Mit dem Kopf durch die Wand
Wozu sind Menschen fähig? Wann verweigern sie sich? Eine alte Formel sagt: Vierzig Jahre Machterhalt sind ein einigermaßen verlässlicher Richtwert. Vierzig Jahre brauchte es, bis Moses sein Volk ins Gelobte Land führen konnte. Vierzig Jahre hielt das DDR-Versprechen einer neuen Gesellschaft, bis sie zusammenbrach. Seit über dreißig Jahren regieren die neuen Masters of the Universe. Die gutverdienenden Piloten des Turbo-Kapitalismus. Die smarten Chefs von Amazon bis Google. Auch sie versprechen eine bessere Welt.
Die DDR sicherte ihr „Paradies“-Versprechen mit Hilfe von Mauern und einem hoch gerüsteten Apparat. In vierzig Jahren Grenze standen über 500.000 Deutsche in der Uniform der DDR-Grenztruppen. Wer waren diese Menschen? Wie denken Sie heute? – Sie hatten mit der Waffe den Schutzwall gegen Imperialismus, Revanchismus und Faschismus zu verteidigen. So verklärte die SED-Propaganda bis zum letzten Tage ihr Monument der Abschottung. Viele Familien in der DDR hatten Angehörige, die „an die Grenze“ mussten. Sie wurden nach der Wende Unternehmer, Verleger, Bürgerrechtler, Immobilienmakler, SED-Opferbeauftragter oder Ministerpräsident. Das Schweigen über ihre Grenz-Erfahrungen ist das einigende unsichtbares Band, das sie verbindet.
Nach Jahren der Recherche konnte ich das Vertrauen von einigen Ex-Grenzern gewinnen. Mich interessierte, wie die damals 18- bis 20-jährigen mit der Last ihrer Verantwortung umgingen. Denn das System überließ am Ende jedem einzelnen Soldaten ein folgenschweres Dilemma. Was tun, wenn plötzlich im Abschnitt jemand flüchten will? Schießen oder laufen lassen? Ein irrer Konflikt, der meine Gesprächspartner bis heute belastet. Ich lernte, dass einige aus Idealismus, andere aus Überzeugung, die allermeisten jedoch ängstlich und total gestresst ihre Zeit an der Grenze absolvierten. Der innerdeutsche Todesstreifen war das Kainsmal der DDR. Bei „Grenzalarm“ war auf Flüchtlinge zu schießen war, um „Grenzverletzer“ wie es in der Vergatterung hieß, zu „vernichten“.
Lied der Grenzer, 1981
„Wir Grenzsoldaten halten Wacht, sind nicht zu überlisten. An unseren Grenzen bricht die Macht der Imperialisten. Es hat sich schon so mancher hier den Schädel eingerannt. In unser Haus geht´s durch die Tür und nicht durch die Wand.“
Die ganze Perfidie dieses Grenzregimes zeigte sich nach der Einheit. Für Kalte Krieger blieben DDR-Grenzer eine „Mördertruppe“. SED-Altkader sprachen hingegen von westlicher „Siegerjustiz“. Die Folge: Abertausende Menschen im einstigen Sperrgebiet zogen sich zurück, verhüllten sich mit einem dicken Mantel des Schweigens. Grenzer wurden nach der Stasi zum Sündenbock, zum Symbol des Scheitern eines Systems. Bloß nichts sagen! Vergessen jedoch wird, dass die Grenzsoldaten in der Stunde ihrer größten Niederlage ihren wichtigsten Erfolg errangen. Sie ignorierten in der Nacht der Maueröffnung bestehende Befehle und folgten dem gesunden Menschenverstand. Sie standen am 9. November 1989 an der Seite des Volkes. So machte die Nationale Volksarmee ihrem Namen als Armee des Volkes alle Ehre.
Im September 2020 ist meine 45-minütige ZDF-Dokumentation im ZDF-Hauptprogramm und auf ZDF-Info zu sehen. Hier bereits vorab online „Am Todesstreifen – DDR-Grenzer erzählen“
Sehr geehrter Herr Läpple,
zufäiig habe ich gestern Ihren Film „Am Todesstreifen – DDR-Grenzer erzählen“ in der Mediathek entdeckt.
Der Film hat mir recht gut gefallen, da er sich um Ausgewogenheit bemühte, zudem rein von der Filmerei auch technisch gut gelungen.
Als ehemaliger Grenzer, Waffengattung Pionier (3 Jahre Unteroffizier auf Zeit) war ich in den drei Jahren mit dem Aufbau und der Wartung sogenannter „Sebstschussanlagen“, amtliche Bezeichung „Gerät 501“ und SM 70, beschäftigt, bin also vom Fach.
Ich war sogar mal für ein paar Sekunden mit Maschinenpistole in der BRD, das war aber nicht befohlen, sondern ergab sich aus Langeweile.
Gerne können Sie mit mir Kontakt aufnehmen.
Sehr geehrter Herr Läpple,
ich bin es noch mal, ein Nachtrag zu meinen Kommentat zur Ihrem Film „Am Todesstreifen“
Wenn Herr Pergande behauptet, er hätte bei den Grenztruppen Dienst verrichten „müssen“, halte ich das für ein Fake News.
Nach meiner Kenntnis reichte es aus, wenn man bei der Musterung bei einer beabsichtigten Heranziehung zur Grenze erklärte, dass man im Ernstfall nicht auf Flüchtende schießen würde und dann ist man auch nicht an der Grenze eingesetzt worden, bestenfalls irgendwo im Hinterland, also zum Beispiel im Grenzkommando Nord in Stendal. Aber wohl grundsätzlich dann eher bei der NVA.
Frank Pergande (* 1958 in Berlin) ist ein deutscher Journalist und Buchautor.
Leben
Pergande wuchs in der DDR auf und studierte in Leipzig Journalistik. 1982 schloss er sein Studium mit der Diplomarbeit Zur Geschichte der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung’ – ein Beitrag zur Erforschung der Funktion des imperialistischen Journalismus in der BRD ab. Dabei betrachtete er unter anderem die „Rolle der FAZ im staatsmonopolistischen Apparat der Manipulation in der BRD“.[1]
Später arbeitete er bei verschiedenen Lokalzeitungen, bevor er 1998 zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung kam. Er war bis Juli 2017 politischer Korrespondent des Blattes für die norddeutschen Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Seit August 2017 schreibt er für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit Sitz in Berlin.[2]
https://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Pergande