Der König von Korsika
Einmal König sein. Wenn auch nur für eine kurze Zeit? Auf der französischen Ferieninsel Korsika hatte sich der westfälische Baron Theodor von Neuhoff diesen Traum erfüllt. Seine Herrschaft währte nur kurz. Sie dauerte nicht einmal sieben Monate. Aber der Baron, der sich bereits Lord von England oder Grande von Spanien nannte, hatte einen Plan. Er wollte den Korsen die Unabhängigkeit bringen, versprach die verfluchte Fremdherrschaft der Genuesen abzuschaffen. Das kam gut an.
Wir schreiben das Jahr 1736. Theodor von Neuhoff landet in einem Phantasiekostüm an der korsischen Küste. Von Bord seines Schiffes lässt er einige Kanonen, 400 Gewehre und Munition entladen. Dazu als weitere, nichtmilitärische Argumentationshilfe Gold, Geld und Getreide. Der umtriebige Theodor erklärt den überraschten Korsen, dies sei nur der Anfang. Korsika werde frei. Endlich! Er stellt ein Heer auf und befördert einheimische Clan-Chefs in den Adelsstand. Kein schlechter Plan. Aus Dankbarkeit ändert die korsische Volksversammlung die republikanische Verfassung. Nun ist der Weg frei für den ersten und einzigen König von Korsika. Der Glücksritter und selbsternannte Unabhängigkeitskämpfer besteigt als Theodor der I. den Thron.
Diese Geschichte klingt wie eine Operette. Das Beste daran: Sie ist es auch und bleibt dennoch eine wahre europäische Episode lange vor EU, Brexit und Autonomie-Bewegungen. Wie es damals weiterging? Natürlich wehrte sich die mächtige Seemacht Genua. Zugleich nahmen die Franzosen die Insel vor ihrer Küste ins Visier. Nach drei erfolglosen Anläufen scheiterten am Ende Theodors Korsika-Pläne. Der Operetten-König musste als Priester verkleidet von der Insel flüchten. Jahre später endete der Luftschloss-Regent im Schuldturm von London. Völlig verarmt starb der einzige deutsche König von Korsika 1756 in der britischen Hauptstadt. Die Republik Genua schließlich verkaufte Korsika 1768 für zwei Millionen Franc an Frankreich.
Voltaire setzte dem König für sieben Monate ein angemessenes literarisches Denkmal. In Candide lässt er den Baron von Neuhoff aus dem sauerländischen Pungelscheid mit diesen Worten auftreten: „Ich bin Theodor, man hat mich in Korsika zum König gewählt; man nannte mich ‚Eure Majestät‘, und jetzt nennt man mich mit Müh und Not ‚Herr‘. Ich habe Münzen schlagen lassen und besitze nicht einen Heller, ich saß auf einem Thron und habe lange Zeit in London im Gefängnis gelegen, auf einem Strohlager.“
Der begabte Hochstapler Theodor I. beflaggte sein Landungsschiff übrigens mit dem korsischen Symbol. Der Kurzzeitkönig popularisierte während seiner Regentschaft den mit Stirnband geschmückten Mohrenkopf. Sinnbild für den Kampf gegen Sklaverei und Fremdherrschaft. Das Motiv stammt eigentlich von den Königen von Aragon, die im 15. Jahrhundert mit Genua um Korsika stritten. Theodor hatte also durchaus Weitblick, als er sich mit fremden Federn schmückte. Der korsische Volksheld Pasquale de Paoli bestimmte schließlich 1762 das Symbol zum Staatswappen. Der Kopf mit dem weißen Stirnband ist das Freiheitssymbol Korsikas. Bis heute.