Hanna Kopylova. Foto: frauenaufderflucht.de

Oh, Sister

Es ist ihr Abend. Hanna Kopylova läuft nervös durch den Saal, der sich gleich füllt. Ihr Film „Oh, Sister“ hat Deutschland-Premiere. Wer wäre da nicht aufgeregt? Doch die Frau aus Kiew, die in der Berliner Staatsoper eine Nobelpreisträgerin, eine Kulturstaatsministerin und ein neugieriges Publikum erwarten kann, ist aus einem anderen Grund „total gestresst“. Ihre beiden Kinder (12 + 9 Jahre alt) verbringen in Kiew den Tag nicht in der Schule, sondern im Bunker. Luftalarm! Zum x-ten Mal. Putin schickt seine Raketen und Drohnen zur „Befreiung vom Nazismus“. Die ukrainische Luftabwehr hat alle Hände zu tun. Sie kann viele der 72 Geschosse abfangen, aber eben nicht alle. Wieder sterben Menschen. Wieder gibt es in weiten Teilen kein Strom, keine Wärme, kein Wasser. „Ich wäre jetzt viel ruhiger, wenn ich bei meinen Kids in Kiew wäre“, sagt die 34-jährige. „Hier in Berlin ist Weihnachtsmarkt. Es riecht nach Glühwein. Die Menschen sind sorglos. Das stresst mich.“ Das Licht geht aus. Ihr Film „Oh, Sister“ beginnt.

 

 

Hanna Kopylova hat im Juni 2022 die drei Nobelpreisträgerinnen Leymah Gbowee aus Liberia, Tawakkol Karmen aus dem Jemen und Jody Williams aus den USA auf einer Reise durch ihr geschundenes Heimatland begleitet. Alle drei Frauen setzen sich vehement für Friedenslösungen ein, kämpfen zum Beispiel für das Verbot von Landminen. Die Ukraine ist mittlerweile ein Land voller Minen und noch mehr Leid, aber auch ein Land mit mutigen, unbeugsamen Frauen. Deren Geschichte erzählt der nur zwanzigminütige Streifen mit eindrucksvollen Beispielen. In diesem berührenden Film berichten eine 24-jährige Sanitäterin, eine Apothekerin, eine Juristin, zwei Schaffnerinnen und die Leiterin einer Kindeshilfsorganisation ohne Pathos von ihrem täglichen Kampf ums Überleben. An der Front, dahinter, mittendrin. Putins Raketen fliegen ihnen um die Ohren. Die Frauen nähen Tarnnetze, verbinden Wunden, evakuieren Kinder aus größter Not. Sie riskieren ihr Leben und halten stand: Sie sind wie ein „Fels in der Brandung“.

Irgendwann stellt die US-Amerikanerin Jody Williams die Frage, die unausweichlich zu stellen ist. Warum müssen Frauen den Schlamassel wegräumen, den Männer anrichten? „Wir Frauen müssen klar Schiff machen. Männer müssen endlich zur Seite treten“.  Die jemenitische Menschenrechtlerin Tawakkol Karmen stimmt zu: „Wer macht den ganzen Müll, das ganze Chaos? – Männer. Und wer räumt den Schlamassel weg? – Wir Frauen!“ Das Wichtigste, was jetzt zu tun sei, formuliert Oleksandra Matviychuk, die Friedensnobelpreisträgerin von 2022: „Wir brauchen einen Internationalen Gerichtshof, der die Kriegsverbrechen anklagt. Ja, wir brauchen ein zweites Nürnberg, wie nach dem II. Weltkrieg. Putin und alle Verantwortlichen, auch die Generäle, müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“

Die ukrainische Anwältin Oleksandra Matviychuk sagt noch: „Bisher haben wir 27.000 Kriegsverbrechen in der Ukraine dokumentiert.“ Mehr Infos unter #TribunalForPutin.

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