Dem Himmel nah

Aufgeregtes Tuscheln. Kurz vor dem Konzert des hoffnungsfrohen Nachwuchses der Berliner Hochschule der Künste. Großes Orchester, stattlicher Chor, nervöse Anspannung bei allen Beteiligten. Das Ganze ist kostenlos. Das Saallicht verlischt. Die Streicher setzen ein, wenig später Bläser und Chor. Sie tauchen den Saal in ein warmes Wonnebad zum Wohlfühlen. Mit ausladenden Harmonien verwandeln Chor und Orchester meinen Alltag in einen romantischen Rausch der Töne. Die jungen Musikerinnen und Musiker verzaubern mit Klarheit den vierstimmigen Chorsatz und schaffen Momente von schwelgerischer Schönheit.  Nach gut fünf Minuten ist plötzlich Schluss. Beifall brandet auf. War´s das? Ja. Das Frühwerk des 19-jährigen Gabriel Fauré dauert nicht länger. Schade! Mit seiner Vertonung der Hymne von Jean Racine gewann der Franzose 1864 den Komponistenwettbewerb.  Cantique de Jean Racine. Zum Niederknien schön.

 

 

Gabriel Fauré (1845-1924) wuchs als jüngstes von sechs Kindern in der Nähe von Carcassonne auf. Bereits mit acht Jahren spielte der talentierte Sohn eines Schulleiters so gut, dass ihn die Eltern mit neun nach Paris schickten. Er lernte an der Musikschule von Louis Niedermeyer, einem renommierten Musikprofessor in der Rue Neuve-Fontaine-Saint-Georges. In elf Studienjahren (1854-65) gewann Fauré dort Eindrücke für sein ganzes Leben. Der Schweizer Niedermeyer lehrte deutlich progressiver als die angestaubten Professoren des Parisers Nationalkonservatoriums. Er prägte Fauré genauso wie sein späterer Lehrer Camille Saint-Saëns. Faurés Frühwerk Cantique vertonte Jean Racines „Wort, dem Höchsten gleich“, eine Hymne aus dem Jahre 1688. Ein Kritiker schrieb, seine Werke zeichnen sich durch „parfumfreien Charme“ aus. Fauré gilt als geistiger Vater der Impressionisten.

 

Gabriel Fauré im Alter von 19 Jahren. Sturm und Drang.

 

Fauré lebte für die Musik. Seine Brotjobs als Organist waren mickrig bezahlt, mit der Religion hielt er es nicht so streng. Lieber improvisierte Fauré abends in den Pariser Salons. Bald sorgte der Familienvater für Gesprächsstoff. Er verliebte sich in die dreißig Jahre jüngere Pianistin Marguerite Hasselmans, die er jedoch nie heiratete. Später erklomm er die Leitungsebene des renommierten Pariser Konservatoriums. Ein weiterer Skandal für die feine Pariser Gesellschaft. Denn noch nie zuvor hatte ein Musiker diese Position übernommen, ohne vorher das altehrwürdige Konservatorium durchlaufen zu haben. Der Quereinsteiger Fauré modernisierte Lehre und Unterricht, galt gar als „Robbespiere“ des Musikbetriebes. 1903 ließ jedoch sein Gehör nach. Fauré ereilte das gleiche Schicksal wie Beethoven. 1920 war er völlig taub. 1924 starb er. Auf seiner Trauerfeier wurde sein 1887 komponiertes Requiem gespielt – was sonst? Ein großer Wurf, so fesselnd und packend wie sein Sturm- und Drangwerk Cantique de Jean Racine.

 

 

Ach, Monsieur Fauré! Was wäre ein Leben ohne Musik? Dank Euch jungen Musikenthusiasten von der Hochschule der Künste für Euer Gratis-Vorführkonzert, das mein Herz im Flug erobert hat.

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