Nur für Verliebte
Das märkische Rheinsberg. Ein Spätsommer-Wochenende im Jahre 1911. Claire und Wolf fliehen vor dem Lärm ihres täglichen Lebens aus der großen Stadt Berlin. Sie turteln im fritzischen Provinzstädtchen, genießen das Glück ihrer frischen Liebe. Die Anfang Zwanzigjährigen streifen durch Schloss und Park, rudern hinaus, kuscheln auf der Wiese und staunen abends im Wirtshaus über Stummfilme. Ein junges Paar und drei Tage reinen Glücks. „Das Schloss leuchtete weiß, violett funkelten die Fensterscheiben in hellem Rahmen, von staubigen Lichtern rosig betupft, alles spiegelte sich im glatten Wasser.“ Ein Jahr später, 1912. Das Kaiserreich feiert den 200. Geburtstag des großen Friedrich, genannt der Alte Fritz. Als junger Friedrich verlebt dieser gleichfalls in Rheinsberg seine schönste Zeit. Da erscheint die Erzählung: Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte. „Dies alles umarmen können, nicht, weil es gut oder schön ist, sondern weil es da ist, weil sich die Wolkenbänke weiß und wattig lagern, weil wir leben! Kraft! Kraft der Jugend!“ Die fröhlich-frivole Kurzgeschichte macht den 22-jährigen Kurt Tucholsky auf einen Schlag berühmt.
Die reale Claire hieß Else Weil, eine Medizinstudentin. 1911 reist sie mit ihrem Kurt für ein Wochenende nach Rheinsberg. Im Mai 1920 heiraten sie. Die Ehe hält nicht lange, sie wird im März 1924 wieder geschieden. Tucholsky schmachtet: „Sei du die Welt für einen Mann, weil er nicht alle haben kann.“ Else Weil kontert: “Als ich über die Damen weg steigen musste, um in mein Bett zu kommen, ließ ich mich scheiden.“ Alle Anekdoten, Schnurren und viel mehr erfahren heutige Rheinsberg-Reisende im kleinen, feinen Tucholsky-Literaturmuseum. Seit über dreißig Jahren kann der streitlustige Publizist Kurt Tucholsky im Rheinsberger Schloss besucht werden. Die Ausstellung erzählt von Aufstieg, großen Erfolgen und Niederlagen, aber auch seinem frühen Tod im schwedischen Exil. Tucholsky nimmt sich 1935 verzweifelt das Leben. Seine Rheinsberger Geliebte Else Weil wird 1942 in Auschwitz umgebracht.
Rheinsberg liefert in diesen Tagen schlechte Nachrichten. Das Museum ist in Gefahr. Weil das Städtchen sparen muss und lieber eine Schule sanieren will, soll die Tucholsky-Heimstätte möglicherweise geschlossen werden. Museumsleiter Peter Böthig, als Schriftsteller in der DDR von der Stasi verfolgt, geht Ende Februar 2024 in Ruhestand. Der Gemeinderat beschloss, seine Stelle zu streichen und Tucholsky der örtlichen Tourismusinformation unterzuordnen. Das eigenständige Tucholsky-Museum mit viereinhalb Zeitarbeits-Stellen und einem Gesamtbudget von etwa 350.000 Euro ist bedroht. Das Wendekind hat seit Anfang der Neunziger mit Ausstellungen, Filmen und Lesungen rund 1,2 Millionen Besucher angelockt. Das Blaubuch der Bundesregierung führt das Literaturmuseum als „kulturellen Gedächtnisort mit nationaler Bedeutung“. Die Begegnungsstätte darf nicht lieblos abgewickelt werden. Oder wie Tucholsky bemerken würde: „Seid barmherzig. Das Leben ist schon schwer genug!“