Theatervorhang. Gerd Altmann

Der letzte Vorhang

Vorhang zu. Aus und vorbei. In wenigen Tagen ist Schluss mit zwei Traditionsbühnen auf dem Kudamm. Die Komödie und das Theater am Kurfürstendamm müssen schließen. Sie weichen einem neuen Shoppingcenter. Das Ende einer hundertjährigen Theatergeschichte. Ein russischer Investor an der Spitze eines verschachtelten Anlegerimperiums errichtet eine Luxusmeile. Einziger Kompromiss nach Protesten und zähen Verhandlungen: Im Keller entsteht ein kleines Ausweichquartier. Der Deal: Die Kosten für die künftig teure Miete soll am Ende der Senat, sprich der Steuerzahler übernehmen.

 

Theater am Kurfürstendamm. Im Mai 2018 ist Finale. Das Haus wird geschlossen.

 

In der Hauptstadt wird derzeit gekauft, verkauft, abgerissen und neugebaut als müsse in wenigen Jahren das neue Rom entstehen. Eine Stadt im Gründerrausch. Besonders die Vorzeigemeile Kurfürstendamm ist im Visier. Alteingesessene Theater, Cafés, kleine Läden und Kinos müssen weichen. Sie können einfach nicht mithalten. Politik und Kulturmanager erklären, sie hätten alles versucht, könnten aber das Theatersterben nicht verhindern. Viele befürchten, jetzt verliert die Stadt ihre Seele.

Rolf Hochhuth, der alte zornige Mann des deutschen Theaters, ist wütend. Über die Abzocke der Investoren aber auch über die Gleichgültigkeit der Verantwortlichen. Er ist den Bühnen am Kudamm eng verbunden. Sein Werk „Stellvertreter“ über das Schweigen des Vatikans in der NS-Zeit feierte genau hier im Februar 1963 Premiere. Erwin Piscator übernahm Regie und das Risiko den jungen Autor Rolf Hochhuth zu präsentieren. Die Inszenierung wurde ein Skandal – und ein Welterfolg.

 

Rolf Hochhuth. Am 20. Februar 1963 feierte sein Stück „Stellvertreter“ in der Inszenierung von Erwin Piscator am Theater am Kurfürstendamm seine Weltpremiere.

 

Für Hochhuth ist das Abräumen eines hundertjährigen Theaterstandorts das Werk von „Barbaren“. Hochhuth wörtlich: „Vor allem wusste auch jeder von der Tradition dieses Hauses. Zwei Juden hatten die Bühnen gebaut und aus eigener Tasche bezahlt. Max Reinhardt und der berühmte Oskar Kaufmann. Es ist genau wie Theodor Fontane es gesagt hat: Die Juden finanzieren die deutsche Kultur, und wir Arier finanzieren den Antisemitismus. Es ist eine Kulturschande ohne Beispiel.“

Über den Deal von Investor und Berliner Senat das „86. Einkaufszentrum in Berlin“ zu genehmigen und als Feigenblatt ein unterirdisches Theater als Erfolg zu verkaufen schüttelt der 87-jährige Hochhuth den Kopf. „Muss Berlin ein Theater in den Keller verlegen? In der prominentesten Straße? Bismarck hat über den Kudamm gesagt: Diesen herrlichen Corso den blöden Berliner Behörden aufzuzwingen, war der härteste Kampf meines Lebens.“

 

Nun schließen zwei traditionsreiche Häuser mit einem treuen Publikum. Kultur weicht Kommerz. Hochhuth schimpft in einem Interview der Berliner Zeitung über „die hündische Unterwürfigkeit der Politik gegenüber dem Großkapital“. Einziger Lichtblick: Der Altmeister des Dramas gewinnt mit dem Kudamm-Plot explosiven Stoff für sein neues Werk. Titel: „Germany, 52. US-Bundesstaat.“ Die Geschichte vom Theatertod soll ein eigenes Kapitel werden. Wir dürfen gespannt sein, wenn es heißt: „Vorhang zu und alle Fragen offen.“

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