Nice-Land

Junge bärtige tollkühne Männer mit achtziger Jahre-Haarschnitt stürzten selbstbewusste, überhebliche, topondulierte Profis von ihrem Ross. Eine echte Saga, Marke Island. David gegen Goliath. Tapfere Trolle gegen gigantische Gladiatoren. Sie verhalfen den Briten zum sportichen Brexit. Nun sind die Isländer gegen Frankreich ausgeschieden. Zwei Tore reichten nicht – die Franzosen netzten davon fünfe ein. Egal. Das isländische Sommermärchen ist vorbei. Einziger Wermutstropfen: Nun wird die EM ein wenig langweiliger.

Island hatte nie eine Armee. Seit dem 13. Jahrhundert aber sind Isländer die besten Geschichtenerzähler. „Snorra Edda“ – ihre Blaupause für Heldengeschichten. Seit Jahren liebe ich diese kleine, große Insel am Rande der Welt mit Eis und Feuer, Gletschern und Vulkanen. Bewundere ihre Kultur, ihren Mut und ihre Bereitschaft, Dinge zu ändern, die zu ändern sind. Die 330.000 Einwohner –Bielefeld lässt grüßen – sind Multi-Tasker. Sie ackern, fischen, züchten Schafe, schreiben, dichten, trinken, musizieren und manche spielen mittlerweile so gut Fußball wie die Großen. Die EM ist die Geburtsstunde eines neuen Mythos. Underdogs können mehr. Frisch, fröhlich, furchtlos. Apropos: Ein isländischer Kicker verdient im Durchschnitt in einem Monat so viel wie sein britischer Kollege an einem Tag.

 

 

Wenigstens drei Dinge sollte man über die Isländer wissen.

Nummer Eins. Sie sind ein gastfreundliches Land. Bis 874 lebte kein Mensch auf der Vulkaninsel. Dann kamen irische Mönche, Norweger, Kelten, Dänen, Engländer und nach dem II. Weltkrieg mehrere hundert deutsche Frauen. In Island waren sie knapp. In Deutschland gab es nichts zu futtern. Bereits 993 wurde die Ratsversammlung Althing gegründet: Das älteste Parlament der Welt. Kaiser, Könige oder Diktatoren gab es nie, es sei denn als Eroberer. Seit dem 17. Juni 1944 ist Island unabhängig. Apropos: Es waren natürlich Isländer in der Gestalt von Wikingern, die Amerika (um das Jahr 1000) als erste entdeckten. Und nicht ein gewisser Christopher Kolumbus.

 

Nummer Zwei. Jeder ist mit jedem verwandt, irgendwie um eine Ecke . Im Telefonbuch sind nur Vornamen verzeichnet. Johannson ist der Sohn von Johann und mit 48 Jahren seit kurzem jüngster Präsident des Landes. Gewählt wurde er, weil sein Vorgänger über dubiose Panama-Aktien-Geschäfte  gestolpert war. Gudmundsdottir, ist die Tochter von Gudmund, besser bekannt als Björk. Islands berühmteste Sängerin und Kulturexporteurin. Weil praktisch jeder mit jedem verwandt ist, ähnelt sich auch das Erbgut. Was bedeutet das? Tausende Isländer wurden genetisch durchleuchtet, um Krankheitsgene für Alzheimer und Krebs zu entschlüsseln.

 

Island Limo 2009

Reykajyvik. 2010. Ein Land im Finanzrausch – bis die Blase platzte. Das Personal wurde ausgetauscht. Die Strech-Limo blieb. Dann fing man wieder von vorne an.

 

Nummer drei. Isländer stehen auch nach dem härtesten Schlag wieder auf. Nach dem Finanzrausch von 2007 und der drohenden Staatspleite 2008 haben die Isländer die Folgen der Spekulationsblase erstaunlich rasch überwunden. Nun ist der rasant wachsende Tourismus größter Devisenbringer. Das Land dient auch als Kulisse für Hollywood. „Star Wars“, „Games of Thrones“ oder Jules Vernes „In achtzig Tagen um die Welt“ entstanden auf der Insel. „Man findet in Island einzigartige Landschaften, die inspirierendsten des Planeten“, schwärmt Regisseur Darren Aronofsky.

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Sagenhaftes Island. Die Isländer sind Weltmeister im Geschichtenerzählen. Illustration: Kat Menschik. 2011.

 

Sollten die Isländer nun auch noch die Franzosen bezwingen, könnte es sein, dass der Eyjafjallajökull oder einer der anderen 130 Vulkane beschließen, vor lauter Freude Feuer zu speien. Die heimischen Vulkane brechen – rein statistisch gesehen – alle fünf Jahre aus. Die letzte Aktivität war 2010 und – europaweit zu spüren. Als feiner dunkelschwarzer Ascheregen, der alles lahmlegte. Fazit: Was auch immer passiert, die Isländer, klein und fein, spielen groß mit. Oder Halldor?

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