Vermisst
Das Bild entstand 1913. Der Turm der blauen Pferde. Ein ganz großer Wurf. Intensiv, wild, expressionistisch. Ein Jahr vor Ausbruch des ersten großen Infernos des 20. Jahrhunderts. Vor genau einhundert Jahren starb an den Fronten des I. Weltkrieges dessen Schöpfer Franz Marc. Für Kaiser, Reich und Vaterland, wie es hieß. Die Pferde gehören zu seinen aufwühlendsten und bekanntesten Werken. Sein Werk hat den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden. Seit 1945 sind die Pferde spurlos verschwunden.
Der letzte bekannte Besitzer des Turms der blauen Pferde war Nazi-Größe Hermann Göring. Der selbsternannte Reichsfeldmarschall hatte das Gemälde nach Ende der Ausstellung Entartete Kunst im Jahr 1937 in München einfach beschlagnahmt. Es soll sich in seiner Privatsammlung befunden haben. Offiziell ist das Werk seitdem verschollen. Niemand weiß, wo es sich befindet oder ob es überhaupt noch existiert.
Der gebürtige Münchner Franz Marc hatte 1911 den Künstlerbund „Blauer Reiter“gemeinsam mit Wassily Kandinsky, August Macke und Paul Klee gegründet. Der Gruppe gelang ein atemberaubender Aufbruch in die Moderne. Intensive Farben, expressionistische Leidenschaft und ungezügeltes Temperament. Franz Marc: „In unserer Epoche des großen Kampfes um die neue Kunst streiten wir als Wilde. Die gefürchteten Waffen der Wilden sind ihre neuen Gedanken; sie töten besser als Stahl und brechen, was für unzerbrechlich galt.“
1914 tauschte Franz Marc Pinsel und Worte gegen Karabiner und Stahlhelm. Sein enger Freund August Macke fiel bereits wenigen Wochen nach Kriegsausbruch im Alter von 27 Jahren. Es dauerte ein weiteres Jahr, bis Franz Marc das Gemetzel an den Fronten entscheidend veränderte. In einem Brief an Lisbeth Macke, der Witwe seines Freundes August, schrieb er desillusioniert, der Krieg sei der „gemeinste Menschenfang, dem wir uns ergeben haben“.
Franz Marc wurde 1916 in die „Liste der bedeutendsten Künstler Deutschlands“ aufgenommen. Damit konnte er vom Kriegsdienst befreit werden. An seinem letzten Einsatztag vor der Rückkehr fiel er während eines Erkundungsritts kurz vor Verdun. Zwei Granatsplitter trafen ihn tödlich. Das war am 4. März 1916 – vor hundert Jahren.
Zwölf internationale zeitgenössische Künstler in Berlin und acht in München suchen nun mit Mitteln der Malerei, Skulptur, Video, Fotografie, Installation und Texten nach der Imagination dieses Bildes. Sie wollen neue Fragen rund um Mythos und Verbleib des Turm der blauen Pferde aufwerfen.
In Berlin mit dabei sind die Künstler: Martin Assig, Norbert Bisky, Birgit Brenner, Johanna Diehl, Marcel van Eeden, Julia Franck, Arturo Herrera, Christian Jankowski, Via Lewandowsky, Rémy Markowitsch, Tobias Rehberger, Peter Rösel
In München beteiligen sich: Viktoria Binschtok, Dieter Blum, Tatjana Doll, Slawomir Elsner, Jana Gunstheimer, Almut Hilf, Thomas Kilpper, Franz Marc, Dierk Schmidt.
Das Kunstexperiment startet am 3. März 2017 im Haus am Waldsee Berlin und sechs Tage später am 9. März in der Staatlichen Graphischen Sammlung in München.