Archive for : Februar, 2022

Zarte Pflanze Demokratie

Wiederholt sich Geschichte? 1938 erfolgte der Einmarsch von NS-Truppen in die Tschechoslowakei, um das Sudetenland „heim ins Reich zu holen“. 1968 folgte der Einmarsch der Roten Armee in Prag, um „Ruhe und Ordnung wiederherzustellen“. Wladimir Putin rechtfertigt seine Invasion, die Ukraine bereite einen „Genozid“ vor, das Land müsse „entnazifiziert“ werden. Grotesker Höhepunkt einer Desinformationskampagne und moralischer Tiefpunkt des Mannes im Kreml. In Kiew ist ein gewählter ehemaliger TV-Komiker im Amt. „Wie könnte ich ein Nazi sein?“, fragt Wolodymyr Selenskyj, der selbst Jude ist. Will Wladimir Putin mit seiner Invasion den 44-jährigen Präsidenten entnazifizieren?

Um die Welt vom Kopf auf die Füße zu stellen, möchte ich an einen 100-jährigen Veteranen erinnern, der im II. Weltkrieg gegen echte Nazis gekämpft hat, die einen unvorstellbaren Genozid durchzogen. Er wagte alles: als Deutscher und als Jude. In der Uniform eines US-Offiziers, übrigens an der Seite der Sowjetunion. Sein Name ist Günther Stern. Der gebürtige Hildesheimer, Jahrgang 1922, ist eine lebende Legende. Er hat Kopf und Kragen für die Demokratie riskiert. Es hat sich gelohnt, sagt er.

 

Guy Stern, Jahrgang 1922. Ein Deutscher in US-Uniform. Angehöriger der legendären „Ritichie Boys“, benannt nach ihrem Ausbildungscamp in Maryland, USA.

 

1937 konnte er mit Hilfe eines lebensrettenden Visums in die USA flüchten. Da war er gerade 15 Jahre alt. Seine zurückgebliebene jüdische Familie überlebte den Holocaust nicht. Als Hitler 1941 Washington den Krieg erklärte, wurden im Camp Ritchie, Maryland, junge Deutsche zu einer Spezialeinheit ausgebildet. Nicht wenige von ihnen waren Jungs wie Günther, der sich fortan nur noch Guy nannte. Leute wie er wurden zunächst als feindliche „Aliens“ verschmäht. Sie sollten als Ritchie Boys Teil der psychologischen Kriegsführung werden. Knapp 10.000 junge Hitler-Gegner durchliefen das Camp.

 

Guy Stern als US-Offizier im II. Weltkrieg. Im Sommer 2021 erzählte er mir, wie er als Offizier der Roten Armee mit dem Fake-Namen Krukow bei den Verhören mit widerwilligen NS-Offizieren sichtbare Erfolge erzielte. (in deutscher Sprache ca. 7 Minuten)

 

Mit 22 Jahren kehrte Guy Stern in US-Uniform nach Europa zurück. Ab Sommer 1944 war er vor und hinter der Frontlinie undercover in geheimer Mission unterwegs. Niemand kannte den Nazi-Feind besser als die Ritchie Boys. Dessen Stärken, dessen Schwächen. Vom D-Day in der Normandie bis zur deutschen Kapitulation. „Wir hatten mehr Mut als Verstand“, betont Guy, der mit Waffen überhaupt nicht umgehen konnte. Seine Waffe war das Wort. Der Hildesheimer verhörte KZ-Aufseher und fanatische SS-Offiziere. Aber auch prominente Gefangene wie Raketenforscher Wernher von Braun oder Reinhard Gehlen, den späteren BND-Chef.

Ob er Stolz empfinde, als Sieger der Geschichte nach Deutschland zurückzukehren, frage ich. „Stolz ist nicht das Wort. Nein. Es ist eher um die Leute, die sich mit mir vereinen, mit denen ich mich vereinen durfte, dass ich denen auch den Tribut zolle, hierherzukommen an einem der Jahrestage von den schrecklichen Ereignissen, von dem Krieg.“

 Für Guy Stern ist Demokratie etwas sehr Kostbares. In einem herrlich altmodischen aber perfekten Hochdeutsch betont der mittlerweile hundertjährige Germanistikprofessor, dass ihm eine Sache ganz besonders wichtig sei. „Die Demokratie ist eine sehr zarte Pflanze. Unser Kampf muss sein, diese zarte Pflanze zu schützen, damit wie beim Hildesheimer Rosenstock jedes Jahr eine neue Rose hervorgeht.“

 

 

Guy Stern hat mit seiner Frau Susanna Piontek, einer deutschen Schriftstellerin, soeben das Buch „Wir sind nur noch wenige“ veröffentlicht. Am 14. März 2022 von 16.00 bis 17.00 wird es in Berlin (digital) vorgestellt. Es ist an der Zeit, wieder Rosen zu pflanzen. Sie sollten gehegt, gepflegt und geschützt werden.

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„Bei Risiken und Nebenwirkungen…

…fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“. Aber was tun, wenn die Fachleute bei Schmerzen überhaupt nicht helfen können. Wenn sie die Krankheit noch nicht einmal kennen. Dann wird es kompliziert. Noch komplizierter ist der Name der Erkrankung, an der immer mehr Menschen leiden. Sie heißt Myalgisches Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom – abgekürzt: ME/CFS. Kaum zu merken, schwer auszusprechen. Noch besser ist es, mit dieser heimtückischen neuroimmunologischen Krankheit nicht in Berührung zu kommen. Denn ME/CFS bedeutet Leiden und Siechtum. Es ist ein körperlicher Verfall bis zur totalen Erschöpfung. Nichts geht mehr. Das Schlimme: niemand kann bisher wirklich helfen. Bislang. Das soll, das muss sich ändern, fordert Sibylle Dahrendorf. Die 58-jährige leidet seit fünf Jahren an ME/CFS. Ich kenne Sibylle als aufgeweckte, lebensfrohe Regisseurin und langjährige Mitarbeiterin des legendären Theatermachers Christoph Schlingensief. Sibylle war ein Energiebündel. Jetzt lebt sie zurückgezogen in ihrer Wohnung wie in einer Höhle. Die Berlinerin kann sich kaum noch bewegen.

 

Sibylle Dahrendorf. Regisseurin, Frida Kahlo-Bewunderin. Organisatorin der ME/CFS-Spendenaktion. Quelle: #Sibylle Dahrendorf

 

Was ist ME/CFS? Unser Interview haben wir per Telefon geführt. Die Antworten hat Sibylle autorisiert. Sie ist eine von mindestens 300.000 Deutschen, die an ME/CFS leiden. Tendenz steigend. Es trifft vor allem jüngere und hochmobile Menschen, die viel in der Welt unterwegs sind. Hinzu kommen mittlerweile auch Long-Covid-Erkrankte, die über ähnliche Symptome klagen. Die allermeisten ME/CFS-Geschädigten bekommen keine oder eine falsche Behandlung. Nach der Devise: „Mal entspannen! Wieder Sport treiben und an die frische Luft gehen!“

Wie kam es zu Deiner Erkrankung?

Sibylle Dahrendorf: „Möglicherweise habe ich mir ME/CFS als Folgen von diversen Infektionen das Virus unter anderem 2011 in Burkina Faso geholt. Ich war dort zur Eröffnung von Schlingensiefs Operndorf.  Ich habe mir die Malaria eingefangen. Es war ein schwerer Verlauf, aber ich habe sie gut überstanden. Im gleichen Jahr zuvor hatte ich auch in Burkina Faso eine Lebensmittelmittelvergiftung, die unter anderem mit Fluorchinolonen behandelt wurde. Die Medikamente können Schäden verursacht haben. Daher vermute ich unter anderem die zellulären Schäden. Später in Berlin begannen die Probleme.“

 

Was bedeutet ME/CFS für Dein Leben?

„Die Intensität der Krankheit ist nur schwer zu vermitteln. Sie hat eine zerstörerische Kraft, als ob man im Feuer liegt. Du läufst Marathon und erholst dich nicht. Der Körper fährt nicht runter. Er ist immer im Stress. Mit unter anderem Atemnot und Herzrasen. Es ist wie ein Adrenalinrausch.

 

Wie sieht Dein Alltag aus?

„Jede Form von körperlicher Anstrengung führt zu Überanstrengung. Ich bin entkräftet bis auf die Knochen. Der Körper wehrt sich. Es fühlt sich an, als wäre der Stecker herausgezogen.

Ich habe über 150 Symptome. Ich habe keine Gefäßregulation mehr. Ich bin seit fünf Jahren arbeitsunfähig. Mein Körper fällt auseinander. Ich kann keine zwei Minuten mehr stehen. Ich kann das Haus nicht mehr verlassen.“

 

Gibt es Hilfe?

„Die Krankheit wird von der Politik seit Jahren bewusst ignoriert.“

 

Sibylle Dahrendorf hat mit anderen Betroffenen eine private Spendenaktion ins Leben gerufen. Der Spendenstand liegt derzeit bei rund 180.000 Euro. Forschung ist dringend nötig. Es gibt keine wissenschaftlichen Studien in Deutschland. Die Pharmabranche interessiert sich nicht für diese komplexe Multisystemkrankheit. Nach einer Bundestags-Anhörung im Petitionsausschuss Mitte Februar 2022 kündigte der bayrische Bundestagsabgeordnete Erich Ilstorfer (CSU) zumindest eine erste staatliche Förderung in Höhe von 800.000 Euro an. Sie könnte den Start zu einer Medikamentenstudie an der Uni-Erlangen durch Dr. Bettina Hohberger ermöglichen. Der bayrische Landtag will die Summe Anfang April 2022 genehmigen. Das wäre ein Anfang.

 

Auch der renommierte Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk unterstützt als ME/CFS-Betroffener den Spendenaufruf.

 

Gesucht wird ein Medikament, das hilft. Noch mehr brauchen wir Hoffnung, sagt Sibylle Dahrendorf, dass die rätselhafte Krankheit endlich ernstgenommen wird. Ihre Spendenaktion heißt „Wir fordern Forschung“. Jeder Euro zählt.

Sehr empfehlenswert ist die arte-Doku „Die rätselhafte Krankheit – Leben mit ME/CFS“ von Daniela Schmidt-Langels aus dem Sommer 2021.

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Allendes Enkelin

Geschlagen ziehen die Großeltern nach Haus. Die Enkel fechten` s besser aus. Das meint der Volksmund. Bald wird in Chile eine Enkelin den Beweis antreten müssen, ob diese Volksweisheit stimmt: Maya Fernández Allende. Die Veterinärmedizinerin soll ab März 2022 Verteidigungsministerin werden. Die 50-jährige Sozialistin hat damit künftig die Generalität zu befehligen und die müssen parieren. Ein Himmelfahrtskommando? Ein alter Obrist drohte bereits offen, ihre Ernennung sei eine „Schande“ für die Armee. „Das einzige Verdienst von Frau Fernández ist ihr Hass auf die Streitkräfte“, tönte der Mann, der 2018 wegen Ermordung von mindestens 15 Allende-Anhängern verurteilt worden war.

 

Das letzte berühmte Foto von Salvador Allende (links mit Brille) im Präsidentenpalast Santiago de Chile am 11. September 1973.

 

Vor fast genau fünfzig Jahren stürzten Obristen mit Hilfe des US-Geheimdienstes CIA den ersten frei gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Eine bis heute traumatische Erfahrung für das Andenland. In einem blutigen Putsch errichtete General Augusto Pinochet ein Regime, das siebzehn Jahre lang mit harter Hand regierte. Die junge Elite flüchtete ins Ausland. Viele gingen in Deutschland ins Exil, das damals zwei Möglichkeiten bot: in der DDR und in der Bundesrepublik.

 

 

Wird das alte Offizierskorps der neuen Verteidigungsministerin folgen? Die Generalität genießt in Chile weitgehende Privilegien. Nach einem Gesetz der Militärjunta von 1980 sind Offiziere mit einen bestimmten Prozentsatz an Erlösen des chilenischen Exportschlagers Kupfer beteiligt. Ein lukratives Zusatzeinkommen plus großzügigen Pensionsregelungen und luxuriösen Ferienclubs. Die neue Regierung unter dem jungen linken Präsidenten Gabriel Boric will dieses Gesetz abschaffen. Für Maya Fernández steht viel Arbeit an. Gelingt ihr ein Reinigungsprozess bei den von Korruptionsfällen geschüttelten Streitkräfte? Oder belässt sie es bei symbolischen Maßnahmen?

 

Allendes Enkelin: Maya Fernández. Designierte Verteidgungsministerin Chiles.  Foto: Facebook

 

Maya Fernández Allende ist das Kämpfen in die Wiege gelegt worden. Ihr Leben ist von tiefen Einschnitten, großen Verlusten, aber auch von starkem Durchsetzungsvermögen geprägt. Als ihr Großvater 1973 im Präsidentenpalast von Santiago in auswegloser Lage Selbstmord beging, war sie zwei Jahre alt. Ihrer Mutter Beatriz Allende, nur „Tati“ genannt, gelang die Ausreise nach Kuba. Mayas Vater, ein kubanischer Geheimdienstmann, trennte sich jedoch nach der Rückkehr von „Tati“ und entschied sich für seine eigentliche Familie. Er hatte zu „Tati“ keine Liebesbeziehung aufgebaut, sondern einen Befehl ausgeführt. Mitte Oktober 1977 nahm sich Mayas Mutter das Leben. Ihre beiden Kinder wurden in Havanna von der Schwester von Allendes Geliebte großgezogen.

 

Allendes Nichte: Isabel Allende. Das Geisterhaus erschien 1982 und wurde ein Welterfolg. Isabel erzählt die Geschichte des Putsches in Chile.

 

Maya war 21 Jahre alt, als sie 1992 mit ihrem jüngeren Bruder nach Chile zurückkehrte. Dort studierte sie Biologie und Veterinärmedizin. Sie arbeitete als Bezirksrätin und leitete die chilenische Abgeordnetenkammer. Mitte März 2022 soll Allendes Enkelin das Kommando über das Militär übernehmen. Ein Apparat, der bereits ihre Berufung als „Erniedrigung für unsere Institution und ihre heilige Geschichte“ anprangert, so der verurteilte Obrist i.R. Jaime Manuel Ojeda Torrent, ein Pinochet-Getreuer.

Der neue Job ist eine wahre Herkulesaufgabe für die Frau, die ihren Großvater und ihre Mutter durch Suizide verlor, weil sie für ihr Land einen demokratische Neuanfang mit einer loyalen Armee wollten. Auf die Verfassung wird Maya Fernández Allende ihren Eid ablegen, wie ihr Großvater – im Namen des Volkes.

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„Wo aber Gefahr ist…“

„…wächst das Rettende auch“.

Am 11. September 1806 hat Friedrich Hölderlin keinen Schutzengel. Er ist in allerhöchster Gefahr, aber Rettung ist von den Häschern des Kurfürsten nicht zu erwarten. Sie verschleppen den 36-jährigen aus dem hessischen Bad Homburg nach Tübingen. Hölderlin gilt als Staatsfeind, steht unter dem Verdacht des Hochverrats. Er war als Mitglied einer revolutionären Gruppe denunziert worden. Der Dichter widerruft: „Ich will kein Jakobiner sein.“ Es hilft nichts. Hölderlin wird für „geisteskrank“ erklärt. Am 15. September 1806 trifft er in der Psychiatrischen Anstalt von Tübingen ein.

Seine „Therapie“ besteht aus einem Mix aus abwechselnd Tollkirsche, Opium und Quecksilber. Nach 231 Tagen „Behandlung“ wird er als unheilbar entlassen. Der Gutachter vermerkt, Hölderlin habe noch drei Jahre Lebenszeit. Asyl findet der „Wahnsinnige“ bei einem Tischler. Ernst Friedrich Zimmer nimmt den Dichter auf, räumt einen Raum im Turm über dem Neckar frei. 36 Jahre verbringt Hölderlin hier bis zu seinem Tode. Besser bekannt als „Hölderlin-Turm“ von Tübingen.

 

„Alles wird von Grund auf neu bestimmt.“ Friedrich Hölderlin (1770-1843). Pastell von Franz Karl Hiemer, 1792.

 

Der Dichter und der Handwerker werden Freunde. Der eine arbeitet mit Gedichten und Gesängen, der andere mit Holz und Hobel. Hölderlin arrangiert sich in seinem „Käfig“. Der Dichter sehnt sich nach Schutz und Geborgenheit. Kein Wunder. Die erste Hälfte seines Lebens war von Aufbruch, Revolutionsromantik und viel Sturm und Drang geprägt. Danach folgten Krisen, Niederlagen und Absturz.  Hölderlins Mutter wollte immer, dass er Pfarrer werden sollte. Doch ihr Sohn scheiterte auf der ganzen Linie. Im bürgerlichen Sinne gelang nichts. Sein Glaube an die Französische Revolution platzte wie eine Seifenblase. Seine Liebe zur Frankfurter Bankiersgattin Susette Gontard endete in einer Katastrophe. Seine Hoffnung als Dichter den Lebensunterhalt bestreiten zu können, misslang. Nicht einmal als Hauslehrer konnte er sich über Wasser halten „Was du hast, ist Atem zu holen“, notiert er resigniert. Und: „Wozu Dichter – in dürftiger Zeit?“

 

Hölderlin mit Susette Gontard. Seine große, unerfüllte Liebe zur Bankiersgattin aus Frankfurt/Main. Er verewigte sie als „Diotima“ in seinem Roman Hyperion.

 

Doch seine Gedichte und Werke markieren den Durchbruch zur Moderne. „Komm ins Offene, Freund!“ ist sein Motto. Dichtung ist für ihn Dienst an der Gesellschaft. Der Versuch, Menschen mit Kunst und Kultur zu ändern sein Ideal. Friedrich Schiller ist und bleibt sein Idol. Der Dichterfürst von Weimar, der als Schwabe „im Ausland“ ein Großer wurde, genau wie Hölderlins Studienfreund Hegel in Berlin.

 

„Hölderlin-Turm“ in Tübingen. Hölderlin wurde beeinflusst durch Rousseau: „Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten.“

 

Im „Hölderlin-Turm“ pflegt die schöne Tischler-Tochter Lotte Zimmer liebevoll die verkannte, manchmal „ach so wundersame“ Person. Er habe sich in Tübingen nicht als Gefangener gefühlt, heißt es, das kleine Turmzimmer sei sein Schutzraum gewesen. 49 Gedichte verfasst er noch. Als er sich 1812 von seinem Hausherrn einen „Tempel aus Holz“ wünscht, muss Tischler Zimmer lachen. Er antwortet: „Ach, Hölderlin, ein Schreiner baut Tische und Stühle, Türen und Treppen. Ich habe keine Zeit, nur so aus Spaß einen kleinen Tempel zu machen. Da hat er mich traurig angeschaut und mit einem Stift auf eines der Bretter geschrieben.“ Er kritzelt „An Zimmern“:

 

 

Die Linien des Lebens

„Die Linien des Lebens sind verschieden
Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen.
Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen
Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.“

 

Die Linien des Lebens schrieb Hölderlin „in zwölf Minuten“. Es ist eines seiner schönsten Gedichte. Von einem Dichter, der den höchsten Preis bereit zu zahlen war, der amtlich für „wahnsinnig“ erklärt wurde, der 36 Jahre in Isolation verbrachte, weil er sein Leben der Kunst widmete. Und nur der Kunst.

„Was bleibet, aber stiften die Dichter“, notierte Hölderlin noch. Seine letzte Hoffnung sollte sich bewahrheiten. Aber erst nach seinem Tod im Turm 1843.