„In Uffing wollte er sich erschießen“

Das Geburtshaus in Braunau soll abgerissen werden. Schluss mit dem Hitler-Rummel, sagen österreichische Behörden. Das wäre schade, meint Hobby-Historiker Harald Sandner. Er legte vor kurzem sein Mammutwerk vor: Hitler. Das Itinerar. Itinerar bedeutet so viel wie „Reiseroute“ eines Herrschers.  Jedem Krümel seines Lebens spürte der Coburger Geschichtsforscher mit Hilfe von Urkunden, Chroniken, Zeitungsartikeln und Tagebucheinträgen nach. Ein weltweit einmaliges Werk, an dem er Jahrzehnte arbeitete.

Der Mühe wert? Noch ein Hitler-Buch nach mittlerweile über achtzig seriösen Hitler-Biografien? Ja, schon stellt  das Itinerar stellt doch  etwas Neues dar. Die Sammlung ist Dokumentation, nicht Interpretation. Eine Art Hitler-Tagebuch, nur diesmal nicht gefälscht. Der methodische Ansatz: Hitler war ständig unterwegs. Das wird festgeghalten. Auf Reisen zelebrierte er seine Omnipräsenz und pflegte die propagandistische Inszenierung. Seine Botschaft: Ich bin überall. Hannah Arendt sagte dazu einmal: „Die Uneindeutigkeit des Machtzentrums ist das entscheidende Charakteristikum totaler Herrschaft.“

 

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„Unsern Hitler gibt uns täglich“. Itinerar-Forscher Harald Sandner. Foto: Philip Artelt.

 

Nehmen wir den 9. November 1923. Hitler ist auf der Flucht. Sein Marsch auf die Münchner Feldherrnhalle endet mit einem ausgekugelten Arm. Sein großangekündigter Putsch versinkt im Desaster. Es gibt zwanzig Tote. Hitlers linker Arm ist lädiert, weil der bei ihm untergehakte Max Erwin von Scheubner–Richter von Kugeln getroffen auf den Anführer der NSDAP fiel. Auf dem Fluchtweg über Pullach ins oberbayrische Uffing bleibt der Wagen mit Motoschaden stehen. Auf Nebenwegen erreicht Hitlers Flucht-Trio am Abend erschöpft das Anwesen der Erna Hanfstaengel in der Uffinger Rußbichlstraße 2.

 

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Fluchtpunkt Uffing. Rußbichlstraße 2. Quelle: Harald Sandner.

 

Was dann passiert, schildert Itinerar-Autor Harald Sandner so: „Hitler ist leichenblass und barhäuptig. Gesicht und Kleidung sind schmutzig. Er hält sich im ersten Obergeschoss auf. NSDAP und SA werden verboten. Bei einem Putschteilnehmer wird Hitlers Notverfassung gefunden, in der es heißt: „Alle in Deutschland aufhältliche Angehörige des jüdischen Volksstammes sind in Sammellager zu überführen.“

Am darauffolgenden Sonnabend beschattet ein Gendarmerie-Kommissar das Haus. Die Polizei hat Hitlers Schlupfloch in Uffing ausgekundschaftet. Am Sonntag, den 11. November 1923 gegen 17 Uhr umstellen sieben Polizisten das Bauernhaus. Hitler bemerkt die Falle, zieht seinen Browning-Revolver und will sich im Wohnzimmer töten. „Das ist das Ende! Mich von diesen Schweinen verhaften lassen … niemals! Lieber tot!“ Harald Sandner weiter: „Frau Hanfstaengl entwindet den Revolver durch einen Jiu-Jitsu-Griff. Hitler sitzt in einem Polstersessel im Schlafanzug mit blauem Bademantel, als er durch Oberleutnant Rudolf Belleville verhaftet wird.“

 

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Sandners Mammutwerk. „Hitler. Das Itinerar“.

 

Wenig später stellen die bayrischen Behörden einen Schutzhaftbefahl aus. Was wäre der Welt erspart geblieben, hätte nicht ein beherzter Griff einer Frau Hitler an seiner Tat gehindert. Ausführlich beschreibt Harald Sandner diese Szene und viele weitere aus den 11.443 Tagen im Leben des Diktators. Hitler. Das Itinerar. Aufenthaltsorte und Reisen von 1889 bis 1945. Vier voluminöse Bände. 2.432 Seiten. Stolzer Preis: 499 Euro.

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