Die Hauptmänner von Köpenick

Die Stufen zum imposanten Rathaus Köpenick hinauf. „Wo wollen Sie hin?“ schnarrt es aus der Pförtnerloge. „Zum Hauptmann.“ – „Dann tragen Sie sich mal ein. Name, Adresse. Beginn und Ende des Besuchs!“ hallt es preußisch-knapp durch die Lobby. Ohne Formular geht nichts. Nicht in Corona-Zeiten, nicht in Köpenick. Wenn die Formalitäten erledigt sind, darf der Besucher – „den Gang rein, dann rechts rum!“ – zwei kleine Ausstellungsräume besuchen. Es lohnt sich.

Über den Schuhmachergesellen und „Berufsverbrecher“ Wilhelm Voigt ist Spannendes zu erfahren. Über seinen „Geniestreich“ vom Herbst 1906. Als er das kaiserlich-militärische Berlin vorführte, mit seinem Uniformtick, dem Prinzip „Befehl ist Befehl“ und Kadavergehorsam bis in die Haarspitze. So eroberte der falsche Hauptmann die Stadtkasse.

Die erste Kinoverfilmung von 1931.

 

 

Wilhelm Voigt aus Tilsit war der geborene Verlierer. Die Hälfte seines Lebens saß er wegen kleiner Betrügereien hinter Gittern. „Ick hab im Knast Fußmatten hergestellt, auf der alle rumtrampeln“, sagte er einmal. Als er 1906 mal wieder entlassen wird, bekommt er keinen Ausweis. „Ohne Pass keine Arbeit, keine Arbeit ohne Pass! Das Leben ist wie eine Kaffeemühle. Du wirst ständig im Kreise durchgemahlen“, verzweifelt Voigt. Was bleibt ihm? Er braucht einen Pass. Er organisiert eine Offiziersuniform, schnappt sich in der Jungfernheide eine Handvoll Rekruten. Mit denen fährt er raus nach „Cöpenick“, damals noch mit C geschrieben.

 

Das Objekt der Begierde des Schusters Voigt. Die Stadtkasse von Köpenick.

Die Truppe besetzt das Rathaus. Einen Pass gibt es nicht. Also beschlagnahmt Voigt die Stadtkasse mit 4.000 Reichsmark. Er quittiert den Betrag, bemängelt jedoch, dass „37 Pfennige nicht ordnungsgemäß“ verbucht seien. Er setzt Bürgermeister und Stadtkämmerer fest, genießt im Ratskeller „Süsskotelett mit Molle“, beschlagnahmt sechs Zigarren à 30 Pfennige. Der Coup gelingt ohne schriftlichen Befehl. Die Uniform reicht. „Jawoll, Herr Hauptmann!“ Natürlich fällt die Eulenspiegelei bald auf. Da Schadenfreude wohl die schönste aller Freuden ist, lacht die ganze Welt über die „Köpenickiade“. Eine Legende wird geboren.

 

Die Akte „Wilhelm Voigt“. Selbsternannter „Hauptmann von Köpenick“.

 

Seit vielen Jahren mimt der Schauspieler Jürgen Hilbrecht den „Hauptmann von Köpenick“. Über 7.500 Mal hat der 77-jährige den Schuster Voigt mittlerweile zum Leben erweckt. Jeden Sonnabend um 11 Uhr im Rathaus-Innenhof. Eine Touristenattraktion. Jetzt pausiert er. Denn der Schauspieler hatte in seinem Leben eine weitere Rolle übernommen. Viele Jahre diente er am Theater in Brandenburg/Havel als IM, als Informant der DDR-Staatsmacht. Er berichtete unter seinem Spitznamen „Hilli“ von einer „zehnköpfigen Oppositionsgruppe mit sozialismusfeindlichen Ansichten “. Von diesem Kollegenkreis fühlte er sich gemobbt. Hilbrecht spielte damals den Faust. Nach der Wende fand er im Hauptmann von Köpenick seine Paraderolle. Dafür erhielt er sogar einen Orden. Wann spielt er wieder?

Wenn der Besucher die lehrreiche Ausstellung verlässt, ist die „korrekte Zeit des Verlassens“ beim Pförtner mitzuteilen. Dabei kann ein Fahndungsplakat der Polizei nicht übersehen werden. Gesucht wird der flüchtige Jan Marsalek, wegen „gewerbsmäßigen Bandenbetruges in Milliardenhöhe“. Marsalek war Vorstandsmitglied des Betrugsunternehmens Wirecard AG. Einer der vielen modernen Hauptmänner von Köpenick.

 

Gesucht! Internet-Betrüger Jan Marsalek. Vorstandsmitglied Wirecard AG.

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