Amsel im Hof

Morgens weckt mich eine Amsel. Im Halbdunkel des Hinterhofes startet sie ihr Morgenlied. Früh, sehr früh. Fröhlich, munter, unbekümmert. Ihr Zwitschern hat etwas Vertrautes und Versöhnliches. Rasch setzen die Spatzen ein. Das Frühkonzert beginnt, gewinnt wie in Mozarts Zauberflöte an Fahrt, Tempo und Intensität. Die Vogelschar versammelt sich an den Futterstellen, die unser Hausmeister täglich neu füllt. Wie wir Mitbewohner die Mülltonnen, die direkt danebenstehen. Guten Morgen. Es wird hell. Licht fällt ins Schlafzimmer. Ein neuer Tag beginnt. Mach was draus.

 

 

Am 11. Juni 1968 spielt ein gewisser Paul McCartney 32 Versionen seiner Amselhymne ein. Er sitzt allein im Studio, nur mit seiner Gitarre. Die letzte Version wird es dann. Der Tonmeister mischt noch den Sound zwitschernder Amseln unter den Song. Fertig für das neue „White Album“. Inspiriert hat den Beatle Paul eine klassische Komposition aus dem Barock. „Wir hatten so ein kleines Stück für Partys eingeübt, damit wir den Leuten zeigen konnten, dass wir nicht so doof waren, wie wir aussahen. Es ist von Bach.“ Bei dem kleinen Stück handelt sich um die Bourrée aus Johann Sebastian Bachs Lautensuite in e-Moll. So vereinen sich das Lied der Amseln, Bach und die Beatles zu „Blackbird“. Eine der schönsten und berührendsten Balladen der Beatles überhaupt. Vielfach interpretiert, zuletzt gerade von Beyoncé.

 

 

Blackbird, das Lied der Amsel ist ein Befreiungslied. Gewidmet schwarzen Frauen. Der Text stammt von John Lennon und Paul McCartney. Veröffentlicht am 22. November 1968, als in den USA Diskriminierung und Rassentrennung dominieren. Ein Epochenjahr, in dem der Vietnam-Krieg tobt und die Russen in Prag einmarschieren. In der ganzen westlichen Welt begehren junge Menschen auf. Überall, wo möglich, kommt es zu Protesten und Revolten. Die Regierungen versuchen die Rebellion der Jugend mit allen Mitteln zu stoppen.

Im abgelegenen Schottland beobachtet Paul McCartney die Eskalation in den Vereinigten Staaten – und erfindet den Song „Blackbird“. Die Amsel steht bei ihm für afroamerikanische Frauen, die Unterdrückung und weiße Vorherrschaft abschütteln wollen. Der poetisch-berührende Song Blackbird ist einer der politischsten Lieder der Beatles. Die stille Hymne gegen Bevormundung wird bis heute auf vielen Bühnen von unzähligen Bands adaptiert. Das kleine Lied erzählt von der Kraft der Musik, Ausgrenzung, Hass und Hetze zu überwinden. Danke, liebe Amsel im Hof, die du mich jeden Morgen fröhlich weckst.

 

 

„Amsel, die du da tief in der der Nacht singst,
nimm diese gebrochenen Flügel und lerne zu fliegen.
Dein ganzes Leben,
Hast du nur auf diesen Moment gewartet, aufzufliegen.

Amsel, die du da tief in der der Nacht singst,
nimm diese eingesunkenen Augen und lerne zu sehen.
Dein ganzes Leben,
Hast du nur auf diesen Moment gewartet, frei zu sein.

Amsel flieg,
Amsel flieg,
In das Licht der dunklen schwarzen Nacht.

Du hast nur auf diesen Moment gewartet, aufzufliegen.
Amsel flieg,
Amsel flieg,
In das Licht der dunklen schwarzen Nacht,
Amsel, die du da tief in der der Nacht singst.

Amsel, die du da tief in der der Nacht singst,
nimm diese gebrochenen Flügel und lerne zu fliegen.
Dein ganzes Leben,
Hast du nur auf diesen Moment gewartet, dich zu erheben.“

 

2 comments

  • Marion Reich

    Danke für die interessanten, informativen und anregenden Texte jeden Sonntag!!!

    Auch die Fotos sind immer sehr schön. Egal ob sie von der Amsel oder Susi sind!!!

  • Martin Witzmann

    Am Sonntag 26.5.2024 singt die Ampel im 2. Hinterhof (m)eines Wohnblocks im Prenzlauer Berg.
    28qm Mietwohnung seit 1994, mithin noch bezahlbar.
    Die Amsel macht es mir angenehm, die Wohnung zu verlassen Richtung Tram zum Alexanderplatz. Wenig Autos, kaum Menschen. ICE503 Richtung München rast durch ostdeutsche Lande. Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung, scheint es.
    Danke für die Erläuterung des Beatles-Songs.

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