Sommer auf dem Land
Wohlfühlmagazine wie „Glücklich“ „Landlust“ oder „Ma Vie“ florieren. Gestresste Digitalos dürsten nach analoger Nestwärme. Die umgebaute Scheune in der Uckermark ist für viele Berliner Kultur- und Kopfmenschen ein erstrebenswertes Ziel. Auf jeder verfügbaren Grünfläche ziehen Großstädter Bohnen, Beeren oder Tomaten. Der Kampf mit der Feldmaus um gärtnerische Ernte-Hoheit ist zum Event der Saison geworden. Zurück zur Datsche, zur Laube, zum Schrebergarten! Unruhige Zeiten wecken den Wunsch nach Idylle, Gemeinschaft und Sicherheit. Derartige Garten-Bewegungen versprechen Antworten auf den optimierten Alltagskapitalismus.
So schwärmen Großstadtmenschen von Wiesengrün und Himmelsblau, Erdbraun und Ziegelrot. Nicht wenige zeigen eindeutige Symptome von Aussteigertum und Stadtflucht. Sie hassen Lärm jeder Art, suchen die Ruhe. Leere Häuser gibt es auf dem Land noch, wenn auch immer weniger. Es drängt die Städter aus dem boomenden Berlin ins Jrüne. So kommen sie am Wochenende auf dem Lande an, mit ihren teuren Halbschuhen. Doch länger als ein paar Tage halten es nur Hartgesottene aus.
Das Umland hat sich stark verändert. Eine Faustformel gilt: Je weiter von Berlin entfernt, desto leerer die Dörfer. Es sind längst reine Schlaforte. Wenn mehr als drei Frauen vor einer Haustür stehen, ist das ein seltener Anblick. Zudem besagt eine alte Regel, dass Neuankömmlinge drei Generationen brauchen, bis sie wirklich akzeptiert werden. Dabei sind mittlerweile selbst auf dem Land die meisten Bewohner Zugezogene. Für Verbrüderungsmaßnahmen mit Einheimischen eignen sich besonders Kümmerling oder, wenn es sein muss, auch der Kleine Feigling.
Der Städter fragt: was gibt es Neues im Dorf? – Was soll es Neues geben? lautet die Antwort. Die Tage kommen und gehen. Vor kleinen Büdnereien oder stillgelegten Bauernhäusern parken morgens und abends bunte Kleinwagen der ambulanten Pflegedienste. Zweimal die Woche kachelt der Bäckerwagen durchs Dorf und klingelt die Restbevölkerung zum mobilen Verkaufsstand. Kein Wunder: Alle Läden, Poststellen und Arztpraxen sind längst geschlossen. Ohne Auto geht gar nichts. Die Feuerwehr kann nur noch am Wochenende ausrücken, wenn überhaupt.
Im Sommer huschen bepackte Radfahrer vorbei. Junge Leute, Familien, kleine Gruppen, Professionelle. In der Regel starren sie auf ihren Navi am Lenker. Keine Zeit, das nächste Etappenziel muss erreicht werden. Die Sehnsucht treibt sie voran. Immer weiter, immer schneller. Nur wohin? So übersehen sie die kleinen Begebenheiten, wie sie sich nur in der ländlichen Provinz ereignen können. Das Weinregal in einem der wenigen noch verbliebenen Tante-Emma-Läden ist leer. Frage an den Verkäufer, was denn los sei. Dessen knappe Antwort: „Wir machen jetzt DDR-Wochen.“