Tapfer in den Tod?
Stille und mutige Menschen haben es schwerer als umjubelte Heldenfiguren, die ans Licht drängen. Frauen und Männer, die wenig Aufhebens machen, die um der Sache willen tätig werden. Hilde und Hans Coppi sind stille Helden. Sie Zahnarzthelferin, er einfacher Dreher. Ein verliebtes junges Paar in Zeiten des Faschismus. Sie ist schwanger. Beide schließen sich einer Gruppe Gleichgesinnter an, die in den ersten erfolgreichen Kriegsjahren der Nationalsozialisten nicht schweigen wollen. Während die NS-Propaganda von allen Fronten Siegesmeldungen verkündet, wagen in Berlin rund 150 Menschen kleine Widerstandsaktionen. Sie kommen aus allen Schichten, kleben Flugblätter an Hauswände, hören ausländische Sender ab, schicken Funksprüche nach Moskau. Die Gestapo nennt sie „Rote Kapelle“. Nach Verrat werden deren Mitglieder bis 1943 nahezu alle festgenommen und hingerichtet. Ihr Aufbegehren – ein sinnloser Akt?
Hilde Coppi ist Anfang dreißig. Mit ihrer großen Liebe Hans verbringt sie herrlich unbeschwerte Sommertage an märkischen Seen. Hilde ist eher zurückhaltend, beobachtend. Ihr Spitzname: die „Gouvernante“. Als sie bemerkt, dass Hans in ihrer Datsche heimlich Funksprüche nach Moskau absetzt, macht sie mit. Die werdende Mutter hört „Radio Moskau“ ab, um Gefangenenmeldungen weiterzugeben, hinterlegt in der S-Bahn Flugblätter. Unspektakuläre Formen von Widerstand gegen das allmächtige NS-System. Die beiden werden denunziert. Die schwangere Hilde kommt im September 1942 ins Frauenzuchthaus an der Barnimstraße. Sie bekommt ihr Kind im Gefängnis und nennt den Jungen Hans wie ihren Mann, der im Dezember 1942 unter dem Fallbeil stirbt. Auch Hilde wird wegen „Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Feindbegünstigung, Spionage und Rundfunkverbrechen“ zum Tode verurteilt. Ihr Gnadengesuch lehnt Hitler im Juli 1943 persönlich ab.
In der Todeszelle schreibt sie an ihre Mutter Hedwig Rake: „Du wirst dir denken können, dass ich keine schönen Stunden hinter mir habe. Ein Glück, dass das kleine Hänschen noch bei mir ist, in seinem Interesse muss ich mich sehr zusammennehmen. Ach, Mama, der Gedanke an die Trennung von meinem Kinde will mich fast verzweifeln lassen. Ich glaube für eine Mutter kann es keine größere Strafe geben, als sie von ihrem Kind zu trennen.“ Die Hinrichtung wird um einen Monat verschoben, damit sie ihren kleinen Hans abstillen kann. Am 5. August 1943 wird Hilde Coppi in Plötzensee mit zwölf weiteren Frauen der „Roten Kapelle“ enthauptet.
Andreas Dresen hat dem Ehepaar Coppi ein filmisches Denkmal gesetzt. Liv Lisa Fries aus „Babylon Berlin“ spielt „In Liebe, deine Hilde“ eine junge Hilde, die ihrem Gewissen folgt. Der sensible, kammerspielartige Film geht unter die Haut. Selbst das abgebrühte Berlinale-Pressepublikum zückt Taschentücher. Dabei werden Hilde und Hans Coppi nicht verklärt. Sie bleiben nahbar, zuversichtlich bis verzweifelt, mutig wie resigniert. Bei den Verhören fehlen übliche Klischees. Es wird nicht ständig gebrüllt. Der Film konzentriert sich auf die kalte Mechanik eines Apparats, der jeden Widerspruch verfolgt. Aufseherinnen, Ärzte, Schwestern, Vernehmer und Richter sind Rädchen – „Das ist Vorschrift!“ – im Getriebe eines Systems, das von millionenfacher Anpassung getragen wurde. Dresens filmische Umsetzung öffnet Raum für eigene Gedanken: Wie hätte ich mich verhalten?
https://youtu.be/c8JrsRS6O4s?si=ootPHuVBrS6A09gW
Von den geheimen Funksprüchen nach Moskau kam nur ein einziger durch. Die Reichweite des Funkgeräts war zu kurz. Die Aufrufe zum Widerstand in Museen oder an Wänden wurden getilgt, Flugblätter vernichtet, als wäre nichts geschehen. Nach dem Krieg wurde das hingerichtete Ehepaar Coppi in der DDR als Widerstandskämpfer gefeiert, im Westen lange als kommunistische Verräter ignoriert, danach gesamtdeutsch vergessen. Der neue Dresen zeigt beklemmend, dass ihre Widerstands-Geschichte keineswegs Vergangenheit ist. Politischer Terror ist heute weltweit auf den Vormarsch. Und kommt uns immer näher. Sohn Hans Coppi Jr. lebt in den USA. Er warnt mit seinen 81 Jahren am Ende des Films, Geschichte möge sich nicht wiederholen. „Anstand lohnt sich immer“, betont Drehbuchautorin Laila Stieler. Wirklich? Auch wenn die Todesstrafe droht? Tja, noch eine Aufforderung zum Nachdenken.
Leider ging der berührende und pathosfreie Film über Hilde und Hans Coppi auf der Berlinale leer aus. Keine Preise, keine Erwähnung, auch nicht für die hervorragende Lena Liv Fries. Das war fast erwartbar. Berlinale-Jurys favorisieren eher zeitgeistige, cineastische Außenseitersujets. Da haben es heimische stille Helden und deren Geschichten über Anstand, Mut und Tapferkeit schwer. Am 17. Oktober 2024 kommt „In Liebe, Eure Hilde“ in die deutschen Kinos.