Biko in der Waldbühne
Die zweite Zugabe rollt durch das weite Rund der Berliner Waldbühne. Für Steve Biko, kündigt Peter Gabriel auf Deutsch an, einen Mann mit besonderem Mut. Das Lied sei für alle Menschen in Südafrika, Russland, China und anderswo. Zwanzigtausend klatschen, singen, tanzen begeistert mit. Fäuste fliegen in den Berliner Abendhimmel. Die Masse feiert sich und Stephen Bantu „Steve“ Biko. Der Bürgerrechtler, der seinen Mut mit dem Leben bezahlte. Der unerschrockene Anti-Apartheidkämpfer, der Mitte September 1977 zu Tode geprügelt wurde, während das Regime die Lüge verbreitete, er sei an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben. Peter Gabriel widmete Biko 1980 diese Hymne. Wie oft gespielt, wie oft gefeiert. Heilung, Support und Erlösung. Was Musik alles kann. Die Waldbühne ist beglückt und verzückt. Gabriel liefert der Ü50-Babyboomer-Generation den Soundtrack ihres Lebens. Ach, was für ein wunderbarer Frühlingsabend.
Bühne frei für die i/o-Tour. Der 73-jährige Peter Gabriel begrüßt die Menge in der Freilichtbühne auf deutsch. Er startet mit einer Art Kammerkonzert vor dem Konzert. Jetzt kommt die Flut. Growing up, look for a place to live. Ein stiller Auftakt mit Cello, Geige, Sitar, Waldhorn und Rowdies in knallorangenen BSR-Overalls. Gabriel stellt seinen neuen Titel des noch unveröffentlichten Albums i/o vor. Erst live, dann in studioperfekter Version. Ein Wagnis. Sein erstes Album nach 21 Jahren. Melancholische, mal düstere, dann eher verträumte Balladen. Gabriel moderiert die Songs an: „Jedes Kind soll Zugang zu Bildung nach maßgeschneiderten Bedingungen und zu niedrigen Preisen haben.“ Beifall, später: „Jeder kann seine Erfahrungen im Netz hochladen. Jede schlechte Erzählung wird erzählt.“ Oder: „Wie tiefst musst du sinken, damit du aufstehst, um dich frei zu fühlen.“ So klingt der Gabriel-Kosmos.
https://youtu.be/oAPdAG0CBow
Audio-Visual Arts bedeute, so der Brite, an jedem Detail zu arbeiten, um mit Kunst eine andere Welt aufzuzeigen. Die Bühne ist schlicht, sie dient als Forum für Effekte. Lichtspiele im Chagall-Blau. Videos mit explodierenden Pilzen, Blüten, die aufgehen, Bienen, die ausschwärmen. Motive von Ai Weiwei. Träumen und tanzen. Als Gabriel schließlich den Vorschlaghammer in Form von Klassikern aus der Archivkiste holt, springt das Publikum dankbar auf. Wie bei allen altgewordenen Helden aus der eigenen Jugend, funktionieren die alten Hits. Sledgehammer, Don`t give up, Red Rain, Big Time, in your eyes. Die Zwanzigtausend schunkeln bei Solsbury Hill mit: „Krieg muss man schwänzen. Spiel ohne Grenzen“.
Ein schöner Abend füllt Herz, Geist und Seele, während die Abendsonne langsam hinter der Bühne versinkt. Für den verwöhnten und leicht abgestumpften Großstadtmenschen liefert Mister Peter Gabriel ausreichend emotionalen Input und Output. Das Gefühl berührt: Ich bin ein Teil von allem. Ach, und die Frage: Wo ist die Straße auf dem Weg zum Glück? Lass sie uns suchen. Ein großes Lebensgefühl wird besungen. Musik kann die Welt ein wenig bewohnbarer machen. Bis der letzte Trommelschlag von „Biko“ verstummt.