Archive for : Juli, 2014

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Die Mauer des Schweigens durchbrechen

Von Alexander Maier

Sie haben andere bespitzelt, verraten und verleumdet. Und was für viele ihrer Opfer am schlimmsten ist: Sie haben jenes Vertrauen missbraucht, das man den Menschen aus seinem engsten Umfeld ganz selbstverständlich entgegenbringt. Viele der ehemaligen Stasi-Spitzel waren überzeugt, das Richtige zu tun. Andere spitzelten, weil sie sich Vortei- le versprachen. Wieder andere wag- t en nicht, nein zu sagen. In seinem Buch „Verrat verjährt nicht“, das er nun in der Stadtbücherei vorstellte, erzählt Christhard Läpple „Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land“, die zeigen, was Menschen dazu brachte, ihre Nächsten zu hintergehen. Und die zeigen, welche Verletzungen das bei ihren Opfern hinterlassen hat. Wie wichtig es ist, sich diesen Fragen zu stellen, mach te Läpple im erhellenden Dialog mit EZ-Chefredakteur Markus Bleistein deutlich.

„Verrat verjährt nicht“ (Verlag Hoff mann & Campe, 19,95 Euro) gehört zu jenen Büchern, deren Entstehen gar nicht geplant war. Der Fernsehjournalist Christhard Läpple sollte vor Jahren für seinen Sender recherchieren, wie weit der Arm der Stasi einst bis ins ZDF gereicht hatte. Die Ergebnisse waren nicht allzu spektakulär, doch Läpples Interesse war geweckt: Er wollte erfahren, wie einstige Informanten 20 Jahre nach der Wiedervereinigung mit ihrem Verrat umgehen. Doch die Recherchen gestalteten sich denkbar schwierig, weil sich nur die wenigsten ihrer Schuld stellen. „Keiner redet gern über seinen Verrat. Ich war über jeden einzelnen froh, der bereit war zu reden“, resümiert der Autor.

 

Fallstudien moralischen Versagens

Ein halbes Dutzend einstiger Stasi-Informanten hat Christhard Läpple in seinem Buch vorgestellt. Und weil er nicht zu denen gehört, die die Verräter von damals vom hohen Ross herunter verurteilen, ist es ihm gelungen, ihnen noch näher zu kommen und so noch authentischer zu erfahren, was sie zu Verrätern werden ließ. Läpple stellt keine Persilscheine aus, doch er versucht zu verstehen: „Es gibt Abgründe des Verrats, die unfassbar sind. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie es wirk- lich gewesen ist. Nur so lässt sich das Schweigen durchbrechen.“ Und das tue mehr denn je Not: „Gewissen ist etwas sehr Privates. Viele verschanzen sich heute hinter politischen Argumenten, mit denen sie ihren Verrat begründen. Wenn es uns gelingt, diese Mauer einzureißen, haben wir schon viel erreicht.“

Markus Bleistein, der diesen Abend in der Reihe „Zeit und Geist“ von Stadtbücherei, Dieselstraße und Eßlinger Zeitung kenntnisreich moderierte, sieht in Läpples Fallstudien verbindende Motive: „Das Gefühl, selbst Familienmitglieder täuschen zu müssen, lässt Schuldgefühle entstehen. Da ist wenig vom Glanz eines James Bond, sondern viel von Verstellung und Täuschung und Ein samkeit, die die Agenten zunehmend und intensiv persönlich belasten.“ Christhard Läpple unterschlägt diese armseligen Momente eines Agentenlebens nicht, sondern zeigt, dass auch die Spitzel einen hohen Preis bezahlten – etwa die junge Frau, die er in seinem Buch „Tanja“ nennt und die sich in fester Überzeugung, das politisch Richtige zu tun, anwerben ließ. Läpple hat sie mit ihrer unrühmlichen Vergangenheit konfrontiert – und er ist überzeugt, dass das nicht nur ihr selbst, sondern auch ihren Opfern hilft, das Geschehene zu verarbeiten: „Wir reagieren alle sehr empfindlich, wenn wir das Gefühl haben, hintergangen worden zu sein. Das zu verarbeiten, setzt voraus, dass sich die, die uns hintergangen haben, wenigstens für ihre Tat entschuldigen.“

Läpple versteht den Titel seines Buches „Verrat verjährt nicht“ moralisch: „Juristisch ist dieses Phänomen nicht zu bewältigen.“ Deshalb ist mit der rechtlichen Verjährung des Stasi-Unrechts im Herbst für ihn das Thema noch lange nicht abge-hakt – zumal er sich mit Bleistein einig war, „dass Verrat als Topos so alt wie die Menschheit ist“. So war es das besondere Verdienst dieses Abends, über das Fallbeispiel der Stasi-Spitzeleien hinaus den Blick auf die moralisch-universelle Dimension des Themas zu erweitern. Denn Vertrauensbruch und Verrat sind mit dem Ende der DDR aus unserer Welt nicht verschwunden.”

Über Stänkerer vom Dienst

Dieser Mitmensch ist verärgert und will, dass es die ganze Welt weiß. Sofort. Ohne Abstriche. Alle mal herhören! Sein Lebensinhalt ist sich zu beklagen und über andere herzuziehen. Diese Mission treibt ihn an, ist seine Leidenschaft, die ihm großes Vergnügen bereitet. Der Stänkerer bläst nicht allein Trübsal. Er will sich mitteilen und beklagt sich gerne schriftlich, wenn es sein muss in doppelter Ausführung. Am besten im Internet. Shitstorms sind seine Lieblings-Wetterlagen.

Der Stänkerer braucht ständig Nachschub. Er liegt stets im Hinterhalt auf der Lauer. Er registriert, wann, wo, von wem und wie der Müll in die Tonne wandert. Jedes Fehlverhalten wird denunziert. Die Nachbarschaft hallt wieder von seinen schlichten Denunzierungen, haltlosen Verleumdungen, nachbarschaftlichen Fehden, Eifersüchteleien, ständigen Rechthabereien. Es sind Reklamationen jeglicher Art und Größenordnung, en gros und en detail. Keiner ist vor dem Stänkerer vom Dienst gefeit. Er ist stets hellwach und allzeit dienstbereit.

Meckerer schließen sich gerne einer Gruppe an. Sie wollen dazugehören, gegen die da oben: die Politiker, Bosse, Chefs und überhaupt Vorgesetzte im Allgemeinen. Sie hören auf den Zeitgeist und verkörpern ihn. „Das darf man wohl noch sagen dürfen“, ist ihr Motto. Aber „die machen sowieso was sie wollen“, bleibt ihr Schicksal, dem sie sich gottgegeben fügen. Bloß nichts ändern! Das wäre das Schlimmste. Wenn sich wirklich etwas ändert, wäre das ein Grund mehr zum lustvollen Meckern.

Der Nörgler weiß alles besser. Er ärgert sich besonders, wenn ihm niemand zuhört. Das treibt ihn an. Er braucht eigentlich Publikum wie der Künstler den Beifall als tägliches Brot. Der Nörgler bleibt jedoch am liebsten in Deckung, gibt sich selten offen zu erkennen, würde nie seinen Namen preisgeben. „Das tut nichts zur Sache“ – sagt er – obwohl es ihm stets um die Sache geht wie er betont. Nörgler nerven. Das ist ihre wahrlich verkannte Größe und Stärke.

Was tun? Gegen Stänkerer, Meckerer und Nörgler ist buchstäblich kein Kraut gewachsen. Es sei denn ausgesprochen gute Laune oder viel Geld, sogar sehr viele Euros als Schweigeprämie. „Ich scheiß dich zu mit meinem Geld“, warf Klebstoff-Fabrikant und Wohlstandsmonster Haffenloherseinen Kritikern an den Kopf, in der Fernsehserie Kir Royal großartig verkörpert von Mario Adorf. Bleibt eine Frage an alle unsere Stänkerer, Meckerer und Nörgler vom Dienst:  Was ist der Grund, dass sich so viele unwohl fühlen, obwohl es den meisten verdammt gut geht? Oder geht es ihnen nur gut, wenn sie stänkern, meckern, nörgeln…?

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„Alte Liebe rostet nicht“ in Hoyerswerda

Altstadt Hoyerswerda. Sanierte, putzige Fachwerkhäuser. Rathaus, Marktplatz, stolzer kleinbürgerlicher Biedermeier. Meilenweit vom Plattenbau-Klischee entfernt. Ich will einen alten lindgrünen Trabi in einer sanierten Seitengasse fotografieren. Der Besitzer steigt misstrauisch in seinen kleinen Frosch auf vier Rädern und bremst direkt vor mir. Der Fahrer, ein Rentner samt Frau, spricht mich energisch an: „Was haben Sie da gemacht? Haben Sie im Auftrag der Stadt fotografiert, weil ich im Parkverbot stand?“ Der Ton ist grimmig. Ich erkläre ihm, ich sei ein harmloser Tourist aus Berlin und hätte das Motiv und sein Auto gut gefunden.

„Ach, so!“ Die Atmosphäre hellt sich auf. Sichtlich stolz beginnt er zu erzählen: „Am 24. Oktober 2014 wird mein Trabi 25 Jahre alt. Silberne Hochzeit! Stellen Sie sich das mal vor: 125.000 Kilometer Pannen- und unfallfrei.“ Zärtlich streichelt er sein Lenkrad, seine Frau lächelt stumm. Der rüstige Mann startet seinen Zweitakter, tuckert davon und grüßt mit einer bläulichen Abgaswolke. „Alte Liebe rostet nicht.“