Die Mauer des Schweigens durchbrechen
Von Alexander Maier
Sie haben andere bespitzelt, verraten und verleumdet. Und was für viele ihrer Opfer am schlimmsten ist: Sie haben jenes Vertrauen missbraucht, das man den Menschen aus seinem engsten Umfeld ganz selbstverständlich entgegenbringt. Viele der ehemaligen Stasi-Spitzel waren überzeugt, das Richtige zu tun. Andere spitzelten, weil sie sich Vortei- le versprachen. Wieder andere wag- t en nicht, nein zu sagen. In seinem Buch „Verrat verjährt nicht“, das er nun in der Stadtbücherei vorstellte, erzählt Christhard Läpple „Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land“, die zeigen, was Menschen dazu brachte, ihre Nächsten zu hintergehen. Und die zeigen, welche Verletzungen das bei ihren Opfern hinterlassen hat. Wie wichtig es ist, sich diesen Fragen zu stellen, mach te Läpple im erhellenden Dialog mit EZ-Chefredakteur Markus Bleistein deutlich.
„Verrat verjährt nicht“ (Verlag Hoff mann & Campe, 19,95 Euro) gehört zu jenen Büchern, deren Entstehen gar nicht geplant war. Der Fernsehjournalist Christhard Läpple sollte vor Jahren für seinen Sender recherchieren, wie weit der Arm der Stasi einst bis ins ZDF gereicht hatte. Die Ergebnisse waren nicht allzu spektakulär, doch Läpples Interesse war geweckt: Er wollte erfahren, wie einstige Informanten 20 Jahre nach der Wiedervereinigung mit ihrem Verrat umgehen. Doch die Recherchen gestalteten sich denkbar schwierig, weil sich nur die wenigsten ihrer Schuld stellen. „Keiner redet gern über seinen Verrat. Ich war über jeden einzelnen froh, der bereit war zu reden“, resümiert der Autor.
Fallstudien moralischen Versagens
Ein halbes Dutzend einstiger Stasi-Informanten hat Christhard Läpple in seinem Buch vorgestellt. Und weil er nicht zu denen gehört, die die Verräter von damals vom hohen Ross herunter verurteilen, ist es ihm gelungen, ihnen noch näher zu kommen und so noch authentischer zu erfahren, was sie zu Verrätern werden ließ. Läpple stellt keine Persilscheine aus, doch er versucht zu verstehen: „Es gibt Abgründe des Verrats, die unfassbar sind. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie es wirk- lich gewesen ist. Nur so lässt sich das Schweigen durchbrechen.“ Und das tue mehr denn je Not: „Gewissen ist etwas sehr Privates. Viele verschanzen sich heute hinter politischen Argumenten, mit denen sie ihren Verrat begründen. Wenn es uns gelingt, diese Mauer einzureißen, haben wir schon viel erreicht.“
Markus Bleistein, der diesen Abend in der Reihe „Zeit und Geist“ von Stadtbücherei, Dieselstraße und Eßlinger Zeitung kenntnisreich moderierte, sieht in Läpples Fallstudien verbindende Motive: „Das Gefühl, selbst Familienmitglieder täuschen zu müssen, lässt Schuldgefühle entstehen. Da ist wenig vom Glanz eines James Bond, sondern viel von Verstellung und Täuschung und Ein samkeit, die die Agenten zunehmend und intensiv persönlich belasten.“ Christhard Läpple unterschlägt diese armseligen Momente eines Agentenlebens nicht, sondern zeigt, dass auch die Spitzel einen hohen Preis bezahlten – etwa die junge Frau, die er in seinem Buch „Tanja“ nennt und die sich in fester Überzeugung, das politisch Richtige zu tun, anwerben ließ. Läpple hat sie mit ihrer unrühmlichen Vergangenheit konfrontiert – und er ist überzeugt, dass das nicht nur ihr selbst, sondern auch ihren Opfern hilft, das Geschehene zu verarbeiten: „Wir reagieren alle sehr empfindlich, wenn wir das Gefühl haben, hintergangen worden zu sein. Das zu verarbeiten, setzt voraus, dass sich die, die uns hintergangen haben, wenigstens für ihre Tat entschuldigen.“
Läpple versteht den Titel seines Buches „Verrat verjährt nicht“ moralisch: „Juristisch ist dieses Phänomen nicht zu bewältigen.“ Deshalb ist mit der rechtlichen Verjährung des Stasi-Unrechts im Herbst für ihn das Thema noch lange nicht abge-hakt – zumal er sich mit Bleistein einig war, „dass Verrat als Topos so alt wie die Menschheit ist“. So war es das besondere Verdienst dieses Abends, über das Fallbeispiel der Stasi-Spitzeleien hinaus den Blick auf die moralisch-universelle Dimension des Themas zu erweitern. Denn Vertrauensbruch und Verrat sind mit dem Ende der DDR aus unserer Welt nicht verschwunden.”