Skulpturenpark im Garten. Kunsthaus Tacheles. 2011.

Tacheles reden

Tacheles kann viel bedeuten. In Berlin ploppt bei Google „ein einzigartiges Objekt an einem der begehrtesten Standorte Europas“ auf. Mitten in der Hauptstadt. Ein Filetstück an der Friedrich-, Ecke Oranienburgerstraße. Auferstanden aus Ruinen lockt ein 23.000 Quadratmeter großes Prestigeprojekt für „gehobene Ansprüche“. Eines der luxuriösen Wohnhäuser, entworfen von renommierten Architekturbüros, nennt sich „Vert“. Französisch für grün. Das neue grüne Tacheles lässt keine Wünsche offen. In blumiger Maklerprosa heißt es: „Urbanes Lebensgefühl und Rückzug ins Apartment. Lässig und stilvoll lebt es sich in der von Herzog & de Meuron neu interpretierten Gründerzeitarchitektur“.

Ein Werbefilmchen produziert fröhliche Momentaufnahmen vom sorgenfreien Luxusleben mit leckerem Kuchen, treuem Hundeblick und dynamischen Menschen. Sie trägt High Heels und trinkt Champagner, er bindet sich eine Fliege um den Hals und radelt mit dem Einstecktuch „durch eine inspirierende Nachbarschaft“. Die Performance erinnert an eine Neuauflage von Ton Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“. In der Kinoversion spielte Tom Hanks einen New Yorker Börsenguru, einen Master of the Universe. Sinn des modernen Lebens: Geld verdienen und ausgeben.

Das neue Berliner Tacheles verspricht noch mehr: den Himmel auf Erden. Mit Concierge, Lobby, Tiefgarage mit E-Ladestation, Fahrradwaschanlage, Health Club, Hundewaschplatz, Spa, Quartiers-App und selbstredend Security. Dazu jede Menge Lebensqualität mit „Szenerestaurants, Conept-Stores oder Nachtleben … in den schillernden Farben der Metropole“. Wow! Dieses Paket hat seinen Preis. Im Schnitt kostet der Tacheles-Quadratmeter 15.000 Euro. Für Interessierte: Der „Schlüssel zum guten Leben“ passt bei einem 1-Zimmer-Apartment ab ca. 685.000, – Euro; bei einer Penthouse-Wohnung mit vier Zimmern ab 4.5 Millionen Euro.

 

1909 als „Friedrichstraßenpassagen“ mit Kuppel errichtet, ein Jahr später in Konkurs gegangen. Diese Aufnahme stammt vermutlich aus dem Jahre 1928. Nutzung durch AEG. Zu der Zeit hieß es „Haus der Technik“.  In der DDR übernahm u.a. die Gewerkschaft FDGB den kriegszerstörten Gebäudekomplex. Quelle: Museum für Technik

 

Tacheles hat noch eine andere Bedeutung. Das Wort kommt aus dem Jiddischen und steht für: Tacheles reden, das heißt offen und unverblümt seine Meinung äußern. Reden wir also Klartext: Das neue Vorzeigeprojekt ist ein Musterbeispiel wie Berlin Bestlagen für ein Butterbrot verscherbelte und zugleich jede Grundlage für eine soziale Wohnungspolitik gegen die Wand fuhr. Die Hauptstadt verkaufte 1998 das riesige Filetstück für 2,8 Millionen DM an die Fundus-Gruppe des Investors Anno August Jagdfeld. Als der Adlon-Investor ins Straucheln kam, verkaufte Jagdfeld 2014 das Ruinen-Areal für 150 Millionen Euro an die amerikanische Vermögensverwaltung Perella Weinberg Partners LP.

 

 

How long is now? 12 Jahre diente das „Tacheles“ als Kreativ- und Kunstzentrum bis zur Räumung. (1990-2012) Blick von der Oranienburgerstraße. (2008) Quelle: Kunsthaus Tacheles.

 

Das war das Aus für das „alte“, nichtkommerzielle Tacheles. Künstler hatten Anfang der Neunziger das Ruinengelände besetzt. Sie übernahmen eine verwahrloste, einstige Einkaufspassage aus der Kaiserzeit, die zum Ende der DDR abgerissen werden sollte. Kreative aus aller Welt eroberten den Freiraum und gaben dem Gelände seinen Namen. Mit dreißig Ateliers, Bars, Cafés, einem Programmkino, den Salons, in denen bis tief in die Nacht Theater, Tanz und Performances aller Art gefeiert wurden. Das Tacheles brillierte als Symbol für das neue wilde, kreative Berlin. Aufregender als New York und dennoch unvorstellbar billig. Was geschah nach 2015? Die US-Investoren rissen die Reste des einstigen Kunsttempels ab, ließen teure Eigentumskomplexe errichten. Jetzt vermarkten sie ihr hochpreisiges „Investment“ und Konzept vom Schöner Wohnen „Am Tacheles“ passgenau mit der sagenumwobenen Legende des von ihnen selbst beerdigten Ortes. So macht Kapital aus Kunst maximalen Kommerz.

 

Das „Tacheles“ war ein offenes, selbstbestimmtes Haus für Kreative aus der ganzen Welt. (1990-2012) Quelle: Kunsthaus Tacheles.

 

Die Architektur des neuen 780-Millionen-Projekts mag jedoch nicht recht überzeugen. Die FAZ beklagt Eintönigkeit: „Belebung ist aber auch nötig, denn die Fassade knattert monoton einmal durch die 150 Meter lange Passage hindurch, als ob sie aus einem 3D-Drucker stammte, bei dem die Architekten den Abschaltknopf nicht mehr fanden; es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass man an ihrem Ende auf eine Praxis für Schnarch-Therapie zu spaziert.“

 

Vert Am Tacheles. Nordfassade. Xoio. Quelle: www.vert-amtacheles.de

 

Was noch mehr als fehlende Ästhetik schmerzt: Das Tacheles-Schicksal steht für das Versagen der Berliner Baupolitik der letzten Jahrzehnte. Seit langem herrscht große Wohnungsnot. Selbst Gutverdienende aus der Mittelschicht können sich in Berlin-Mitte kaum noch eine Wohnung leisten. Kreative schon gar nicht. Am Ende heißt Tacheles reden, ja leider und hier und heute: Eine Mehrheit der Berliner fordert die Enteignung der großen Player, während eine kleine Minderheit das Geschäft ihres Lebens macht. Willkommen im neuen, grünen Tacheles.

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