Strahlende Zukunft

„Wir sind die Schmuddelkinder der Nation“, sagt Jörg Möller. Der kräftige Mann lacht. Er ist einer, der in sich ruht: Ingenieur. Kraftwerker. Hobby-Historiker. Einst hat er die leuchtende Zukunft mitorganisiert. Strom aus der Steckdose. Angetrieben von der ungeheuren Energie der Atome. Seit 25 Jahren demontiert, zerlegt und verschrottet er seinen eigenen Arbeitsplatz. Möller ist zuständig für die verstrahlten Hinterlassenschaften eines Atomkraftwerkes. Ganz genau für die des Kernkraftwerkes „Bruno Leuschner“ in Rheinsberg.

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Rein oder Raus? Warnschild am Zugang zum einstigen Druckwasserreaktor im KKW Rheinsberg.

 

Das erste funktionierende AKW in Deutschland ging im Mai 1966 im Osten der Republik ans Netz. In der kleinen DDR. Ein großer Triumph für die Genossen. Ein knappes halbes Jahr später zog der Westen mit dem KKW Gundremmingen nach. Genau fünfzig Jahre später wickelt das längst vereinte Land die einstige Zukunftstechnologie ab. Die Energiewende – ein Milliardenprojekt. „Wir können das. Wir sind Pioniere. Wir waren die ersten bei Auf- und Abbau.“ Jörg Möller strahlt. Der 58-jährige erklärt, dass die Rheinsberger mittlerweile Meister der Demontage von Atomkraft sind. Sein Konzern die Energiewerke Nord, ein bundeseigener Betrieb, sei „weltweit der größte Stillleger für Atomkraft“.

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Die Leitstelle mit vielen Knöpfen und dem Charme der sechziger Jahre. Die Blockwarte des  „Raumschiff Orions“ befindet sich mitten im Naturschutzgebiet am Großen Stechlin, eine gute Autostunde nördlich von Berlin entfernt.

 

Tatsächlich bauen Möller und seine 170 Kollegen seit einem Vierteljahrhundert den sowjetischen Druckwasserreaktor WWER-2 bis auf die letzte Mutter zurück. Sie entschärften über 300 Brennstäbe, verkauften davon 74 an eine US-Firma. Sie zersägten in „heißen Zellen“ Stahlträger, Pumpen, Turbinenteile, Behälter, kurzum: sie demontierten in Abklingbecken verstrahlte und kontaminierte Elemente, um sie in ein Zwischenlager nach Greifswald zu transportieren. Die Ingenieure zerlegen damit ihre eigene Existenz, eine gewollte Selbst-Liquidation. Ein unternehmerischer Suizid. Noch weitere zehn Jahre wird es dauern, bis das einstige KKW Rheinsberg besenrein übergeben werden kann.

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KKW Rheinsberg Stolz der DDR. Ab 1966 am Netz. Seit 1990 abgeschaltet. Seit 1995 im Rückbau.

 

„Wir suchen dringend junge Leute. Ingenieure, Techniker, Wissenschaftler“, betont Möller, der in Magdeburg Maschinenbau und Kerntechnik studiert hat. Über 100 neue Mitarbeiter sollen eingestellt werden, aber der Fachkräftemangel sei zum Verzweifeln. Möller und seine Verschrotter von Rheinsberg versprechen wieder eine blühende Zukunft. Ob in Deutschland oder weltweit, der Ab- und Rückbau von atomaren Anlagen sichere auf lange Sicht Arbeitsplätze. Allein im russischen Murmansk müssten 140 atombetriebene U-Boote „entschärft“ werden.

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Museumsreif. Die Vorrichtung für Brennstäbe. 74 unbenutzte neue Brennstäbe wurden in den neunziger Jahren in die USA verkauft.

So werden die Rheinsberger ein weiteres Mal Pioniere. Einst für ein Zukunftsversprechen mit Atomkraft. Heute als Modellbetrieb für den Ausstieg aus einer Technik, die einmal die Lösung aller Menschheitsprobleme versprach. Der Besuch im ehemaligen KKW Rheinsberg mitten im idyllischen Naturschutzgebiet am Stechlinsee ist wirklich eine Reise wert. Führungen im Sommer immer mittwochs ab 13 Uhr. Es empfiehlt sich eine rechtzeitige Anmeldung. Die Nachfrage ist groß.

 

 

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