Der Retter
Sein Reihenhaus in Troisdorf war bescheiden. Doch die Tür stand immer offen. Von hier aus kümmerte sich ein Mann mit Seefahrerbart und voller Energie um Ausgestoßene, Verfolgte und Bedrängte. Menschen, die auf der Flucht sind. Sein Name: Rupert Neudeck. Sein Lebensthema: Das Retten von Menschen in Not. Deshalb gründete er Organisationen wie Cap Anamur, Deutsche Notärzte und zuletzt 2003 die Grünhelme.
Rupert war fünf Jahre alt, als Familie Neudeck in Danzig beschloss, im Januar 1945 vor der Front zu flüchten. Seine Mutter wollte unbedingt das Flüchtlingsschiff Wilhelm Gustloff erreichen. Sie kamen anderthalb Stunden zu spät. Der Onkel an der Kaimauer schimpfte wie ein Rohrspatz. Sie sahen nur noch den riesigen weißen Dampfer aus dem Hafen in Richtung Ostsee ziehen. Die Verspätung war ihre Rettung. Denn die Gustloff wurde von sowjetischen Torpedos versenkt. Über 9.000 Flüchtlinge ertranken.
Kindheitsmuster Flucht. Rupert Neudeck: „Daraus ist ein Trauma bei mir geblieben. Ich wollte, ich musste helfen. Ich konnte es nicht zulassen, dass Menschen einfach absaufen.“ Familie Neudeck rettete sich in den letzten Kriegstagen über Sachsen-Anhalt nach Hagen. Die westfälische Stadt war voller Flüchtlinge. Viele Einheimische halfen. Doch andere schimpften über das Pack aus dem Osten. Zuwanderer galten als Habenichtse, die anderen das Wenige auch noch wegnehmen. Rupert Neudeck erinnerte sich: „Wir hatten als sechsköpfige Familie zwei Zimmer. Mehr nicht. Aber wir lebten und hatten eine Sicherheit.“
Die Neudecks gehörten zu den über zwölf Millionen Flüchtlingen in Deutschland. Not machte damals erfinderisch. Ankömmlinge wurden mit DDT eingesprüht – zur Entlausung. Bekamen ein Stück Brot. Trotzdem hungerten viele. Aus dieser prägenden Lebenserfahrung zog Rupert Neudeck eine Verpflichtung, von der er bis zum Schluss keinen Millimeter abrückte. „Das war 1945 eine großartige Leistung. Wir müssen weiter retten. Das ist das europäische Erbe. Auch weil sich Europa etwas auf die universalen Menschenrechte einbildet. Das können wir nicht verraten.“
Am Ende wollte sein Herz nicht mehr wie er es wollte. Sein Tempo war so intensiv und leidenschaftlich, dass es für viele Leben gereicht hat. Ihn hat das Schicksal von Anderen nie gleichgültig oder zynisch werden lassen. Neudeck konnte manchmal sehr wohl unbequem und dickköpfig sein. Aber das musste sein: sonst hätte er in seinem Leben nicht so viel erreicht. Seine Idee wird bleiben, sein Vermächtnis weiter leben. Ich bin stolz, ihn vor knapp zehn Monaten noch einmal in seinem Reihenhaus getroffen zu haben. Als er unablässig Pläne für die Seerettung im Mittelmeer schmiedete wie einer, der nie aufgibt.
Rupert Neudeck starb am 31. Mai 2016 im Alter von 77 Jahren.