Bauer mit Kultur
Er knipste das Licht aus. Wickelte die Genossenschaft ab. Schickte fast siebzig Mitarbeiter in die Marktwirtschaft. Aus und vorbei. Siegfried Naumann. Letzter Chef der LPG-Tierproduktion „Thomas Müntzer“ im kleinen märkischen Netzeband. Sein Betrieb hörte auf den Namen des Bauernführers. Gut tausend Schafe und hundert Milchkühe gehörten dazu. Karges Land, schlechte Böden. Viel Arbeit, wenig Ertrag. Gleich nach der Wende das Ende. Naumann nüchtern: „Wir haben die LPG aufgelöst, weil die Landwirtschaft unter kapitalistischen Verhältnissen eigentlich nicht machbar war“.
Siegfried Naumann ist ein pragmatischer Mensch. Und doch folgt er seinen Prinzipien. Er studierte Landwirtschaft und Pädagogik. Er liebte leidenschaftlich die Jagd und Arien von Wolfgang Amadeus Mozart. Er war ein passionierter Reiter und treuer PDS-Genosse. Ein gebildeter, lebenskluger Mann. Stets als Krisenmanager im Einsatz. In das abgelegene Netzeband kam er im Jahr vor der Wende weil die dortige LPG abgewirtschaftet hatte. Was er anfasste, hatte Hand und Fuß. Jetzt hörte das Herz auf zu schlagen. Mit 82 Jahren. Ein gesegnetes Alter – und doch reißt er eine Lücke.
Mit dem gebürtigen Sachsen Naumann traf ich mich letzten Sommer auf seiner Terrasse. Er war gerade von seinem Lieblingspferd verletzt worden. „Ich habe nicht aufgepasst, es kam von hinten, schubste mich. Ich habe wohl irgendeine Dummheit gemacht“. Aber er wollte lieber über sein Verhältnis zur Kultur reden. Naumann wollte den Bauern Musik und Theater näherbringen. „Wir hatten einen Freundschaftsvertrag mit der Komischen Oper Berlin. Dann haben wir geworben, dass Mitglieder unserer Genossenschaft und Dorfbewohner mitkommen, wenn wir mit Bussen mit 30, 35 Leuten nach Berlin fuhren.“ Ehefrau Gisela wirft ein: „Es gehört zur Wahrheit, dass sie sagten: Das ist nichts für uns! Machen wir nicht!“
Naumann lächelt verständnisvoll. Er machte einfach weiter: „Dann hat sich das nach und nach ergeben, als die ersten mitgingen, die wir belatschert hatten.“ Der Jagdhund zu seinen Füßen knurrt zufrieden. Mozart, Rossini und Verdi für die Menschen vom Land. Auch das war die DDR. Als die Planwirtschaft 1990 zusammenbrach, setzte er auf das, was ihm blieb: Kultur. Er unterstützte den zugereisten Landschaftsplaner Horst Wagenfeld. Der Düsseldorfer entwickelte Anfang der neunziger Jahre mit seiner Frau ambitionierte Theaterpläne. Naumann warb einen jungen talentierten Regisseur an. Er hieß Frank Matthus und war der Sohn des Komponisten Siegfried, den Naumann von der Komischen Oper kannte.
Naumann blieb Genosse, ging für die Linke, wie sie nunmehr hieß, in den Gemeinderat. Sein Herz aber schlug für den Förderverein. Beharrlich und konsequent unterstützte er den Anfang des Theatersommers von Netzeband. Er half Gorki und Goethe in die Provinz zu lohnen. Nun kamen die Städter aufs Land. Viele träumten von Idylle, Landlust und Selbstverwirklichung. Naumann blieb vorsichtig. Er räumt ein: „Wir hatten eine Voreingenommenheit gegenüber den Wessis.“
Das gemeinsame Projekt half Vorurteile zu überwinden. LPG-Chef Naumann und Landschaftsarchitekt Wagenfeld verstanden sich. „Ich habe viel von ihm gelernt. Ich habe auch politisch profitiert“, sagt Naumann und streichelt seinen Hund. Zehn Jahre später, Anfang 2000, scheiterte der Landschaftsplaner aus dem Westen. Er hatte sich übernommen, musste vier GmbHs in den Konkurs schicken. Genau wie Naumanns LPG einige Jahre zuvor. Tragisch nennt das Naumann. „Das habe ich nie begriffen. Er als eingefleischter Kapitalist hat so eine tolle Sache geplant und dann hat ihm die Bank den Kapitaldienst versagt.“
https://youtu.be/cPv9lH_23FU
Mit Kultur könne keiner reich werden, weiß Naumann. Aber Theater gebe den Menschen Hoffnung. „Schauen Sie sich heute um. Aus unserem Klein-Sibirien wurde ein einmaliges Theaterdorf. Er hat ein Denkmal verdient.“ Das sagte der alte Kommunist und ewig junge Opern-Liebhaber in seinem letzten Interview. So lernte ich Siegfried Naumann kennen. Ein Mann mit Kultur. Einfach, schnörkellos und überzeugend. Für ihn gilt das Hölderlin-Wort: „Wir, so gut es gelang, haben das Unsere getan.“