Die Gedanken sind frei. Alexas

Geben Sie Gedankenfreiheit!

 

Er wollte kein Fürstendiener sein. Er war stolz und unbeirrbar. Der Malteser-Ritter Marquis von Posa. Keiner, der katzbuckelte, sich wendete oder anpasste. Eine Kunstfigur? Genau genommen ja. Friedrich Schiller schrieb seinen berühmten „Don Carlos“ von 1783 bis 1787. In seinem Drama ließ er den Marquis vor den spanischen König Philipp II. treten. Er klagte den Herrscher der Unterjochung Andersdenkender und Inquisition an. Er fiel auf die Knie und forderte: „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!“

Philipp II. König von Spanien. Mächtiger Mann der Inquisition. (1527-1598)

Zwei Jahre nach der Uraufführung von Don Carlos in Hamburg im Jahre 1787 erhoben sich die Franzosen zur Revolution. 1789 änderte sich in Europa alles. Die Despotie wurde gestürzt. Es schien, als fielen die Worte des Romantikers Schiller aus Marbach am Neckar auf fruchtbaren Boden. Dabei hatte der Jungdichter einen hohen Preis für seine Unabhängigkeit zu bezahlen. Im Alter von 23 Jahren musste er seine Heimat verlassen, flüchtete ins liberale Baden, erhielt später bei Freunden in Thüringen Asyl.

Schiller war davon überzeugt, dass Verstand und Gefühl zusammengehören. Das Theater müsse in seinen Stoffen und Charakteren den Fürsten – also den damals Mächtigen – ein Bild der wirklichen Lebensumstände nahebringen. Die Kraft des Theaters. Schiller: „Hier nur hören die Großen der Welt, was sie nie oder selten hören – Wahrheit; was sie nie oder selten sehen, sehen sie hier – den Menschen.“

Urfassung Don Carlos. 1787.

Geben Sie Gedankenfreiheit – ein geflügeltes Wort. Es gibt viele Herrschenden auf der Erde, die am liebsten sogar Gedanken unter Zensur stellen würden. Tatsächlich ist das Recht, die eigene Meinung öffentlich zu äußern, längst wieder ein Risikofaktor geworden. Meinungs- und Presse-Freiheit sind auf dem Rückzug. Deutschland gehört – bei aller Kritik – zu den wenigen Inseln einer geschützten Gedanken- und Meinungsfreiheit. Das war nicht immer so und muss keineswegs so bleiben. Zwei Diktaturen in einem Jahrhundert – braun und rot –  versuchten die Freiheitsrechte gewaltsam zu ersticken.

Friedrich Schiller: Don Carlos, Infant von Spanien – Kapitel 16

Marquis „Ein Federzug von dieser Hand, und neu
Erschaffen wird die Erde. Geben Sie
Gedankenfreiheit. – (Sich ihm zu Füßen werfend.)

König (überrascht, das Gesicht weggewandt und dann wieder an den Marquis geheftet).
                Sonderbarer Schwärmer!“

1937 gab das Deutsche Theater in Berlin Schillers Don Carlos. Der damals populäre Bühnen- und Filmschauspieler Ewald Balser spielte leidenschaftlich den Marquis von Posa. Für seinen Satz „Geben Sie Gedankenfreiheit“ erntete Balser minutenlangen offenen Szenenapplaus. Propagandaminister Goebbels, der Hausherr des Deutschen Theaters, wurde informiert. Er entschied: „Weiterspielen lassen!“ Mit den Beifallsstürmen sei doch der Despot Philipp II aus Schillers Drama gemeint. Das Stück wurde – entgegen der Legendenbildung – nicht abgesetzt, sondern weitere 39 Mal aufgeführt – bis das Theater und Berlin in Schutt und Asche versanken.

2019 garantiert uns das Grundgesetz Gedanken-, Meinungs- und Pressefreiheit. Woran es mangelt? Der ewige Spötter Karl Kraus wüsste eine passende Antwort: „Die Gedankenfreiheit haben wir. Jetzt brauchen wir nur noch die Gedanken.“

4 comments

  • Uta Holst

    Man erinnert sich in diesen Zeiten gerne dieser damaligen Schullektüre und begreift die Prägnanz und Aktualität im heutigen Kontext.
    Danke Schiller…, mögen die Menschen wieder denken und diese Freiheit auch verteidigen. Diese Freiheit schützt uns wahrhaft. Uta August 2021.

  • Oliver Matthiesen

    Deutschland, August 2021 …
    „Das beste Deutschland, das es je gab!“
    Sehe ich so nicht!
    Ich sehe erneut ein Problem in Sachen Redefreiheit! Vor der Rede steht der Gedanke, also: auch Gedankenfreiheit!
    Wir gehorchen, damit es besser wird; es wird aber nicht besser, weil wir gehorchen!

  • Peter Baur

    ich „denke“, dass in der aktuellen Situation (Frühjahr 2023) eher zu wünschen sei, Karl Kraus zu folgen. Modernisiert würde ich mich heutzutage auf die Knie werfen mit dem Flehen: „geben Sie Gedankenklarheit“!!! Unklar ist dabei, an wen ich mein Flehen richten soll: am besten an die gesamte „Menschheitsfamilie“, wie Daniele Ganser es so schön benennt.

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