Von Hoffnungen und Pleiten

Aurel schlängelt sein Taxi sicher durch den ruppigen Verkehr von Bukarest. Wenn es sein muss, hupt er sich den Weg frei. Der kräftige Mann kennt sich aus. Wir fahren zum Haus der Presse. Ein riesiger Stalin-Bau nach Moskauer Vorbild. Dort soll einmal mein rumänischer Verlag gewesen sein. Aurel ist Anfang vierzig, wir kommen ins Gespräch. „Rumänien ist ganz großer Mist. Schrecklich.“ Er will weg. Warum? Aurel aktiviert seinen kleinen Bildschirm neben dem Taxameter, zeigt Familienfotos.

 

Mit der Dacia-Taxe von Aurel quer durch Bukarest.

 

„Das ist mein Sohn Alexander, sieben Jahre alt“, erklärt er stolz. „Zweite Klasse.“ – Wo ist seine Frau? Seine Miene verdunkelt sich. – „Sie arbeitet in Germania.“ In Meiningen, erfahre ich, in Thüringen. Aurel verständigt sich mit Händen und Füßen. Englisch fällt ihm schwer. Er malt auf seinem Notizblock Wörter, Linien und Bilder, wenn ich ihn nicht verstehe. Seine Frau jobbt in Deutschland. Auch er will nur noch weg. Die Trennung sei nichts für die Familie. Aurel lebt das rumänische Drama. Ein Brain Drain ohne Ende. Über vier Millionen Rumänen haben ihr Land seit dem EU-Beitritt vor zehn Jahren verlassen.

 

„Verrat stirbt nie“. Wie geht es dem rumänischen Verlag? Wer sind die Herausgeber? Hat das Buch Leser gefunden?

 

Aurel zuckt mit den Schultern. „Das Land hat keine Zukunft.“ Taubenzüchten ist sein Hobby. Seine geflügelten Freunde können überall hinfliegen. Nur er nicht. Er kann nur Taxifahren. Wir halten am Haus des Volkes. Auf den Palast ist er stolz. Der „Sohn der Sonne“ – Rumäniens gestürzter Ex-Diktator Ceausescu – hatte den gigantischen Kasten von zwanzigtausend Arbeitern in nur fünf Jahren errichten lassen. Als wir die russische Botschaft passieren, erklärt er: „Putin ist stark. Ein Mann der Vertikalen.“ Aurel malt mit den Händen in seiner kleinen Dacia-Taxe eine gerade Linie von oben nach unten. „Kein hin und her. Er weiß, was er will. Ein Schachspieler, ein Stratege. Kein Clown wie Trump.“ Aurel findet Putin gut, obwohl er die Russen nie mochte.

 

Vorne ein Denkmal für die „Opfer des Kommunismus“. Im Hintergrund das „Haus der Presse“ in Bukarest. Es steht heute weitgehend leer.

 

Ankunft Haus der Presse. 2009 wurde mein Buch Verrat verjährt nicht in Rumänien veröffentlicht. Nun erfahre ich: Seit 2015 ist der Verlag mit dem weltläufigen englischen Namen „House of Guides“ pleite. Im einstigen kommunistischen Verlagshaus residierte er einmal. Der Chef war der bekannte rumänische TV-Moderator Mihai Totulici, sozusagen der Plasberg von Rumänien. Vor einiger Zeit verschwand er spurlos von der Bildfläche. In der rumänischen Variante wurde aus Verrat verjährt nicht der entschieden härtere Titel „Verrat stirbt nie“. Es nutzte offenbar nichts. Wie viele Bücher einen Leser fanden, warum der Verlag in Konkurs ging, werde ich wohl nie erfahren.

 

Kein Verlag mehr. Keine Bücher mehr. Alles pleite. Taxifahrer Aurel hält meine vergebliche Suche in Bukarest mit einem Foto fest.

 

Literatur hat es im heutigen Rumänien schwer. Der Alltag lastet auf den Menschen. Die Krankheit des Landes? Korruption. Ein Krebsgeschwür. Dazu schlecht bezahlte Jobs und steigende Preise. Acht Euro kostet ein Buch, bei fünfhundert Euro liegt der Durchschnittslohn. Taxifahrer Aurel hat die Nase voll. Auch er will die Heimat verlassen. Aber wohin? Einfach losfliegen wie seine Tauben kann er nicht. Eigentlich möchte er sowieso viel lieber zuhause bleiben, deutet er an. Wenn nur seine Frau wieder zurück wäre. Nach zwei Stunden Fahrt durch Bukarest steht der Taxameter bei 47 Lei. Das sind etwas mehr als zehn Euro. Ich gebe ihm zwanzig. Er lächelt freundlich und fragt noch, ob ich in Germania Arbeit für ihn hätte?

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