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SÄCHSISCHE ZEITUNG

Die Mata Hari aus Hoyerswerda

ZDF-Journalist Christhard Läpple hat die Karriere einer Auslands-Agentin im Kalten Krieg recherchiert. Ihre wenig erfolgreiche Spionage-Laufbahn begann an der Schule im WK VI.

Von Mirko Kolodziej

 

Zwischen Übertreibung und Beschwichtigung, zwischen Dämonisierung und Verdrängung, sagt Christhard Läpple, sei in der Diskussion über den DDR-Geheimdienst lange die Genauigkeit auf der Strecke geblieben. Der Fernsehjournalist hat versucht, diese Genauigkeit hinzubekommen. Sein Sender, das ZDF, hatte ihn vor ein paar Jahren beauftragt, den Einfluss des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) auf die Mainzer An- stalt zu recherchieren. Er las also unzählige Akten und machte sich auf die Suche nach Zeitzeugen.

 

Einer seiner Wege sollte ihn dabei nach Hoyerswerda führen. Läpple hat unter anderem das sowohl in einer Fernsehdokumentation mit dem Titel „Die Feindzentrale“ als auch in seinem Buch „Verrat verjährt nicht“ nachgezeichnet. Christina heißt die Frau, wegen der Läpple an die Schwarze Elster kam. Sie ist heute 61 Jahre alt und lebt in Hamburg. Ihre Karriere als Stasi- Agentin in der Bundesrepublik aber begann an der POS X „Otto Grotewohl“ im WK VI, der heutigen Mittelschule „Am Planetarium“. Christina war dort als Lehre- rin beschäftigt, als sie hier 1977 Be- such von zwei MfS-Männern be- kam. Ihr eigener Mann, ein Stasi- Zuträger, hatte ohne ihr Wissen zu einem Anwerbeversuch geraten. Die junge Frau stimmte zu. „Sie hatte so idealistische Vorbilder“, sagt Christhard Läpple.

Was folgte, könnte sich kein Autor von Agenten-Thrillern besser ausdenken: Christina lernt in Leipzig im Zuge der Promotion einen Mann aus Tansania kennen und lieben. Die Stasi schleust beide als Spionage-Pärchen in den Westen ein. Ihren kleinen Sohn muss Christina in der DDR zurücklassen. Zuvor hatte sie sich umfangreich schulen lassen, lernte den Umgang mit Kleinbildkamera, Geheimtinte und chiffriertem Funkverkehr. „Sie sollte so ei- ne Art Mata Hari werden“, schätzt Christhard Läpple ein.

Über Mata Hari, die niederländische Tänzerin, die ab 1915 für die Deutschen spitzelte, heißt es bei Wikipedia, ihre Tätigkeit sei schlicht bedeutungslos gewesen. So ähnlich war das laut Aktenlage auch mit den Informationen, die Christina als Agentin der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS lieferte, unter anderem von einem Praktikum in der damals neuen Abteilung Zeitgeschichte des Zweiten Deutschen Fernsehens. Die Stasi hätte die meisten Dinge auch in westdeutschen Zeitungen nachlesen können. 1988 stieg die Mata Hari aus Hoyerswerda von sich aus dem Spionagegeschäft aus.

 

Besuch in der Collinsstraße

Als Christhard Läpple sie während seiner Recherchen anrief, war sie zunächst erschrocken. Dann stimmte sie zu, ihre Geschichte zu erzählen, ging sogar vor die Kamera. Gleichzeitig offenbarte sie sich Verwandten, Freunden, Bekannten und den einstmals von ihr Bespitzelten, darunter ZDF-Autorin Barbara Lueg oder Willy Brandts ehemaliger Redenschreiber Klaus Harpprecht. Es war wohl eine Art Befreiungsschlag. „Die meisten haben Verständnis gezeigt, auch Respekt für die Offenheit gezollt“, schildert Christhard Läpple, der schließlich mit Christina nach Hoyerswerda fuhr, um Erinnerungen an die Oberfläche zu holen. Leipzig oder Mainz standen hingegen gar nicht zur Diskussion. „Sie wollte list. Sie erinnerte sich an die Zeit, in der man in Teilen der Neustadt noch Gummistiefel brauchte, an den Aufbruchsgeist. Sie guckte auch nach ihrer Altstadt-Wohnung.

 

Zwei Tage dauerte der Besuch in Hoyerswerda. „Es war für sie fast schockartig“, entsinnt sich Läpple. Er sagt, ihn habe interessiert, was Christina von anderen unterschieden hat. Er war auf die Suche nach dem Antrieb einer Agentin gegangen. In Film und Buch zeigt er aber mehr oder weniger einfach eine Frau unter recht abstrusen Bedingungen, deren Lebensweg ihr wohl vor allem den absoluten Glauben an idealistische Ziele genommen hat. „Ich habe begriffen, dass ich von meinem Schwarz-Weiß-Denken wirklich in die Mitte gerückt bin, dass ich heute Grautöne akzeptiere und dass ich behutsamer mit Menschen umgehe, dass ich politisch Andersdenkende anhören kann, ohne in ihnen gleich Gegner zu sehen“, wird Christina jedenfalls in „Verrat verjährt nicht“ zitiert.

 

Verrat verjährt nicht – Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land, Christhard Läpple, Hoffmann und Campe, 19,95 Euro, 350 Seiten, ISBN 978-3-455-50088-2

 

Hoyerswerdaer Tageblatt 31.05.2012