Kirche im Dorf

Ein Sonntag auf dem Lande. Angenehme Stille. Nur die Feldlerche trillert fröhlich ein Liedchen. Ein heißer Sommertag kündigt sich an. Die riesigen Roggenfelder warten auf den Ernteeinsatz. Ich radele ins Nachbardorf, zum Gottesdienst. Wie bitte? Wirklich! Alle drei, vier Monate kommt der Pfarrer vorbei, er hat mehr als ein gutes Dutzend Gemeinden zu betreuen. Da bleibt für die kleine Kirche im Nachbardorf wenig Zeit. Ich komme in letzter Minute in der schnuckeligen Fachwerkkirche an. Gleich am Eingang werde ich vom Kirchenvorstand abgefangen: „Ah, der radelnde Kantor! Dann kommen Sie, es geht gleich los.“ Er führt mich zur kleinen Hollenbach-Orgel und wirft die Elektrik an. „Auf geht´s. Dann können wir loslegen.“

 

Ein Sonntagsausflug zur Kirche im Nachbardorf.

 

Nun wird es höchste Zeit, das Missverständnis aufzuklären. Ich sei nicht der Kantor, nur ein Besucher, wehre ich ab. „Können Sie spielen?“ – Ja, antworte ich. Es ist bei mir einfach so. Sobald  ich Tasten sehe, überkommt mich ein tiefes Verlangen. Die Freude auszuprobieren, einfach zu spielen. Ich improvisiere ein paar Takte, ziehe alle Register. Die kleine Dorforgel spukt munter Töne aus. Plötzlich steht der evangelische Pastor neben mir: „Ach wie schön. Hier sind die Gemeindelieder, die wir heute anstimmen.“ Ich sage, da müsse ich erst ordentlich üben. Vielleicht später einmal. Er zieht ein enttäuschtes Gesicht. „Wir haben hier auf dem Land dreißig Gemeinden und keinen einzigen Organisten. So ist die Lage. Wir können jede Hilfe brauchen.“

 

Ohne Musik ist ein Sonntag kein richtiger.

 

Ich flüchte mit meiner Radler-Gepäcktasche und schlechtem Gewissen in die vorletzte Reihe. Im Kirchlein haben sich genau zehn Menschen versammelt. Ein Mann erzählt, gestern sei die Freiwillige Feuerwehr mal wieder mit Tatütata auf der A24 gewesen. Für 7,50 Euro pro Einsatz riskierten die Kameraden Kopf und Kragen. Unmöglich! Ein Witz, pflichtet seine Nachbarin bei. Eine Reihe weiter erzählt eine alte Frau von Ärzten und Krankheiten. „Totumfallen. Einfach so. Das Beste, was passieren kann. Da brauchste keine Kasse, keinen Pfleger, kein Heim.“ So falle man niemanden zur Last. Zwei Frauen nicken. Der Pastor beendet alle Gespräche und begrüßt die kleine Schar. Neun Besucher halten inne. Es geht los. So ist das in einem Land, in dem mehr Menschen beim ADAC als in der Kirche sind. Tatsächlich hat in diesem Sommer Deutschlands größter Autoclub die Katholischen Kirche an Mitgliedern überholt.

„Unser Gott sei eine feste Burg“. Der Pfarrer intoniert mit kräftiger Stimme die Lieder. Die Gemeinde versucht mitzuhalten. Mit Orgel würde es sicher stimmungsvoller klingen. Haben die Massenaustritte der letzten Jahre mit der Unzufriedenheit zu tun, zuletzt über die mangelhafte Aufarbeitung von Übergriffen des Kirchenpersonals? Vermutlich wollen einfach viele die Kirchensteuer sparen, aber noch wahrscheinlicher finden die meisten längst etwas anderes wichtiger als ein Sonntagvormittag in der Kirche. Was auch immer? Die neuen Götter heißen Yoga, YouTube oder das Freiheitsversprechen schneller Flitzer.

 

Cartoon 02.07.2023

 

Müsste eine moderne Kirche nicht auch ein Dienstleister mit Rundum-Servicepaket sein? Mit Pannen-Engeln und Rettung in höchster Not? Nichts Geringeres als „Hilfe, Rat und Schutz“ verspricht der ADAC. Diese Dreieinigkeit passt doch an jedes Kirchenportal. Wir sind beim letzten Lied angekommen. Die Stimme des Pfarrers wird nach einer Stunde Service und Pannenhilfe müde. Welches Freiheitsversprechen gibt seine Kirche? Welchen Schutz, welchen Mehrwert? Nach dem Gottesdienst werde ich noch einmal gefragt, ob ich beim nächsten Mal die Orgel spielen möchte. Da hätten doch alle was davon.

 

Good Times, ist ein schönes Versprechen.

1 comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.