Fliegen wie ein Adler

Das Haus der Flugpioniere Otto und Gustav Lilienthal in Anklam steht nicht mehr. Zerstört im Krieg. Genau wie die nahe und mächtige Nikolaikirche mit einem Turm von imposanten 103 Metern Höhe. Einst Lotsenpunkt für die Kapitäne der Ostsee. Doch der Turm ist weggeschossen worden. Am schwärzesten Tag der Stadt, am 29. April 1945.

Das kleine Städtchen Anklam im äußersten Nordosten Deutschlands hat eine Geschichte wie Ikarus. Früher stolze und reiche Hansestadt an der Peene brachen erst die Nazis, dann die SED-Sozialisten der Stadt das Genick. 1943 zerstörte ein Angriff der US-Luftwaffe die Innenstadt. Ende April 1945, am letzten Kriegstag wurde Anklam zu 85 Prozent dem Erdboden gleich gemacht. Ritterkreuzträger Erich Mende, ein späterer Minister in Bonn, ließ aus sicherer Distanz auf die eingerückte Rote Armee feuern. Der Turm der Nikolaikirche fiel. Zudem startete die deutsche Luftwaffe am Nachmittag einen Angriff auf Anklam – auf die eigene Stadt. Ein bizarrer Vorgang.

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Anklam eine Kirche ohne Turm. Eine Stadt ohne Mitte. Das soll anders werden. Foto: Christhard Läpple

 

Nach dem Fanatismus der Nazis gab die sozialistische Stadtplanung Anklam den Rest. Zurück blieb eine Stadt ohne Mitte und Seele. Nach der Wende zogen erst die Menschen in Scharen weg, dann Verwaltung, Polizei und Gericht. Die Einwohnerschaft hat sich nahezu halbiert. Schlagzeilen über gewaltbereite Neo-Nazis taten ein Übriges. Anklam, die geschundene Stadt, wurde vergessen und sich selbst überlassen.

„Wir heben ab. Spätestens im Jahre 2020 hat die Stadt wieder ein Gesicht. Ein Zentrum. Ab in die Mitte.“ Peer Wittig strahlt Zuversicht aus. Der gelernte Ingenieur gibt sich selbstbewusst. „Wir schaffen das“. Die Nikolaikirche soll ein renommiertes Museum für den Traum vom Fliegen werden. Wo Jahrzehnte lang in der Kirchen-Ruine Tauben hausten und grüner Rasen gedieh, soll sich der Adler von Anklam wieder stolz in die Luft schwingen, Der 53-jährige ist voller Energie. „Wir haben eine Zukunft.“ Die Kirche als letzte große Hoffnung.

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Der Traum vom Fliegen ist die Zukunft. Anklam setzt auf das Ikareum. Das etwas sperrige Kofferwort steht für Ikarus und Museum. 2020 soll die zerstörte Nikolaikirche mit neuem Turm eröffnet werden.

 

„Ikareum“ soll das neue Mekka der Luftfahrt heißen. Fluggeräte und Geschichten der Gebrüder Lilienthal, Montgolfiere und Wright sind bereits in der 33 Meter hohen Kirche zu entdecken. Otto Lilienthal, der mit vierzehn Jahren Anklam verließ, flog mit seinen waghalsigen Apparaten bis zu zweitausend Mal. Bis er im Alter von 48 Jahren abstürzte. Wie einst Ikarus. Längst kann die Menschheit fliegen. Anklam träumt nun wieder einen Menschheitstraum. „Die Macht des Verstandes wird im Fluge auch dich tragen“, sagte der berühmteste Sohn des gebeutelten Städtchens. Das müsste doch zu schaffen sein.

Das Ikareum in Anklam ist im Sommerhalbjahr bereits geöffnet.

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Michael Najjar. Skyfall. Videoworks. Mehr im: Es Baluard Museum d´Art Modern. Palma de Mallorca. Bis 30. August 2015.

2 comments

    • CLaepple

      In der Kirche ist das besuchenswerte Museum Ikareum über die Anfänge der Luftfahrt. Vorne „steht“ Otto Lilienthal auf dem Markplatz seiner Geburtsstadt Anklam. Die Aufnahme ist von mir.

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