Putins Geburtstag

Am 7. Oktober 2023 feiert Wladimir Wladimirowitsch Putin seinen 71. Geburtstag. Vor siebzehn Jahren, am 7. Oktober 2006 fallen an seinem Ehrentag gegen 17 Uhr vier Schüsse in einem Moskauer Treppenhaus. Die Journalistin Anna Politkowskaja wird direkt vor ihrer Wohnung ermordet. Mit Hilfe einer Überwachungskamera kann der unmaskierte Täter gefilmt und identifiziert werden, doch er wird von der Polizei nie gefasst. Der Mord ist das tragische Ende einer jahrelangen Verfolgung durch russische Sicherheitsbehörden. Bis heute gilt Anna Politkowskaja als eine der wichtigsten Kritikerinnen von Putins Regime. 2004 schrieb sie: „Russland steht davor, in einem von Putin und seiner politischen Kurzsichtigkeit gegrabenen Abgrund zu stürzen.“

 

Als ihre Mutter im Kugelhagel starb, war Vera Politkowskaja 26 Jahre alt und schwanger. In ihrem Buch Meine Mutter hätte es Krieg genannt“, beschreibt sie Anna als mutige, traurig-entschlossene, aber auch bisweilen strenge Mutter „Mit schlaflosen Augen“ habe sie unerschrocken über den grausamen Tschetschenien-Krieg berichtet. Sie schilderte wie Soldaten und Offiziere, Banditen, vor allem aber gewöhnliche Menschen in den Fleischwolf des Feldzuges gerieten. Anna deckte Amtsmissbrauch, Willkür und Korruption in Armee, Wirtschaft und im russischen Alltag auf. Kritisch begleitete sie Putins Aufstieg zum uneingeschränkten Herrscher. Vera über ihre Mutter: „Sie war fast immer Überbringerin schlechter Nachrichten“. Die unbequeme Kassandra hat Putin keine Sekunde vergessen. Die bis zur völligen Erschöpfung arbeitende Journalistin wurde zur Staatsfeindin. Vera zieht mittlerweile eine deprimierende Bilanz: Ihre vielen Berichte hätten am Ende „nichts geändert“.

 

Mit Anna Politkowskaja in Leipzig auf der Buchmesse. März 2005. Foto: Christiane Munsberg

 

Auch den Ukraine-Feldzug, so schätzt Vera Politkowskaja, unterstützen 75% der Russen, obwohl längst massenweise Gefallene in Polyäthylen-Säcken von der Front zurückkehren. Im Volksmund heißen die Transporte „Fracht 200“. Der Siegeswahn werde den Menschen durch ständige Propaganda in den Staatsmedien eingeimpft So werde der Mythos vom Großen Vaterländischen Krieg gegen die Nazis täglich beschworen. Dieser Kult sei barbarisch und bizarr. Was bringt die Zukunft?  „Nichts wird besser, wenn Putin weg ist“, sagt Vera.

 

Banksy. März 2022.

 

Was wird aus Russland? Die Opposition ist zerschlagen, verhaftet oder im Ausland. Mehr als sechzigtausend Kreative, Künstler und Dissidenten hätten das Land verlassen, heißt es. Niemand kennt die genaue Zahl. Zudem: Außerhalb des Moskauer Autobahnrings beginnt das eigentliche Russland. In den Weiten des riesigen Landes leben viele Menschen in Armut, nicht wenige von Kindergeld und Schwarzarbeit. Die Not ist groß. Kinder gehen nicht zu Schule. Sie sammeln Pilze, Fallholz, Beeren und Altmetall. „Im Dorfladen gibt es nur noch Fusel, gestreckten Glasreiniger“, notiert die Journalistin Jelena Kostjutschenko in ihrem gleichfalls neuen Buch Das Land, das ich liebe. Jelena bewundert die ermordete Anna Politkowskaja. Die junge Journalistin berichtete wie ihr großes Vorbild für die Nowaja Gaseta. Die letzte unabhängige Tageszeitung Russlands stellte im März 2022 wenige Wochen nach Kriegsbeginn ihr Erscheinen ein. Seit Putins Überfall lebt Jelena Kostjutschenko im Exil. Genau wie Vera Politkowskaja. Sie sind zwei von Hunderttausenden, die für das andere Russland stehen.

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