Soljanka für alle

Man nehme: Jagdwurst geschnitten. Ketchup. Gewürzgurken mit Brühe. Paprikaschoten Farbe egal. Zwiebel oder Schalotten. Passierte Tomaten. Wasser nach Bedarf. Salz und Pfeffer. Paprikapulver. Ausreichend Würfel Gemüsebrühe. Etwas Zucker. Saure Sahne. Zubereitungszeit eine gute Stunde. Für rund 250 Portionen bedarf es vieler helfenden Hände. So gelingt der ostdeutsche Klassiker, deutlich feiner als vor der Wende. Keineswegs jedermanns Sache. In heutigen fleischarmen Zeiten eher verschmäht. Aber: Es ist ein nahrhaftes Hauptgericht. Preiswert, schnell und lecker. Soljanka – das Festmahl zum 33. Geburtstag der Suppenküche Pankow, der größten Armenküche der Hauptstadt. Der Wunsch von Ehrengast Wolfgang Thierse, einst Bundestagspräsident. Die Soljanka wird in einem Kloster in Pankow serviert, kurz vor der früheren Mauer. Sitz der Franziskaner. Die Wollankstraße: Eine gute Adresse.

 

„Arm zu überleben ist eine Kunst. Wir helfen den Künstlern.“ Motto der Suppenküche Pankow. Quelle: Franziskaner

 

„Hast Du nicht etwas zu essen für uns?“ Das wurde Schwester Monika Anfang der neunziger Jahre gefragt. Sie war gerade aus dem Thüringer Eichsfeld in das frisch vereinte Berlin gezogen. Sie wollte helfen. So fing sie bei den Franziskanern im kleinen Kloster an der Wollankstraße an, für Menschen in Not eine warme Mahlzeit zu kochen. Guten Appetit! Die neue kostenlose Anlaufstelle sprach sich in Windeseile herum. Bis zu fünfhundert Menschen verharrten zur Mittagszeit im Hof der Franziskaner in langen Schlangen: Bei Wind, Wetter und Kälte. Der Sozialismus hatte seine Kinder in die neue Freiheit des Kapitalismus entlassen. Viele, zu viele kamen mit dem ruckartigen Wandel nicht klar. Der Andrang zur Armenspeisung nahm von Woche zu Woche zu. Das Motto der Suppenküche: „Arm überleben ist eine Kunst. Wir helfen den Künstlern.“

 

Täglich, außer Montags Suppe für alle. Quelle: Franziskaner

 

Dieses Willkommen gilt bis heute. Jeden Tag. Punkt 12.45 Uhr. Wenn die Glocke läutet, startet die Essensausgabe. Seit nunmehr dreiunddreißig Jahren. Eine warme Suppe für die Ärmsten der Armen. Bis zu 150.000 Portionen pro Jahr. Umsonst. Niemand wird nach einem Sozialausweis gefragt. Ein Segenswunsch gehört zur Tradition. In der Schlange wartet beispielsweise Alex: „1990 wurde mir die Arbeit genommen, weil eben diese Scheiß-Einheit kam. Die Suppenküche ist meine zweite Heimat.“ Sein Nachbar mit Schiebermütze pflichtet bei: „Pech gehabt. Arbeit verloren. Krank geworden. Frau gestorben. Nun bin ich allein. Zuhause kochen lohnt sich nicht für mich. Ja. Das Essen hier ist wunderbar.“ Zurzeit kommen täglich über zweihundert Menschen. Ihre Gründe: Wohnungskündigung, Firmenpleite und Obdachlosigkeit. Scheidung, Schulden oder karge Altersrente. Alkohol, Krankheit und Depression. In der Suppenküche wird niemand nach dem Warum gefragt.

 

Suppenküche Pankow. Seit 2004 mit neuem Anbau. Quelle: Franziskaner

 

Die Suppenküche erhält keinen einzigen Cent Steuer-oder Kirchengelder. Die Franziskaner wollen unabhängig bleiben. Das kleine Wunder ist gelungen. Rein auf Spendenbasis finanzieren sie Essensausgabe, Kleiderkammer und sozial-medizinische Versorgung. Franziskaner-Bruder Rudolf: „Ich habe selbst zehn Jahre in einer Obdachlosen-Siedlung gewohnt, im Ruhrgebiet. ich habe 25 Jahre bei psychisch Kranken in Psychiatrien gearbeitet. Das heißt: Wir Franziskaner sind gerne bei den Menschen am Rand.“ Die Suppenküche wird zu hundert Prozent aus Spenden finanziert. Das große Glück der Franziskaner: Ihnen wird weiter geholfen. Trotz Krieg, Krise und Inflation. Freiwillig, mit Geldspenden oder Kleidung. Über 150 Ehrenamtliche gehören zum Team. Ukrainische Frauen helfen in der Küche. Nicht wenige Ehren- und einige der Hauptamtlichen sind selbst ehemalige Notleidende.

 

Ein Beitrag im heute journal vom 22.12.2022

Was kann ich tun? Bernd Backhaus, Leiter der Suppenküche antwortet: „Wer kann, möge spenden. Jeder Euro zählt“. Und die anderen? „Ach“, ergänzt der baumlange Chef, „es reicht schon, die vielen Obdachlosen wahrzunehmen, anzuschauen. Nicht wegsehen. Wie wäre es mit einem Lächeln?“ Das sei ein erster Schritt. Wer mehr unternehmen möchte, könne  jederzeit ehrenamtlich mitmachen. Suppenküchen-Gründerin Monika gehört nicht mehr zum Team. Doch die Pionierin bleibt aktiv: „Ist doch klar. Ich kümmere mich jetzt um Frauen in Not. Schwangere, Alleinerziehende, Wohnungslose. Da habe ich mehr als genug zu tun. Ich komme kaum hinterher.“ Letzte Frage: Kann die Armenspeisung in Pankow eines Tages überflüssig werden? Zwei ältere Stammgäste mit Einkaufsporsche schütteln den Kopf: „Das werden wir nicht mehr erleben. Höchstens da oben im Himmel. Dort, wo das Paradies sein soll.“

Suppenküche Pankow. Wollankstraße 18. 13187 Berlin. Tel. 030/488 396 60. Geöffnet von Dienstag bis Sonntag, jeweils von 9:00 bis 11:30 und von 12:45 bis 14:30 Uhr.
Die Suppenküche hat auch an Feiertagen geöffnet, außer Ostermontag und Pfingstmontag.

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