Archive for : Oktober, 2019

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„Wahnsinn“

Es war einmal ein Land, das geteilt war. Das ist lange her. Heute teilen wir alles. Berlin, Deutschland, Europa und die Welt. Genau wie unsere Gefühle und Emotionen: Liebe, Hass, Leidenschaft, Wut, Überzeugungen, Ideologien, Hoffnungen, Enttäuschungen, Resignation, Trauer.

Sofort, per Klick, rund um die Uhr. Wir teilen auf facebook, twitter, instagram, telegram, tiktok. Make your day. Real people. Real videos, heißt es in den digitalen Netzwerken. Dort findet heute der Kalte Krieg statt. Wir teilen aus, teilen uns mit, teilen die Welt ein in Gut und Böse. Im einst durch Mauer und Stacheldraht eingeschnürten Land gab es eine geflügelte Redewendung. „…in dieser Frage sind wir aber absolut geteilter Meinung.

 

10.315 Tage hielt das deutsche Symbol von Abgrenzung und Abschottung. Die Mauer an der heutigen Wilhelmstraße, am Finanzministerium. Vorher Treuhand, zuvor Haus der DDR-Ministerien, davor Görings NS-Reichsluftfahrtministerium… Quelle: BSTU.

 

Vor genau dreißig Jahren war ich mit Notizblock und Stift unterwegs. Mobiltelefon, Laptop, IPad? Unvorstellbar! Aber ich traf reale Menschen, stellte reale Fragen und versuchte reale Filme zu drehen. Das reichte in den späten achtziger Jahren als Ansporn und Ausdruck. Am 9. November 1989 war ich die ganze lange Berliner Nacht unterwegs. Mit meinem Team Michael Koltermann, Hartmut Pauls und Marco Mangelli. Ihnen meinen Dank. Wir waren mittendrin, nicht nur dabei. Wir drehten, bis die Kassetten ausgingen und wir vor Müdigkeit fast umfielen. Es waren Momente, in denen Gänsehaut unser Begleiter war. Menschen wie du und ich rüttelten an der Mauer. Kein Politiker, kein Regime, kein Militär konnte die Menge aufhalten. In Berlin und anderswo.

 

Ohnmächtige DDR-Grenzer. Von oben keine Befehle, vor ihnen das Volk, hinter ihnen 28 Jahre Druck, Drill, Stress. Sie taten in dieser Nacht das einzig Richtige. Sie schossen als Angehörige der Nationalen Volksarmee nicht auf das eigene Volk. In der Stunde ihrer absoluten Niederlage errangen sie ihren größten Erfolg.  Foto: Die letzte Truppe ZDF.

 

Der 9. November 1989 war für mich ein Glücksfall. Als junger Reporter traf ich in dieser Nacht am Brandenburger Tor so viele fröhliche, friedliche und feiernde Menschen wie nie zuvor und auch nicht mehr danach. Sie kamen von überall, aus Ost und West. Alle einte der Wunsch, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Was viele umsonst mitbrachten – ungläubiges Staunen! Kein Schuss fiel. Nur und ab und zu krächzten Stimmen aus Armee-Lautsprechern, die aufforderten die Staatsgrenze der DDR sofort zu verlassen. Doch niemand rührte sich. Das Grenzregime war am Ende und das Wort des 9. November 89 war geboren – Wahnsinn.

 

Brandenburger Tor. Hauptstadt der DDR. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 2019. Gegen ein Uhr früh. Blick von Ost nach West am Pariser Platz.

 

Erinnern wir an diese Stunden als die Mauer in Berlin fiel, die so viel Leid, Tränen und Tote brachte. Und fragen nach, was aus diesem Glücksmoment der deutschen Geschichte geworden ist. Ein Fest ohne Buden, Gourmet-Meile, Kommerz. Ich teile hier 45 Minuten meiner Erlebnisse und Erfahrungen vom 9. November 1989 – mit realen Menschen und realen Bildern.

 

Demnächst mehr.

Mit-Gefühl – Feeling

Sie ist jung, talentiert, sieht gut aus und wird als Jazz-Wunder in den Medien gefeiert.  Sie selbst ist bescheiden geblieben. Kinga Glyk. Singen kann sie nicht, sagt die junge Polin über sich selbst. Will sie auch nicht. Lieber beherrscht sie ihren Bass wie keine andere ihrer Generation. Dabei ist der Bassist in der Regel männlich, eher zurückgezogen und zupft diskret im Hintergrund. Als Instrument übernimmt der Bass vorzugsweise eine dienende Rolle. Nicht bei Kinga Glyk. Virtuos entwickelt die Polin auf ihrem Lieblingsgerät eine eigene Handschrift, die überrascht und überzeugt. Kinga ist mittlerweile zwanzig Jahre alt. Sie gilt als eines der großen Talente im europäischen Jazz.

Kinga ist ihr polnischer Vorname und bedeutet auf Deutsch Kunigunde. Glyk kommt aus dem Griechischen und steht für „süß schmeckend und Zucker“. Kinga Glyk stammt aus einer polnischen Musikerfamilie. Vater Irek ist ein versierter Schlagzeuger, ihr Bruder ebenfalls Musiker, meistens sitzt er am Mischpult. Die Mutter organisiert das Management. Lange funktionierte die Band als Familienbetrieb. Mit zwölf begann Kinga den Bass zu entdecken. Nun legt sie ihr neues Album in verändeter Besetzung vor. Anfang November erscheint Feeling.

 

 

„Als Kind interessierte ich mich für den Bass, weil er mir eine ungewohnt kraftvolle Stimme gab, die ich damals nicht besaß“, erinnert sich Kinga. „Inzwischen sind seine Sounds längst zu meiner eigentlichen Sprache geworden, in der ich meine Empfindungen viel intensiver ausdrücken kann.“ Für Feeling komponierte sie sieben Stücke. Zwei weitere schrieb sie zusammen mit ihrem Pianisten und Produzenten Pawel Tomaszewski.

Ihr neues Album zollt dem Mainstream bei einigen Titeln Tribut. Zum Beispiel bei 5 Cookies, eine der ersten Auskopplungen. Jazz-Puristen werden die Nase rümpfen und solche populären Abstecher als Himbeer-Jazz verdammen. Zu süß? Zu seicht? Zu leicht? Von wegen. Kinga Glyk ist live ein Erlebnis. Da kann sie zeigen, wie sie modernen Jazz präsentiert. Ungeschminkt, voller Energie und mit dem richtigen Feeling.

 

 

Hier einige deutsche Tourneedaten für den Herbst 2019.

7.11.      Hamburg, Fabrik

8.11.      Göttingen, Festival

9.11.      Leverkusen, Jazztage

10.11.   Hannover, Pavillon

11.11.   Oldenburg, Kulturetage

12.11.   Marburg, KFZ

13.11.   Dresden, Jazztage

14.11.   Karlsruhe, Tollhaus

16.11.   Nordhausen, Theater

17.11.   Koblenz, Café Hahn

19.11.   Unna, Kühlschiff

20.11.   Mainz, Frankfurter Hof

Seelen-Futter

Je älter desto besser? Tja. Sagt man so. Gilt das auch für Van the Man? Für den Nordiren Van Morrison, der auf den Bühnen der Welt so gerne übelgelaunt die beste weiße Bluesperformance in die Herzen seines Publikum trägt. Und das seit über fünf Jahrzehnten. Ja, richtig. Es stimmt. Der Mann ist wie guter Wein. Und: Je trostloser die Lage, desto besser der Sound? Auch das trifft zu. Sir Van Morrison, von der Queen vor einigen Jahren geadelt, legt in diesen Tagen sein neues Album vor. Sein wievieltes? Ich weiß es nicht. Es sind so viele.

Was ich aber weiß: In Zeiten von Attentaten, Anschlägen, Brexit-Gezerre, zynischen Eliten, Kriegen und Klima-Turbulenzen soll, kann und will Van Morrison die aufsteigende Seelenpein mit Musik heilen. Die Vorab-Auskopplung ist jetzt online und zu hören: In the dark night of the soul.

 

In the dark night of the soul

Meditate on this and it will be revealed
Meditate on this and you will get healed
Meditate on this and you will feel whole
Get the vision of the ghost, again

 

 

Das komplette neue Album „Three Chords And The Truth“ erscheint Ende Oktober 2019. Es ist bereits sein sechstes Werk allein in den letzten vier Jahren. Van Morrison ist mit seinen mittlerweile 74 Jahren offenbar nicht mehr zu stoppen. Als renne er wie ein 100-Meter-Läufer gegen alle Stopp-Uhren an. Der Mann aus Belfast ist produktiver denn je. Three Cords verspricht sein bestes Album seit langer Zeit zu werden, mutmaßen Kritiker. Der ausgekoppelte Song In the dark Night of the soul ist auf jeden Fall typisch ungeschminkter Van-The-Man-Sound. Einfach, klar, unverfälscht. Und Balsam für die geschundene Seele.