Romy und Moritz gehören zu einem jungen Team, das mit dem Projekt Aufklärung Now für frischen Wind in der Ausstellung sorgen soll.

 

Romy und Moritz sind am Projekt Aufklärung Now beteiligt. In Workshops sammelten sie Fragen und Ideen zur Aufklärung.

 

Was bleibt? Aufklärung wirkt nur, wenn deren Ideen weitergetragen werden. Kurzum: Sei mutig. Wage Deinen Verstand zu benutzen.

 

Was ist Aufklärung? Deutsches Historisches Museum Berlin. Bis 6. April 2025.

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Zeit für Kultur?

Es ist gerade einmal zwei Jahre her: Da erhielt Kulturzeit den Deutschen Fernsehpreis. Das Kulturmagazin auf 3Sat wurde in der Kategorie „beste Information“ ausgezeichnet. Auswahl, Themen und Vielfalt überzeugten die Jury. Eine große Freude für das kleine Kulturmagazin. Täglich erreicht das Redaktionsteam mit Sitz in Mainz mehrere Hunderttausend Zuschauer. Zu sehen sind Trends und Tipps genau wie Innovatives, Überraschendes und Kontroverses aus Gesellschaft, Kunst und Kultur. Der Anspruch der Macher ist groß, der Etat bescheiden.

 

Deutscher Fernsehpreis 2022 für „Kulturzeit“. Die Moderatorinnen Lillian Moschen, Cécile Schortmann und Vivian Perkovic. Quelle: 3Sat

 

Die Fakten: Kulturzeit sendet seit 1995 im Rahmen des Kultur- und Wissenschaftskanals 3Sat, dessen Marktanteil insgesamt bei 1,6% im letzten Jahr lag. Für das Dreiländerprogramm (Deutschland, Schweiz, Österreich) stehen 92 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Diese Summe reicht übrigens heutzutage nicht einmal mehr für die Übertragungsrechte eines einzigen Champions-League-Finales. Exakt zwei Cent pro Gebührenzahler gehen jeden Monat an 3Sat. Die Rundfunkgebühren liegen derzeit bei insgesamt 18,36,- Euro/Monat. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten muss gespart werden, das liegt auf der Hand. Weniger Sender und Programme ist das Ziel der Politik. Nach dem Reformpaket der Ministerpräsidenten der Bundesländer soll 3Sat abgeschafft werden. Teile könnten mit dem Kulturkanal ARTE fusionieren. Zudem sollen weitere TV-Spartenkanäle und 16 Radiowellen eingestellt werden.

„3Sat steht seit vierzig Jahren für anspruchsvollen Journalismus. Kunst, Kultur und Wissenschaften haben hier ihre Heimat“, heißt es in einer Petition zum Erhalt des Senders. Binnen weniger Tage haben mehr als 130.000 Menschen die Protest-Resolution unterzeichnet. Zudem gingen rund 15.000 schriftliche Stellungnahmen und Kommentare bei der Rundfunkkommission ein. Die Zeit drängt. Bereits Ende Oktober 2024 wollen die sechzehn Bundesländer das Sparpaket verabschieden und im kommenden Jahr umsetzen. Während der Deutsche Kulturrat „katastrophale Auswirkungen auf das Kulturleben“ befürchtet und sich Elke Heidenreich über „diese Idioten beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ empört, heißt es im Reformpapier: Das Angebot solle im Kern qualitativ gestärkt, die Menge quantitativ begrenzt werden. Kritiker wie Medienjournalist Stefan Niggemeier betonen zudem, 3sat sei eine „Abspielfläche für Wiederholungen“, ein Programm für „alte Naturdokus ohne Ende“. Hinzu kämen viele Zweitausstrahlungen – dazu genüge eine Mediathek.

 

Wer schaut noch 3Sat oder Arte? Zusammenlegung als Zukunft? Oder Streaming? Plakat gesehen in Berlin-Lichtenrade.

 

Weniger ist mehr? Das ist möglich. Aber mit Kulturzeit die einzige tägliche Kultursendung im deutschen Fernsehen abzuschaffen, erscheint absurd. Ist es schon zu spät? Keineswegs. Kultur kann kreative Kräfte freisetzen. Wo bleibt also das Positive in der aufgeregten Debatte? Dazu vier Zeilen von Erich Kästner.

„Vergesst in keinem Falle,

auch dann nicht, wenn vieles mißlingt:

Die Gescheiten werden nicht alle!

(So unwahrscheinlich alles klingt.)“

 

Transparenzhinweis: der Autor dieser Zeilen hat lange und gerne für Kulturzeit gearbeitet. Er hofft, dass diese kleine Perle des deutschen Fernsehens weiter glänzen kann.

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Darf ich bitten?

Seine Figuren sind üppig, voller Hingabe und stehen auf wunderbare Weise mitten im Leben. Es macht Freude, ihnen beim Sonntagstanz zuzuschauen. Wie sich die Paare festhalten, drehen und im Rhythmus der Melodien wiegen. Wie ihre Gedanken in die Ferne schweifen oder für Momente in bessere Welten verlieren. Der polnische Maler Andrzej Umiastowski hat ein Händchen für Stärken und Schwächen seiner Mitmenschen. Selbst dann, wenn sie beim eher stillen Schach am Ende matt sind, verbreiten sie beim Betrachtenden ein ganz bestimmtes Gefühl: Genauso ist es. Man kommt seinen Porträtierten nahe, ohne zum Voyeur zu werden. Trotz ihrer manchmal mächtigen Leibesfülle werden die Zeitgenossen weder vorgeführt noch zur Schau gestellt. Viele seiner Bilder spiegeln die kleinen und großen Freuden der einfachen Leute – mit einem Augenzwinkern im typischen Umiastowski-Stil.

 

Schachmatt 2024.

 

Nun feiert der gebürtige Sopoter sein vierzigjähriges Künstlerjubiläum. Sopot ist ein beliebter, einst mondäner Badeort an der Ostsee dicht bei Danzig. Klaus Kinski ist hier geboren, lange blieb seine Familie jedoch nicht. Heute zieht es viele Urlauber nach Sopot. Umiastowski malt nicht nur seine Heimatstadt, die an Ahlbeck auf Usedom oder Binz auf der Insel Rügen erinnert. Er widmet sich gerne Landschaftsmotiven aus der kaschubischen Umgebung. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen Menschen. In den kommunistischen Kriegsrechtjahren und in der nachfolgenden bleiernen Zeit bis 1989 waren seine Porträts eher abgewandt, grau und dunkel. Die Menschen schnappten nach Luft, wie Fische an Land, sagt der französische Maler und Weggefährte Alain Duronsoy über diese Phase.

Auch heute sind die Zeiten wieder unruhig und voller Spannungen. Polen ist ein zerrissenes Land. Politisch, gesellschaftlich, ökonomisch und sozial. Doch am Ende zählt für den polnischen Maler Andrzej Umiastowski der genaue Blick auf das, was seine Mitmenschen umtreibt. Stets verfeinert mit einer Prise Humor. Das macht seine Bilder so liebenswert.

 

Valentinstag. 2024.

 

 

Seine aktuelle Ausstellung hat den Titel „Obrazy“. Auf Deutsch übersetzt schlicht und einfach: „Bilder“. Bis zum 6. Oktober 2024 in der Panstwowa Galeria Sztuki, Sopot. Wer mehr erfahren will, hier geht es zu Andrzej Umiastowski.

 

 

 

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Petras Traum

Sie war gerade einmal 44 Jahre alt, als sie im Oktober 1992 mit einem Kopfschuss in einem Bonner Reihenhaus aufgefunden wurde. Petra Kelly. Friedenskämpferin. Frauenrechtlerin. Frontfrau im internationalen Kampf für Menschenrechte. Die Kugel stammte aus der Pistole ihres Partners und Beschützers Gerd Bastian. Ein Ex-General, der sich unmittelbar danach selbst das Leben nahm. Das tragische Ende konnte bis heute nicht restlos und zweifelsfrei geklärt werden. Doch auch der neue bewegende Dokumentarfilm „Act Now“ von Doris Metz lässt nur einen Schluss zu. Es war Mord, kein verzweifelter Doppelselbstmord. So hatte Alice Schwarzer bereits 1993 ihre Recherchen im Buch „Eine tödliche Liebe“ auf den Punkt gebracht.

 

 

Das kurze Leben der Petra Kelly. Es war leidenschaftlich, intensiv, kompromisslos und stets am Limit. Bei ihr hätte jeder Tag 48 Stunden haben müssen, so eilte sie in Zeiten des Kalten Krieges von einem Konflikt zum nächsten. Weltweit. Sie unterstützte Indigene in den USA, solidarisierte sich mit Anti-Apartheid-Kämpfern in Südafrika oder Dissidenten in der DDR. Sie wollte Politik komplett neu denken. Kellys Traum: Menschen nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. „Auf der Straße verändert sich mehr als im Parlament. Diese Veränderungen auf der Straße sind wichtiger als die im Parlament“, sagte sie 1985 auf einer Studentenkonferenz in den Räumen der Vereinten Nationen in New York. Kelly, so zeigt der Film, forderte früh die „Verbindung von Feminismus und Gewaltlosigkeit“.

Starke Momente in der Doku von Doris Metz sind Passagen, die Petra Kelly persönlich und nahbar zeigen. Der Einfluss der geliebten Großmutter, die ihr resolut und in weißer Strickjacke im Alltag zur Seite steht. Sie sei von Trümmerfrauen erzogen worden, sagt Kelly. „Meine Omi hat mich eine gehörige Portion Ungehorsam gegen Kirche und Männerbünde gelehrt, weil sie unheimlich aggressiv dagegen aufgetreten ist“.  Mit diesem Selbstbewusstsein stürmte die gebürtige Günzburgerin Männer- und Machtbastionen. Petra Kelly war eine Ausnahmefrau. Eine, die mit jedem Atemzug Veränderung wollte. Und eine, die ihrer Zeit weit voraus war.

 

Premiere von Act Now in Berlin. Regisseurin Doris Metz (rechts im Bild)

 

Als Kelly Mitte der achtziger Jahre für die Grünen im Bundestag saß, lernte ich sie in Bonn persönlich kennen. Sie ging stets einen Schritt weiter als andere. Dadurch eckte sie rasch an. Sie war wie eine Kerze, die an beiden Enden brannte. Sie sprach schnell und doch präzise und inhaltsstark. Eine Welt ohne Waffen sei möglich, betonte sie immer wieder. Die Ausnahmefrau folgte ihren Vorbildern Martin Luther King und Robert Kennedy. Kelly gehörte zum Wahlkampfteam des jüngeren Bruders von US-Präsident John F. Kennedy. Alle drei, die Kennedy-Brüder und der schwarze Pastor, wurden ermordet. Das konnte Petra Kelly, die Pionierin der Friedens-, Frauen- und Menschenrechtsbewegung nicht aufhalten. Der Film „Act Now“ ist verstörend aktuell. Er holt mit der weithin vergessenen Petra Kelly eine Frau aus dem Gestern ins Heute. Ein Film, der nicht nur deshalb sehenswert ist.

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Der Bankier

Das wahre Leben spielt sich auf Bänken ab. So der 35-jährige Schriftsteller Patrick Holzapfel in seinem Debütroman: „Hermelin auf Bänken“. Schauplatz: seine Wahlheimat Wien. Nicht das Touristen-Fiaker-Walzer-Wien im ¾-Takt mit viel Inszenierung, Opernball, Burgtheater, Zentralfriedhof-Melancholie und Wiener Schmäh. Nein. Der gebürtige Augsburger Holzapfel schaut auf die kleinen Bühnen des Lebens. Er konzentriert sich auf Sitzgelegenheiten aller Art zwischen Donau und 9. Bezirk. Sein Ausgangspunkt: Wir haben das Sehen verlernt. Sein „Bank“geheimnis: Hinsetzen, entschleunigen, wahrnehmen. Unablässig steuert sein Held, ein Student alle möglichen Park-, Sitz- und Stadtmöbel der Stadt an. Seine Mutter ist gerade verstorben. Er studiert lieber das Leben als unnützes Wissen im Hörsaal. »Je länger man sitzt, desto mehr erfährt man über die Bank. Und zugleich erfährt man auch etwas über Menschen, die auf Bänken sitzen«.

 

Patrick Holzapfel enthüllt Bank-Geheimnisse. Quelle: open mike

 

Als er zufällig einem wundersamen Sandlerkönig im Hermelinmantel begegnet, ist seine Neugier geweckt. Er sucht nach dem geheimnisvollen Obdachlosen und hofft, ihn auf einer der vielen Parkbänke wiederzutreffen. In dichten, poetischen Szenen beschreibt Holzapfel Zufallsbegegnungen. Stille Beobachtungen abseits vom Getöse der Großstadt. Jenseits von Eile und Hektik der „Geradeausmenschen“, die selbst in der Mittagspause unentwegt ihr Smartphone checken. „Seit ich auf Bänken sitze, fällt mir das allgemeine Treiben, das ziellose Kommen und Gehen der Masse umso stärker auf. Niemand scheint je anzukommen, alle und alles befinden sich auf einer ewigen Durchreise.“

Ganz anders der junge Romanheld auf der Suche nach dem, was die Welt zusammenhält, Er bankiert, so nennt er seine Mission. Manchmal muss er sich Stunden lang in Geduld und Zurückhaltung üben. So trifft er einen Mann mit Mops, der die Zeit totschlägt. Plötzlich sitzt ein Thomas Bernhard auf einer Parkbank, die Wiener Ikone aus dem Burgtheater. Natürlich ist er ein Doppelgänger, der munter schwäbelt. Oder die Bankenbekanntschaft Toni. Der frühere Busfahrer trinkt gerne Stamperl, Wienerisch für Schnaps. Das helfe gegen die Kälte auf der Bank und gegen die der Gesellschaft. Ach ja, Manuela. Eine einsame Sechzigjährige, die täglich zwischen Fast-Food-Ketten und Kinemathek pendelt. Jeden Abend schaut sie sich Filme an. Seit zehn Jahren. Im Kino gebe es keine Vergangenheit, erzählt sie, beständig werde Erinnerung übermalt.

 

Patrick Holzapfel hat ein Händchen für melancholisch-skurrile Momente und Menschen. Wie er ein langjähriges Ehepaar schildert, das sich nichts mehr zu sagen hat, ist echtes Kopf-Kino. Der Mann mit Dreitagebart, glasigem Blick und gebückter Haltung. Sie mit rosa Hamsterbäckchen, großem Mund und schluchzend. „All die Vergeblichkeit! All die mühevollen Jahre der Liebe! Und dann, an deren Ende, sitzt man auf einer Bank.“ Endstation Sehnsucht? Abstellgleis Bank? Da beginnt die Frau ein russisches Lied zu singen. Alles ändert sich. Der Mann tanzt, die Frau singt, bis beide erschöpft auf die Parkbank sinken. Sie prosten sich zu. „Ich stoße heimlich mit ihnen an. Von meiner Bank aus. Auf das Glück“, notiert Bankier Holzapfel.

Die Bank sei ein guter Freund. Sie beschwere sich nie, heißt es bei Patrick Holzapfel. Er widmet seine einfühlsamen Wiener Bankgeschichten dem spanischen Dichter Miguel Hernandez. „Wir haben niemand gesehen, so blind sind wir vor lauter Sehen.“ Machen sie doch mal selbst den definitiven Bank-Test. Es gibt viel zu entdecken. Eine gelungene Anleitung finden Sie bei Patrick Holzapfel. Hermelin auf Bänken.

Zum Schluss ein musikalischer Gruß an die Parkbank.

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Leni forever?

Sie war Hitlers Lieblingsregisseurin. Und seine beste Frau für filmische Propaganda. Leni Riefenstahl. Wie keine andere perfektionierte die ehrgeizige Filmemacherin Ästhetik, Macht und Verführbarkeit des Faschismus. Leni Riefenstahl zählt zu den bekanntesten und umstrittensten Frauen des 20. Jahrhunderts. An diesen großen Mythos hat sich Andres Veiel gewagt. Er nähert sich der Berlinerin aus dem Weddinger Arbeitermilieu, die mit „Triumph des Willens“ und „Olympia“ Bilder schuf, die bis heute wirken. Veiel ist ein beharrlicher Dokumentarfilmer, der sich akribisch mit sperrigen Tabu-Themen auseinandersetzt. Erinnert sei an Der Kick, Black Box BRD oder Beuys.  Auf den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig feiert Veiels neuer Dokumentarfilm „Leni Riefenstahl“ Premiere. Es ist sein Versuch, ihre Magie der (Selbst-)Inszenierung und ihren unbedingten Willen zu Macht und Ruhm zu hinterfragen und zu entzaubern. Ein Tanz auf dem Drahtseil.

 

 

Veiels Produktionsfirma Vincent erklärt in der Ankündigung, dass sich die Reizfigur Riefenstahl mit ihren Bildern aus „Triumph des Willens“ selbst beschreibt: „Ihre strikte Leugnung, die Wechselwirkung ihrer Kunst mit dem Terror des Regimes nach dem Krieg anzuerkennen, ist mehr als nur eine abgewehrte Schuld: In persönlichen Dokumenten trauert sie ihren „gemordeten Idealen“ nach.“ Riefenstahl – eine ungebrochene NS-Narzisstin bis ins Grab?

Veiels Produzentin – die Fernsehjournalistin und Talkmasterin Sandra Maischberger – konnte 2002 die damals fast hundertjährige Riefenstahl kurz vor ihrem Tod interviewen. „Ich hatte das Gefühl nichts zu erfahren. Zwischendurch dachte ich, sie lügt. Nicht, dass sie mich explizit angelogen hätte, eher hatte sie sich vermutlich schon so lange selbst belogen, dass sie nun ihrer eigenen Wahrheit glaubte“, sagt Maischberger in einem Interview der Zeit.

 

Ästhetin, Manipulatorin oder Lügnerin? Andres Veiel nähert sich dem Mythos um die Filmemacherin Leni Riefenstahl. (1902-2003)

 

Maischbergers Begegnung mit Riefenstahl blieb unbefriedigend, quasi unvollendet. „Tante Leni“ sperrte sich, wiederholte beharrlich ihre Version von einer unpolitischen Filmemacherin, die von den NS-Verbrechen erst nach Kriegsende erfahren habe. Seit 2016 unterstützte Maischberger ein Mammutprojekt. Der 700 Kisten-Riefenstahl-Nachlass wurde von einem Team gemeinsam mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz erschlossen. Aus dieser einmaligen Datenfülle – Kalendereinträge, Briefe, Entwürfe, Filmreste, aber auch von Riefenstahl selbst heimlich mitgeschnittene Telefonate – schöpft Andres Veiels Film: „Riefenstahl“.

Wer ist nun Helene Bertha Amalie „Leni“ Riefenstahl? Visionärin, Manipulatorin oder Lügnerin? Wie aktuell ist diese Frau? Für Sandra Maischberger keine Frage: Riefenstahl wäre heute der perfekte Instagram-Star, betont sie. Verführbarkeit sei kein Privileg der Ewiggestrigen, meint Andres Veiel: Warum fallen Menschen immer wieder auf gut gemachte Lügen herein, fragt der Regisseur, „so sehr, dass sie von Wahrheit und Fakten nicht mehr zu überzeugen seien. Das ist das Gegenwärtige von einer Figur, die vor hundert Jahren angefangen hat zu wirken.“ Das Ergebnis seiner dreijährigen Riefenstahl-Recherche kommt Ende Oktober in die deutschen Kinos.

 

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„Wo Freunde sind, da ist Heimat“

Die Berlinerin Inge Deutschkron wurde fast hundert Jahre alt. Alt werden sei keine Leistung, sagte sie manchmal, denn etwas anderes war ihr viel wichtiger: Sie überlebte die Nazis um sage und schreibe 77 Jahre, als sie im Frühjahr 2022 starb. Ihr persönlicher Triumph, betonte Inge Deutschkron. Denn die Hitler-Partei wollte sie und ihre ganze Familie ausrotten. Einfach nur, weil sie „jüdisch“ waren. Ihre Bindung an den Glauben? Fehlanzeige. Vater Martin, ein Sozialdemokrat und Träger des „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“ im I. Weltkrieg wurde 1933 aus dem Staatsdienst entlassen. Er konnte im April 1939 nach England auswandern. Inge blieb mit ihrer Mutter Ella in Berlin. Die beiden Frauen mussten ab Januar 1943 untertauchen. Sie überstanden zweieinhalb qualvolle Jahre im Untergrund. Das war nur mit viel Glück und vor allem dank der Hilfe mutiger Menschen in acht verschiedenen Verstecken möglich. Nur 1.700 sogenannte „Illegale“ überlebten, von einst 160.000 Juden in Berlin.

 

Zum 90. Geburtstag von Inge Deutschkron. Heute Journal. ZDF 2012.

 

Nach dem Krieg fühlte sich die „Berliner Pflanze“ heimatlos. Sie zog nach Israel, schrieb ein Dutzend Bücher, darunter den Klassiker „Ich trug den gelben Stern“. Inge Deutschkron war es wichtig, gegen das Vergessen, das so bequem ist, mit Herz, Witz und Verstand anzugehen. Anders sein. Sich wehren. Nicht aufgeben, das war ihr Antrieb. Im Januar 1989 brachte das Grips-Theater mit ihrer Unterstützung das Stück „Ab heute heißt du Sara“ auf die Bühne.  Niemand konnte ahnen, dass diese Geschichte ein Riesenerfolg werden würde. 2001 kehrte Inge Deutschkron nach Berlin zurück. Ganzen Schülergenerationen erzählte sie vom Wunder des Überlebens und ihrer Überzeugung: „Auch in einer unmenschlichen Welt gibt es Menschlichkeit“. Das Grips-Theater wurde ihre kulturelle Heimat. In der Kantine sang sie nach den Vorstellungen mit dem Ensemble gerne fröhliche Lieder – bis tief in die Nacht.

 

 

An „Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ erinnert derzeit eine kleine Ausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Berliner Stauffenbergstraße. Bis 3. November 2024.

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Was tut gut?

Neulich mit meiner sechsjährigen Enkelin im Bäckerladen. Bei all den feilgebotenen Köstlichkeiten kann sie sich nicht sofort entscheiden. Ihre Wahl fällt auf ein schlichtes Croissant. Eine Kundin in der Warteschlange beobachtet uns aufmerksam. Als wir bezahlen und uns Richtung Ausgang bewegen, schaut uns die Frau fragend an. „Na, bei so einer süßen Tochter kann der Papa aber mächtig stolz sein.“ Wir lachen. Die Dame traut mir eine Menge zu. Sie macht meinen Morgen zu einem das-tut-mir-gut-Ereignis. „Ich bin nur der Opa“, antworte ich und wünsche einen schönen Tag.

Nach dem Frühstück singt die Sechsjährige gemeinsam mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester textsicher und mit großer Leidenschaft Katharina von AnnenMayKantereit. “Katharina, ich glaub an dich. So viele Zweifel, die brauchst du nicht, Katharina, ich glaub an dich. So viele Zweifel, die brauchst du nicht. Katharina.“ Das bringt mich auf die Idee, nachzufragen, welche Songs bei Kids und Heranwachsenden gerade angesagt sind. Eine Zufallsumfrage, klar. Taylor Swift, der absolute Kick bei allen Mädchen ab zehn oder zwölf, bleibt mal außen vor. Hier kommt Katharina.

 

 

Was tut Teenagern gut? Klar. CooIer Sound, Digger. Oder etwas zum chillen, „Bro“, was sonst?  Die britische R&B-Sängerin Raye ist ein Kind des 21. Jahrhunderts. Eine durchgestylte Instagram-Performerin. Markenzeichen: gelockte Bobfrisur, das kurze Schwarze, dazu eine perfekte Big-Band mit viel Brass-Power. Wie viele aus der Generation Z will sie ernst genommen werden. Die Botschaft der 26-jährigen in ihrem neuen „Genesis-Projekt“: Let the light in. Raye: „Man sagt die Zwanziger sind die beste Zeit im Leben, doch ich verbringe meine damit, Sonnenuntergänge zu verpassen, weil ich mich auf meinem Handy mit allen anderen vergleiche.“

 

 

Sonnenuntergänge verpassen? Wäre schade drum, sagt eine andere 23-jährige Künstlerin.Man braucht nur eine Insel/allein im weiten Meer: Man braucht nur einen Menschen, den braucht man aber sehr“. Mascha Koléko. Sie kannte 1930 kein Smartphone, auf das sie unentwegt starrte. Sie freute sich über Strandspaziergänge auf Hiddensee. Sie suchte auch vor hundert Jahren, nach dem, was uns bewegt. Ein freundliches Wort. Menschen, die sich Zeit nehmen. Die nicht immer Angst haben, etwas zu verpassen. Und: Eine zeitgemäße Ansprache. Mascha Koléko. Ein letzter Tipp für alle, die gelassen durch die Sommertage gehen wollen.

 

 

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Fuck you, Othello

Sommerzeit. Chance zum Abschalten, Runterkommen und Entdecken. Es muss keine Weltreise sein. Keine überfüllten Autobahnen, Flughäfen oder Züge. Manches Ziel liegt sehr nahe. Immer wieder Neues entdecken kann man im kleinen brandenburgischen Netzeband in der Nähe von Neuruppin. Mit dem PKW ist es von Berlin eine gute Stunde entfernt, wenn alles klappt, aber das Beste: Netzeband hat einen eigenen Bahnanschluss und kann mit der RE6 alle zwei Stunden erreicht werden.

Das vergessene Straßendorf hat der Düsseldorfer Landschaftsarchitekt Horst Wagenfeld nach der Wende wachgeküsst. Seit dreißig Jahren lebt nun das knapp 200-Seelen-Theaterdorf seinen Traum. Und der heißt: Kunst und Kultur für alle. Theater, Klassik, Jazz, Disco, Lesungen, kurz: das volle Programm. Das Besondere: Alle machen mit – vom Klempner bis zur Computer-Spezialistin. Vor, auf und hinter der Bühne. Regisseur und Mitbegründer Frank Matthus: Es gibt ein bisschen den Spaß, dass wer bei uns beim Catering oder auf der Bühne steht, der muss mindestens einen Doktorabschluss haben.“

 

Wohin hat sich Othello verlaufen? Wer zeigt ihm den richtigen Weg? Foto: Uta Chrost

 

In diesem Sommer steht das neue Masken-Synchrontheaterstück Othello von Shakespeare auf dem Spielplan. Regie: Hans Machowiak. Synchrontheater bedeutet: Die Stimmen kommen vom Band. Liebevoll gefertigte Masken und Kostüme tragen Zugezogene wie Einheimische. Die Kulisse: Ein herrlicher Gutspark. Othello verhandelt Macht, Intrigen und Eifersucht. Natürlich zieht Jago, der Untergebene von Othello, alle Register der verführerischen Schmeichelei und Hinterlist. Zeitlos aktuell, verankert in kriegerischen Zeiten, modernisiert mit Musikeinlagen von Seeed bis Roger Whitaker. Jago will Fuck you Othello aus dem Feld räumen. Gelingt das? Ebenfalls neu: Das Familien- und Kinderstück Regentrude von Theodor Storm. Regie: Judith Zieprig. Gleichfalls eine hochaktuelle Geschichte für Kleine und Große über Hitze und Dürre. Was tun, wenn Regen so wertvoll wird wie ein Sack Goldtaler? Hier sucht das Ensemble, wieder eine Mischung aus Profis und Laien, auf einer Naturbühne nach Antworten. Spielerisch und ganz ohne Maske.

 

Der magische Moment. Kommt an, was auf der Bühne der Welt gezeigt wurde? Das Ensemble von Othello in Netzeband. Foto: Uta Chrost

 

Seit fast dreißig Jahren zeigt der Theatersommer Netzeband den Klassiker „Unter dem Milchwald“. Das Kultstück von Dylan Thomas über einen Frühlingstag in einem kleinen walisischen Ort – mit selbstgebauten Puppen und Stimmen vom Band. Der Milchwald war so eine Art Urknall für das bundesweit einmalige Synchrontheater. Raus aufs Land! Netzeband steht für das Zusammenwachsen von Ost und West. Frank Matthus: „Wenn das Publikum dann wirklich jubelt, und wir die Masken abnehmen, dann sieht man glückliche Gesichter. Das ist was Schönes.“ Das zählt. Egal wieviel Arbeit Theater macht und wie schmal die Fördertöpfe geworden sind. Gemeinsam macht alles mehr Spaß. Draußen in der Sommerfrische mit Theater, Natur und Kultur. Wahrhaftiges Leben ist Begegnung. Und das ist am vermeintlichen Ende der Welt auf eine sehr schöne Art möglich.

 

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„Wirds besser?“

„Wirds schlimmer? Leben ist immer lebensgefährlich.“ Einer der vielen Erich Kästner-Sätze, die mich ein Leben lang begleiten. Seit ich lesen und einigermaßen denken kann, ist Kästner mein treuer Weggefährte. Aus seinem „Emil und die Detektive“ habe ich mit acht oder neun Jahren meine erste Kurzgeschichte zusammengebastelt. Mit Bleistift und Radiergummi im kleinen schwarzen Oktavheft, liebevoll „Muttiheft“ genannt. Ich hatte seinen Emil  mehr oder weniger übernommen, nur einige Varianten waren neu und ein paar Namen. Egal. Die Erwachsenen lobten mich, meine Eltern nickten beifällig, meine Tante spendierte ein Eis. Später sah ich ein Fernsehporträt in Schwarz-Weiß. Schriftsteller Kästner saß mit Anzug und Hut in den Bergen auf einer Holzbank mit Tisch. Er schaute Pfeife rauchend in die Ferne und paffte lustige Kringel in den Himmel. Dann kritzelte er ein paar Worte in ein Heft. So wollte ich auch werden. „Das ist das Leben. Das ist der Lauf. – Das ist der Lebenslauf.“

 

Erich Kästner. (23. Februar 1899 Dresden – 29. Juli 1974 München)

 

„Vergesst eure Kindheit nie! Versprecht Ihr mir das!“ Der lange kinderlose Kästner, erst mit sechzig wurde er Vater, bleibt für den Nachwuchs ein Held. Bis heute. Warum? Weil Kinder ehrlich sind, neugierig und weil sie eine Zukunft haben wollen und sollen. Im Fliegenden Klassenzimmer schreibt Kästner einen seiner typischen Merksätze: „Seid glücklich so sehr Ihr könnt. Nur: Macht euch nichts vor und lasst euch nichts vormachen.“  Erich Kästner hat viele Facetten. Als Kinderbuchautor, Verseschmied oder politischer Wachrüttler. Seine Lyrische Hausapotheke half dem jungen Marcel Reich-Ranicki nicht zu verzweifeln.  Seine Lebensgefährtin Teofila Langnas hatte im Warschauer Ghetto das gesamte Büchlein eigenhändig abgeschrieben, verziert mit Bildern und Titelblatt. Teofila und Marcel lasen sich gegenseitig aus Kästners Moral vor: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Literatur als Überlebenshilfe in größter Not.

 

Fabian, 1931 erschienen. Kästner erzählt über das Dilemma eines Moralisten in aufgewühlten Zeiten.

 

Kästner nannte sich selbst einen Moralisten, manchmal auch einen „gekränkten Idylliker“. Als ungebrochen pessimistischer Optimist wollte er stets für das Volk schreiben. Einfach, kurz, klar, ohne Umschweife, auf den Punkt kommend. Der gebürtige Dresdner sah den Ungeist der Nazis aufkommen, textete und dichtete dagegen an. Vergeblich. Seine Bücher wurden verbrannt. Er blieb dennoch im Lande, flüchtete in innere Emigration. 1943 gelang ihm ein Husarenstreich. Unter einem Pseudonym verfasste er das Drehbuch für Goebbels Film und Prestigeprojekt Münchhausen. Der Lügenbaron aus der Feder eines verfemten Dichters? Als der Coup aufflog, erhielt Kästner endgültig Publikationsverbot.

 

 

Kästner sei ein Autor, „der Auswege suchte, selbst wenn wirklich keine zu finden waren“, schreibt die Zeit in einer lesenswerten Würdigung. Ach, Kästner, Held meiner Kindheit, Freund bis heute: Wo bleibt denn heute das Positive? 1930 antwortete er mit einem seiner bekanntesten Gedichte: „Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt. Die Spezies Mensch ging aus dem Leime, und mit ihr Haus und Staat und Welt. Ihr wünscht, dass ich`s hübsch zusammenreime und denkt, dass es dann zusammenhält.“

Kästner lesen. Das hilft die Welt besser zu ertragen. Am 29. Juli 1974, vor genau fünfzig Jahren, hat der Mann mit Hut, Anzug und Pfeife unsere Welt verlassen. Der elegante Mann mit Notizheft, den ich als kleiner Knirps so bewunderte. Seine Werke bleiben. Wie schön!