Thomas de Vachroi beim Papst.

„Den Armen eine Stimme geben“

Was tun, wenn das Geld ausgeht? Vor zwei Jahren habe ich schon einmal in Berlin nach Antworten gesucht. Viele wollten nicht über das leidige Thema reden. Bloß nicht! Mit Hilfe des Diakonischen Werks konnte ich einige wenige Menschen finden. Celin ist Mutter und Grundsicherungsbezieherin. Ihr Sparalltag: „Wir schneiden den Gürtel einfach enger. Sparen da, wo wir können. Man sieht einfach zu, dass man mit den Lebensmitteln besser, länger klarkommt, eben mal mehr Eintöpfe kocht, auf Fleisch und auf einige Sachen, die sehr teuer geworden sind, verzichtet.“

Verzicht heißt das: Auf Fleisch, Reisen, Klassenfahrten, neue Klamotten Theater, Kino, Konzerte, Restaurantbesuche, kurzum auf Teilhabe am Leben. Dazu hoffen, dass die Waschmaschine durchhält oder nicht schon wieder die Miete erhöht wird. Herr K., so nennen wir ihn, sitzt nach einem Unfall im Rollstuhl und ist gleichfalls Grundsicherungsbezieher. Er verrät uns einen seiner Spartricks. Er kocht montags Eier für die ganze Woche vor: „Ich habe gerne ein Frühstücksei auf dem Tisch, was ich mir früher jeden Tag gekocht habe. Da habe von meiner Grundsicherung noch den Strom zahlen können und jetzt koche ich halt vier Eier und esse drei Tage halt ein Kaltes, so spare ich zum Beispiel dreimal das Eierkochen.“

 

Eier für die ganze Woche vorkochen. Ein Spartipp von einem, der mit jedem Cent rechnen muss.

 

Die neuen Zahlen müssten eigentlich eine Gesellschaft wachrütteln. 17,5 Millionen Menschen leben in der Bundesrepublik in Armut oder sind armutsbedroht. Sechzig Prozent der Tafeln müssen mittlerweile Lebensmittel rationieren. Weil die Nachfrage drastisch steigt, aber das Angebot permanent sinkt. 2025 wird für viele eine Herausforderung. Große Unternehmen bauen Jobs ab, Kosten der täglichen Daseinsvorsorge wie Wohnen, Lebensmittel, Strom, Benzin, Gas, Krankenversicherung oder Pflegekosten steigen. Nicht nur gefühlt, sondern in Euro und Cent. Die Lebensmittelkosten sind im Vergleich zu 2023 um +41% nach oben geschnellt. Die Energiekosten nehmen mit +37% Teuerung nur eine Richtung ein: nach oben. Wer an der Armutsgrenze lebt, muss genau rechnen: Einmal Duschen kostet 1,10 Euro, einmal Wäschewaschen 1,20 Euro. „Das können sich viele nicht mehr leisten“, sagt Thomas de Vachroi, Armutsbeauftragter der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg.

 

„Der Armut eine Stimme geben“. Das ist die Mission von Thomas de Vachroi. Er kümmert sich als Armutsbeauftragter der ev. Kirche um Menschen in Not. NIcht nur an Weihnachten.

 

Der Kirchenmann versteht sich längst als Sozialarbeiter. Er rechnet für das neue Jahr „mit einem Sozial-Tsunami, der auf uns zurollt“. Seit einiger Zeit müsse er „einen kompletten Wechsel“ von Menschen in Not feststellen. „Neu sind viele Jüngere und Frauen, ihr Anteil ist auf ein Drittel gestiegen. Das gabs früher nicht“. Was zudem immer vergessen werde, ist die grassierende Altersarmut. „Die Alten verstecken sich, ihre Armut ist unsichtbar. Sie leben in Einsamkeit“. In der Neuköllner Tee- und Wärmestube in der Weisestraße sei das Verhältnis von Einheimischen und Zugewanderten 40:60. Was hat sich noch verändert? – „Es gibt kein Lächeln mehr. Das Land befindet sich in einer depressiven Phase.“ Die Betroffenen hätten keine Hoffnung auf Besserung. Von der Politik erwarte man rein gar nichts mehr. Herr Vachroi, was ist zu tun? – „Der Armut eine Stimme geben“, ist seine Antwort. Diese bundesweite Kampagne hat den engagierten Protestanten bis zum Papst geführt.

Was tut not? Es brauche Aufmerksamkeit, Spenden und gesellschaftlichen Druck, Armut endlich als Thema anzugehen. Das beginne damit, dass man Lebensmittel nicht in die Tonne wirft. „Wer so etwas macht, ist emotional und sozial arm.“ Der 63-jährige ist sichtlich empört. Gleichgültigkeit sei ein großes Problem.  „Menschen fragen sich: Kann man sich das Leben noch leisten? Wenn man in einem reichen Land eine solche Frage stellt, dann müssen wir uns in Grund und Boden schämen.“ Zum Schluss noch eine Frage: Wann wird der Armutsbeauftragte überflüssig? – „Wenn wir unsere Einrichtungen schließen könnten.“ Vachroi setzt eine Pause: „Aber ich werde es in meinem Leben nicht mehr erleben.“

 

Einer der Wärmestuben-Besucher bat mich, einen Song von Bruce Springsteen zu spielen. Gerne geschehen. „The Ghost of Tom Road“ nach der Vorlage aus John Steinbecks Roman: „Früchte des Zorn“.

 

Wer helfen will oder wer Hilfe braucht. Die Tee- und Wärmestube in Neukölln ist eine gute Adresse in Berlin.

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