Urlaub von Corona
Wer hier zu Fuß unterwegs ist, macht sich schnell verdächtig. Ein Fremder? Bestimmt! Vermutlich ein Stadtmensch, sicher ein Berliner. Wanderer sind selten. Spaziergänger absolute Exoten. Der misstrauische Blick fragt: woher des Weges? Was wollen Sie hier? So ist das in der Prignitz. Auf halbem Wege zwischen Berlin und Hamburg. Das leere, flache Land mit endlosen Feldern, einsamen Wäldern mit einem weiten Himmel bis ans Ende der Welt. Was es sonst noch gibt? Landschaft, einfach nur Landschaft, nichts weiter. Willkommen in der Mark! In Corona-Zeiten ist es eine ganze Umdrehung noch stiller als üblich. Ein heftiger Platzregen kann das Aufregendste sein. Plipp, plop plattert es spritzig aus schweren Wolken! Lustige Kringel bilden sich in den Pfützen. Einsam zieht der nasse Wanderer seine Runden.
„Wollense rin?“, ruft der Mann aus dem Lieferwagen und bremst direkt vor uns. Wir stehen etwas unschlüssig vor einer märkischen Dorfkirche allerdings von stattlicher Größe mit einem auffallend schönen schlanken Turm. Friede sei mit Euch, heißt es über dem Portal. Der Mann aus dem Lieferwagen zückt den Schlüsselbund und öffnet die Dorfkirche von Teetz. Nun ist sein persönlicher Rede-Schalter umgelegt. Der Mann in Arbeitshosen vom lokalen Förderverein legt los. Wir erfahren alle Einzelheiten aus der Geschichte seines Ortes. In der Kirche sei alles selbstgemacht. Gegen die Amtskirche habe man sogar klagen müssen, weil sie die „uns die Rechte für unsere Kirche wegnehmen wollten“.
Der Prozess ging für die Teetzer gut aus. So bestaunen wir in einer halbsanierten Dorfkirche Bilder vom Abendmahl und Aposteln, während die Farbe an Wänden abblättert. Doch die Orgel ist komplett saniert, „geschenkt von der Berliner Nikolaikirche“. Die schicken Kronleuchter sind in Stettin aufpoliert worden, „auch umsonst, von den Polen, hat aber ein dreiviertel Jahr gedauert“. Studenten aus Aachen haben ein Sanierungskonzept erarbeitet, die Professorin hatte sich in die Kirche verguckt. „Ja, eine Hand wäscht die andere“. Nur es fehlt an Geld und genau genommen an Gemeindemitgliedern. Die Kirche mit ihren vielleicht 150 Sitzplätzen ist viel zu groß. Wenn zehn Besucher zum Gottesdienst kommen, betet der Pastor ein Extra-Vater unser. Aber da er sechzehn Gemeinden zu betreuen habe, berichtet der Teetzer, sehe er Kirche und Gemeinde sowieso nur wenige Male im Jahr.
Rund die Hälfte der Teetzer sind zugereiste Berliner, so der Anfang Sechzigjährige. Beliebt sei das Dorf besonders bei „Pensionären“, die dem Großstadttrubel entwachsen sind. Aber „ein paar Verrückte“ pendeln täglich. Teetz sei internationaler geworden. Es leben hier Kroaten und Engländer. Der kräftige Teetzer schließt die Kirche wieder ab, er muss zum Rasenmähen bei einer alten Dame. „Macht ja sonst keener“. Wir gehen durchs leere Dorf. Das Antiquariat eines Berliner Paares mit Kaffee, Kuchen und Kulturprogramm hat nach ein paar Jahren wieder aufgegeben. Genau wie der Ferienhof gegenüber. Die Besitzer hatten die Nase voll. Dieses Paar habe auch verkauft, erzählt uns noch der Kirchenmann, zehn Jahre Tourismus mit verwöhnten Feriengästen – na,ja – das reicht wohl. Sobald das Wetter schlecht sei, waren die Gäste wieder weg oder sind gar nicht gekommen.
Wer zu Fuß von Dorf zu Dorf geht, fällt in der Prignitz auf. Egal ob in Teetz, Bork oder Wutike. Rennradler mit teurer Sonnenbrille, viel zu engem Dress und verbissenem Blick sind auf dem Land wohl vertraut. Sobald Wanderer kommen, bellt der Hund und setzt der Märker seinen skeptischen Is-wohl-ein-Berliner-Blick? auf. Aber sollten sie auftauen, können sie viel erzählen, von der Schönheit und Langeweile des Landlebens. Ob mit oder ohne Corona. Da kannste eh nichts machen…