Was Recht war…
„Alles war Recht und Gesetz.“ – „Wir taten nur unsere Pflicht.“ – „Fachleute werden immer gebraucht.“ So hieß es unter Juristen nach Kriegsende. Der Rest war Schweigen. Jahrzehntelang. Erst jetzt über siebzig Jahre nach dem Untergang des NS-Regimes klärt eine aufsehenerregende Studie, wie unbeschadet Justizvertreter in der Nachkriegszeit im neuen Bundesjustizministerium weiter machen konnten. Als wäre nichts passiert. Zehn von dreizehn Abteilungsleitern der Rosenburg, dem ersten Bonner Dienstsitz, waren im Jahre 1957 frühere Parteigenossen der NSDAP. Das bedeutet 76,9 Prozent. Mit dabei Eduard Dreher, einst Sonderstaatsanwalt am NS-Sondergericht in Innsbruck.
Eduard Dreher machte in der Rosenburg Karriere. Er stieg in den fünfziger Jahren am Bonner Venusberg zum Referatsleiter auf, kommentierte das Strafgesetzbuch und koordinierte die Strafrechtsreform. Dreher war unbestritten der Doyen des bundesdeutschen Strafrechts. Ganze Studentengenerationen paukten seine Texte. Niemand störte offenbar, dass er in der NS-Zeit am Sondergericht Innsbruck insgesamt 17 Mal die Todesstrafe gefordert hatte, für Vergehen wie diese:
Drehers Liste:
- Todesstrafe für Anton Ratgeber. Dem 62-jährige Mann wurde 1943/44 vorgeworfen, nach Fliegerangriffen geplündert zu haben. NS-Sonderstaatsanwalt Dreher wendete den § 1 der „Volksschädlingsverordnung“ an.
- Todesstrafe für Josef Knoflach. Der 56-jährige hatte mehrfach Brot, Zucker und Speck aus einem Bauernhof gestohlen. Dreher bezeichnete den Angeklagten als „gefährlichen Gewohnheitsverbrecher“.
- Todesstrafe für Karoline Hauser. Die Frau hatte Kleiderkartenpunkte gestohlen. Dreher erklärte sie 1942 zum „Volksschädling“. Das Gericht verurteilte sie letztlich nur zu 15 Jahren Zuchthaus.
- Todesstrafe für Maria Pircher. Die Angeklagte hatte bei einem Luftangriff einen fremden Koffer aufgebrochen und Kleider im Wert von 400 Reichsmark entwendet. Sie wurde 1944 hingerichtet, nachdem Sonderstaatsanwalt Dreher für die Frau als sogenannte Rückfalldiebin den Strang gefordert hatte.
Der Vorzeigejurist Dreher setzte sich auch in der Bundesrepublik für die Todesstrafe ein. Seine Karriere zeige exemplarisch, so die Professoren Görtemaker und Safferling in ihrer Studie, wie sich altes Personal in neuen Ämtern etablierte. Viele NS-Gesetze seien folgerichtig nur oberflächlich entnazifiziert, eine Strafverfolgung von Kriegsverbrechern vereitelt worden. Fazit: die Justiz hat sich selbst amnestiert. Ein Persilschein auf ganzer Linie. Am bedrückendsten: Kein Wort der Einsicht oder Entschuldigung war jemals zu hören.
Bleibt eine berechtigte Frage. Wäre etwa auch Roland Freisler, der Vorsitzende des Volksgerichtshofs, unbeschadet davon gekommen? Freisler hatte 1939 von seinen Volks-Richtern verlangt:
„Sie müssen ebenso schnell sein wie die Panzertruppe, sie sind mit ebenso großer Kampfkraft ausgestattet. (…) Sie müssen denselben Drang und dieselbe Fähigkeit haben, den Feind aufzusuchen, zu finden und zu stellen, und sie müssen die gleiche durchschlagende Treff- und Vernichtungssicherheit gegenüber dem erkannten Feind haben.“
Das Schicksal traf im Fall Freisler eine kluge Entscheidung: der furchtbarste Jurist des Dritten Reiches fiel einer Fliegerbombe zum Opfer. Wenige Monate vor Kriegsende.
Mehr über die braune Vergangenheit vieler Bonner Nachkriegs-Juristen in dem neuen und äußerst informativen Buch von Manfred Görtemaker und Christoph Safferling. Die Akte Rosenburg. Das Bundesjustizministerium der Justiz und die NS-Zeit. C.H. Beck