Mariupol. 17. März 2022. Foto: Viktor Antonyuk/SNA/IMAGO

Massaker in Mariupol

Seit über 14 Tagen wird Mariupol in der Oblast Donezk bombardiert. Tag und Nacht. Die Stadt erleidet ein elendes Schicksal. Alles wird beschossen, sogar die Geburtsklinik Marianna. Es gibt keinen Strom mehr, keine Heizung, kein fließendes Wasser. „Man sammelt Schnee, um zu trinken“, klagt der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrij Melnyk die Weltöffentlichkeit an. Leichen werden in Massengräbern verscharrt. Die von Russischen Streitkräften belagerte Hafenstadt in der Südukraine ist in ein Trümmerfeld verwandelt worden – mit vielleicht 200.- bis 300.000 Menschen in den Ruinen. Keiner weiß es genau. Von einer Apokalypse spricht das Rote Kreuz. Von einem Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung viele Staaten. Putins „Operation“ zeigt ihr wahres Gesicht: Verheizen, vernichten, verbrannte Erde. Es ist ein mittelalterlicher Krieg wie im tschetschenischen Grosny oder dem syrischen Aleppo. So sieht „die Befreiung eines Brudervolkes“ aus. Mariupol wird zu einer Geisterstadt zusammengebombt. Ist diese Feuerwalze der letzte Kampf der alten Sowjetkader? Träumt deren Anführer Putin von einem Großreich wie einst Zar Peter der Große?

„Sie kam aus Mariupol.“ In ihrem bewegenden Roman beschreibt die Autorin Natascha Wodin das Schicksal ihrer Eltern. Vater Russe, Mutter Ukrainerin. Das Buch erschien 2017 und erhielt den Buchpreis der Leipziger Buchmesse. Wodin schildert, wie ihre Mutter im II. Weltkrieg vor Stalin flieht, um bei Hitler als Zwangsarbeiterin versklavt zu werden. Im fremden Nachkriegs-Deutschland kommt die Ukrainerin nicht klar. Sie leidet furchtbar an der Sehnsucht nach Heimat. Eine Sehnsucht, die fast so unstillbar ist wie Hunger. 1956 „geht sie ins Wasser“. Da ist Natascha Wodin zehn Jahre alt. „Sie kam aus Mariupol“ ist ihre Familiengeschichte und es ist eine wahre Geschichte. Als Waisenkind wächst sie in einem katholischen Heim auf. In diesen Tagen holt sie der Schrecken des Krieges und der Vertreibung wieder ein. Ein zweites Mal. Die mittlerweile 76-jährige Wahl-Berlinerin kann es immer noch nicht richtig begreifen. Selbst das Beten ist ihr vergangen. „Gott mischt sich nicht ein. Wir müssen unsere Probleme selbst lösen.“

 

 

Putins „barbarischer Krieg“ sei durch nichts zu rechtfertigen, aber, das betont sie in einem Interview mit der Berliner Zeitung, „es wäre vielleicht nicht dazu gekommen, wenn der Westen sich anders verhalten hätte“.  2001 habe Putin die Hand ausgestreckte, der Westen habe sie ignoriert. Die NATO-Osterweiterung habe gegen die damals an Gorbatschow gegebenen Zusagen stattgefunden. Jetzt befürchtet Wodin ein Verheizen und Abschlachten in der Ukraine, übrigens auf beiden Seiten. „Der ukrainische Heldenmut in Ehren, aber die Jungs und Mädchen sollten zu Hause bei ihren Eltern bleiben und nicht sinnlos ihr Leben opfern, ihr Tod wird der Ukraine nichts nutzen“.

 

Natascha Wodin. Kurz nach Kriegsende 1945 als Kind sowjetischer Zwangsarbeiter in Fürth geboren. Sie wuchs in deutschen Displaced Persons-Lagern auf. Nach dem frühen Tod der Mutter 1956 kam sie in ein katholisches Mädchenheim. Wichtige Werke: „Sie kam aus Mariupol“ 2017, „Nastjas Tränen“ 2021. Foto: Wikipedia

 

Die russisch-ukrainische Schriftstellerin mit deutschem Pass, geboren 1945 in Fürth in Bayern, ist verzweifelt. Das Drama für sie ist, dass Russland wie die Ukraine „hochkorrupte Oligarchenstaaten“ seien, von unabhängiger Gerichtsbarkeit keine Spur. So erzählt sie in „Nastjas Tränen“ (2021) eine Alltagsgeschichte aus Kiew, in der ein Ehepaar ihren gut gehenden Copy-Shop an einen kriminellen Clan verliert. Die Behörden schauten weg. Dennoch gelte selbstverständlich das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine. Die Unabhängigkeit trete Putin mit Füßen. „Er kommt mir vor wie ein Cäsar in seinem letzten Machtrausch und deshalb auch zu allem fähig. Vielleicht ist der Angriff auf die Ukraine eine Art erweiterter Suizid“.

 

 

In Zeiten einer „atomaren Explosion von Lügen, Fake-Nachrichten und Desinformationen“ müsse man trotz aller Verbrechen klaren Kopf bewahren. Eines ist Natascha Wodin wichtig zu betonen. „Viele Russen wollen diesen Krieg nicht.“ Währenddessen versinkt ihre Vater- und Mutterstadt Mariupol im Pulverdampf russischer Großmachtgelüste. Stalin erlebt seine Wiedergeburt als Putin. Die Folge: Ein weiteres Mal müssen Mädchen aus Mariupol einen katastrophalen Geschichtsbruch in Europa erleben – wie 1941 bis 1945. Der Exodus von Millionen Menschen hat längst eingesetzt. Wie der Krieg ausgeht? Natascha Wodin weiß es nicht Sie antwortet lakonisch: „Wir müssen warten auf das, was kommen wird“. Wiederholt sich Geschichte? Es scheint das Schicksal der Ukraine zu sein.

Wer Menschen aus der Ukraine in Berlin helfen will, kann zum Beispiel die Notunterkunft in Berlin-Mitte in der Straßburgerstraße unterstützen. Bereits 2015 war das Haus ein Anlaufpunkt für Geflüchtete. Jetzt für Bürger der Ukrainischen Volksrepublik. Am sinnvollsten sind zur Zeit Geldspenden.

GLS Bank
IBAN DE 98 4306 0967 1225 518200
Kennwort: Ukr.Strassb.Str.Berlin e.V.

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