Ein Leben mit vielen Akten

Es war das einzige Buch, das in fast fünfzehn Jahren meiner Moderationen auf dem Blauen Sofa während der Buchmessen sofort geklaut wurde. Es war ein neuer Bildband von Günter Rössler. Den damals bereits betagten Leipziger Fotografen begleitete ich von der Bühne hinunter zum Signieren an den nahen Autogrammtisch. Das Buch ließ ich für einen winzigen Moment liegen. Ein Fehler. Als ich zurückkehrte, war es längst weg.

 

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Günter Rössler. (1926 – 2012)

 

Rösslers Buch erschien 2006. Es hieß: „Mein Leben in vielen Akten“. Es erzählt die Geschichte eines DDR-Fotografen, der aus Leidenschaft unbekümmert und unverkrampft die Weiblichkeit in den Mittelpunkt seines Lebens gestellt hatte. „Nacktheit empfand ich von Anfang an nicht als Peinlichkeit oder etwas Verbotenes“, erklärte Rössler. So machte er sich ans Werk. Sein Vorbild: der italienische Maler Modigliani. Rössler arbeitete ohne großen Stab, Effekte und Aufwand.

Seine Bilder waren in der DDR Bückware. Sie erschienen in der kleinen aber begehrten Monatszeitschrift „Das Magazin“. Er fotografierte die Damenwelt gerne nackt aber genauso auch schick angezogen  für die Modezeitschrift „Sibylle“ oder die „Berliner Zeitung“. Rössler meinte mit einem Lächeln: „Die meisten Frauen, die ich liebte oder liebe, waren oder sind größer als ich.“ Seine Vorliebe galt natürlichen Motiven: „Juliette Greco beeindruckte ohne Spektakel. Große Wirkung durch das Einfache.“

 

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Günter Rössler. Berlin. 1966. Bildrechte: Günter Rössler.

 

Der „Helmut Newton des Ostens“. Dieses Prädikat konnte er partout nicht ausstehen. Inszenierung von exklusiver Schönheit der Reichen und Wohlhabenden waren ihm fremd. Rössler konzentrierte sich lieber auf Anmut und Wahrhaftigkeit von Schönheit. Am liebsten in Schwarz-Weiß, ohne Schnickschnack, wie er sich ausdrückte.  Nach  Wende und Siegeszug einer durchkommerzialisierten  Busenindustrie geriet der Leipziger Frauenfreund in eine tiefe künstlerische Krise. Er war ratlos. Rössler: „Aber die Kunst? Die Aktfotografie? Für wen? Und warum angesichts der Überfülle an Kunst und Künstlichem? Zwischen 1992 und 1995 fotografierte ich keinen Akt mehr.“

 

 

Voilà.  Mitte der neunziger Jahre erlebte er seine Wiedergeburt. Nach überstandener  Depression, erfolgreicher Herzoperation und junger Vaterschaft mit über siebzig Jahren zog er wieder los, um Frauen auszuziehen. Auf seine Art. Er schuf seine Welt mit Anna, Anastasia, Filia und wie sie alle hießen.

Die Ausstellung MEISTERFOTOGRAFIE. Günter Rössler & Michael Bader feiert in Leipzig noch bis zum 31.10.2016 den Fotografen, der die Frauen liebte – so wie sie sind.

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