Über richtiges Verhalten bei Weltuntergang
Atomschlag. Armageddon. Flüchtlingsströme. Börsenkrach. Schuldenkrise. Klimakollaps. Jüngstes Gericht. Egal, wie dickhäutig oder zartbesaitet der moderne Zeitgenosse ist: Der nächste Weltuntergang steht offenbar vor der Tür. Aber wann genau? Und wo? Wen trifft es? Welche Musik hört man dazu? Wie bereitet man sich vor? Kann man sich schützen? Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, abgekürzt BBK, empfiehlt offiziell und mit aller Dringlichkeit, Vorsorge zu treffen. Jetzt. Sofort. Ohne Ausreden.
Wie wäre es mit einem Notkoffer? Ein Journalist der seriösen Zeit hat sich seine Überlebens-Kiste für alle Fälle schon gepackt. Was kommt rein? Ein Radio, empfiehlt er, das mit Batterie, Kurbel oder Solarzelle betrieben werden kann. Natürlich Kerzen, Decken, Reservebatterien. Dazu Konserven und einen Gaskocher. Ferner Erster-Hilfe-Kasten, Schmerzmittel, Antibiotika, Brandsalbe und Desinfektionsmittel. Ganz wichtig ist Wasser in ausreichender Menge. Am besten bei Alarm sofort die Badewanne volllaufen lassen, rät das BBK. Das ergebe rund 120 Liter Reserve. Denn die Pumpen, die frisches Wasser aus der Leitung garantieren, fallen nach einem Stromausfall ziemlich schnell aus.
Ein Krisenszenario für durchgeknallte Weltverschwörungsfreunde? Oder für Reichsbürger, die sich für den Endkampf wappnen wollen? Der Zeitreporter wehrt alle Einwände ab. Er sagt, er wisse, dass ein Atomschlag nicht zu überleben sei, aber unterhalb dieser Schwelle gebe es Szenarien, die weitaus wahrscheinlicher seien. Ein manipulierter Stromausfall beispielsweise reiche aus. Nichts funktioniere mehr. Kein Internet, kein Nahverkehr, kein Krankenhaus. Ein Leben ohne funktionierende Ampeln, Kühlschränke und Notrufsysteme sei alles – nur nicht sicher. Flucht sinnlos.
Das BBK, die Behörde der amtlichen Katastrophenschützer, geht im Krisenfall von neunzig Prozent gesetzestreuen Bürgern aus. Die restlichen zehn Prozent würden sich über alle Gesetze stellen und das Faustrecht bevorzugen. Das Leben auf Straßen, Plätzen und Bahnen würde folglich äußerst ungemütlich werden. Also zuhause bleiben. Im Keller. Mit Familie, Freunden, Nachbarn. In unserem Berliner Mietshaus existieren übrigens noch die Türen vom alten Luftschutzbunker von 1945. Sie ächzen und quietschen erbärmlich, wenn sie bewegt werden.
Solche verstörenden Gedanken will ich lieber abschütteln wie eine lästige Mücke an einem lauen Sommerabend. Krise ist ein produktiver Zustand, sagt Max Frisch. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen. Was tun? Notkoffer packen oder es besser sein lassen? Der Zeit-Reporter hält seine Vorsorge-Kiste nicht für ängstlich, sondern für vernünftig. Sind die Zeiten reif um Karl Kraus wieder aus dem Regal zu holen? Seine „Letzten Tage der Menschheit“ veröffentlichte er 1918, vor genau einhundert Jahren. Bei dem Wiener Satiriker Kraus heißt es dann: „Das Leben geht weiter! – Als es erlaubt ist.“