Motiviert?

Der junge Punk wartet auf Kundschaft. Jeden Tag lümmelt er auf der Treppe zum Berliner S-Bahnhof Savignyplatz. Mit Hund, Decke, Bierflasche und Buch. Seine aktuelle Lektüre: „Mieses Karma“. Interessanter Titel. Ich frage nach. In diesem Roman erzählt der Autor David Safier von einer attraktiven Talkmasterin, die unausweichlich zu einer kleinen miesen Ameise schrumpft.

Was fasziniert den Schnorrer mit den gelb gefärbten Haaren am bösen Karma? Will er nicht lieber nach oben kommen? Der Plot sei klasse, sagt er. Übersetzt bedeute dies, richtige Bösewichte vom Schlage eines Hitler, Stalin oder Pol Pot müssten künftig als Darmbakterien Wiedergutmachung leisten. Wäre doch klasse, oder? Pause. Passanten hetzen vorbei. Den Kopf eingezogen, eiligen Schrittes, froh in Ruhe gelassen zu werden.

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Warten auf motivierte Kundschaft.

Der bettelnde Punk hat seine Werbestrategie geändert. Statt des branchenüblichen „Haste ein bisschen Kleingeld?“ oder „Hey Alter, Du siehst gut aus, Du hast doch sicher ein paar Groschen“, flötet er fröhlich-verführerisch den Vorbeihastenden zu: „Guten Tag. Sind Sie motiviert, Ihr Geld mit mir zu teilen?“ Einige wenige lächeln. Diese Geldanlageoption klingt wie das Versprechen eines Finanzberaters der Tanker, Immobilien oder Windräder an Steuersparwillige verticken will.

Da auch diese Strategie nur bedingt fruchtet, schaut der junge Mann mit Decke, Hund und Buch wieder in sein „mieses Karma“. Dort liest er weiter über bedeutende Menschen, die ganz schnell zu kleinen Ameisen schrumpfen.  Nun lächelt er. Das Leben ist doch wie ein Roman.

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