Archive for : September, 2019

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Der Traum vom Baum

Neues zur Klimakrise. Politiker zeigen Entschlossenheit, wollen handeln. Ob in der Bundesregierung oder auf lokaler Ebene. Dort, wo Politik konkret ist. Der Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat in diesen Tagen den „Klimanotstand“ ausgerufen. Rot-Rot-Grün packt an. Denn: „Das Klima wartet nicht“, sagt der Sprecher der Bündnisgrünen. Was geschieht? Unzählige Papiere werden gedruckt, in Umlauf gebracht, verworfen, korrigiert, um am Ende wieder im Papierkorb zu landen. Kreislaufwirtschaft im 21. Jahrhundert.

Alle Beschlüsse vor Ort sollen künftig auf Folgen für die Umwelt überprüft werden. Auf Basis der 17 UNO-Nachhaltigkeitsziele. Das hört sich beeindruckend an – Klimarettung auf höchstem Niveau.  Und die Praxis?

 

Das Sturmtief „Xavier“  entfaltete 2017 volle Wirkung. Der Ahorn war weggeknickt. Das Auto der Nachbarin optisch verändert. (Totalschaden). Unsere Räder blieben wie durch ein Wunder verschont.

 

Tatsächlich hat der wohlsituierte Kudamm-Bezirk andere Probleme. Neue Bäume zu pflanzen ist hier schwieriger als zum Mond zu fliegen. Da das Setzen und Pflegen von Straßen-Bäumen im Kernland Preußens eine hoheitliche Aufgabe ist, passiert seit Jahren – nichts. Die Verwaltung hat keine Mitarbeiter, die sich um Bäume kümmern könnten. Der Bezirk hat seit Jahren einen Baum-Notstand. Deshalb scheitern wir seit über einem Jahr  beim Versuch mehr Grün für die Stadt zu spenden. Die passende Fläche ist vorhanden, ausreichend Spendengeld vorhanden. Jeder Baum wäre ein kleiner Klimaverbesserer, heißt es. Eine Win-Win-Situation, nicht aber in Berlin.

Alle schriftlichen Anfragen um Hilfe an den zuständigen grünen Stadtrat blieben unbeantwortet. Auch seine Fraktion ignorierte mit lässiger Eleganz unsere Bürgeranfragen, ebenso das verantwortliche Grünflächenamt. Ämter und Politiker flüchten in Schockstarre. Es lebt sich heute wie in Zeiten des Absolutismus, Friedrich der Große lässt grüßen. Die Verwaltung hat Recht. Der Bürger zu funktionieren. Und muss warten.

Eine winzige Chance bleibt. Der Senat propagiert die Aktion „Stadt-Bäume für Berlin“. So will Berlin die dicke Luft in der Hauptstadt bekämpfen. Rund 60.000 Bäume seien allein in den letzten Jahren verloren gegangen. Überraschenderweise antwortete eine Senats-Mitarbeiterin (Referat Bäume) binnen vierzehn Tagen. Doch sie dampfte aufkeimende Hoffnungen zwei Zeilen später gleich wieder ein. Die praktische Umsetzung – sprich Pflanzung von Spendenbäumen – obliege dem zuständigen Bezirksamt. Endstation Baumsucht. Das war´s wohl. Munter wedelt der Schwanz mit dem Hund.

 

September 2019. Mut zur Lücke. Struppiges Berliner Straßengrün gedeiht, wo seit zwei Jahren ein Baum fehlt.

 

Letzter Stand: 2020 werde unsere Baumspende in der Bedarfsplanung „priorisiert“, verspricht die Frau vom Senat. Es bestehe eine gewisse Möglichkeit, dass die Lücke im nächsten Jahr geschlossen werden könne. Charlottenburg-Wilmersdorf hat ja offiziell den Klima-Notstand ausgerufenen. Per Amtsblatt und mit Aktenzeichen. Das muss reichen. Auftrag erfüllt. Gewissen beruhigt.  So funktioniert Berlin.

 

Quelle: Tagesspiegel

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Genau richtig

Hat Literatur die Macht, Wut, Hass und Vorurteile zu überwinden? Können Bücher wirklich etwas verändern? Jostein Gaarder müsste es eigentlich wissen. Der Norweger hat seinen Bestseller Sofies Welt sechzig Millionen Mal in die Welt verkauft. Momentan entdecken die Chinesen seine Betrachtungen über die Fragen des Woher und Wohin der Menschheit. Jostein Gaarder zögert mit seiner Antwort. Er schaut mich an. Überlegt. Der große alte Erzähler aus Norwegen bleibt skeptisch.

Er sagt: Wir leben in einem Zeitalter der Bilder. Sie haben längst mehr Wert als Worte. Aber! Die Zukunft des Wortes sei dennoch nicht zu unterschätzen. In diesem Sommer erscheint in Deutschland sein neues Buch: Genau richtig. Die Geschichte von Albert und Eirin. Der Mann erhält von seiner Ärztin und ehemaligen Geliebten eine niederschmetternde Diagnose. Während Ehefrau Eirin auf einem Kongress weilt, zieht er sich verstört in eine einsame Ferienhütte zurück. Was soll er tun? Sein einziger Freund ist sein Tagebuch. Fragen über Fragen.

 

Mit Ellen Olerud und Jostein Gaarder nach dem Interview in Lillehammer.

 

Was bleibt am Ende? Darf man mit einer Lüge die Welt verlassen? Geht ein Check-Out ohne ehrlich zu bleiben? Gaarder entwickelt eine kurze Geschichte über die großen Fragen. 136 Seiten Gedankenfutter zum Sinn des Lebens. Fragen, die ihn seit seiner Kindheit umtreiben. Soweit sein neues Buch. Im echten Leben, sagt er dann im Interview, gelte es die Welt zu retten. Die Jugend habe Recht. Er lächelt. Dann zeigt er mir seine Ohrstöpsel, die er wegen einer lauten Fridays for Future-Demo direkt vor seinem Hotelzimmer in seine Gehörgänge gestopft hatte. Sonst komme er nicht zum Denken, meint er, das sei dies doch die vornehmste Aufgabe der Literatur.

 

 

Eine bessere Welt mit Hilfe der Literatur erträumen? Ist das ein Plan, der überzeugt? Der Traum in uns ist das Motto der Norweger auf der diesjährigen Buchmesse 2019 in Frankfurt. 255 deutschsprachige Neuerscheinungen sind angekündigt. Das ist für ein kleines fünf Millionen Volk eine ganze Menge. Die Skandinavier wollen zeigen, dass sie mehr zu bieten haben als Öl, Lachs, Hurtigruten und Kaviar aus der Tube. Ihr Versprechen: spannende, gute, aufregende Bücher.

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Landregen

Wie wäre es mit einem langen, ergiebigen, auf Dächer und Fensterscheiben platternden Regen? Nicht generiert auf der App „Rainy“ oder „Relax“ zum besseren Einschlafen. Nein. Vielmehr in der wirklichen Wirklichkeit. Im richtigen Leben. Landregen hieß es bei den Großeltern, wenn es mehr als sechs Stunden gleichmäßig aus dunkel-grauen Wolken tröpfelte, goss und plätscherte. Wenn Regen über das Land hinwegzog. Und einfach verweilte. Kein Starkregen. Keine Unwetter mit tennisballgroßen Hagelkörnern. Nein, einfach ein stiller, langanhaltender, unspektakulärer Dauerregen.

Bereits im zweiten Sommer in Folge erweist sich diese Form von Landregen als äußerst sparsam und zurückhaltend. Petrus verweigert in weiten Regionen des Landes seine Dienste. Da kann die Wetter-App vorab noch so viel versprechen, meist bleibt der feuchte Segen von oben aus. Welche Wohltat wäre es für Garten und Flur, welche Hilfe für verbrannte, ausgezehrte, versteppte Natur. Landregen – was für ein angenehm altmodisches Wort! Ohne Wasser kein Leben. So einfach sind die Regeln, nicht nur in der Sahel-Zone.

 

 

Uns bleibt derzeit nur der Griff ins digitale Archiv, um das Lob auf den Regen wenigstens musikalisch zu unterstreichen. Auf Mallorca komponierte vor fast zweihundert Jahren Frédéric Chopin seine zweite Klaviersonate. Genau die mit der berühmten Feier des Regentropfens. Lasst uns seine Regen-Fantasie genießen, in der Hoffnung, dass Musik uns lehrt, Freude und Demut für die Natur und ihre Launen wiederzuentdecken. Ohne sofort wieder auf das Smartphone zu starren. Ohne dessen Wetter-Prognosen heutzutage kaum noch jemand seinen Fuß vor die Haustür setzt. Man könnte ja im Regen stehen. Oder gar nass werden.

Genau. Singing in the rain… noch so ein wunderschönes Lied. Ein Lobgesang auf das frisch verliebte, feucht-fröhliche Vergnügen im Dauerregen. Ein Song zur Freude der Allergiker und Stärkung der Regenschirm-Branche, die in diesen trockenen Zeiten ohnehin unter Umsatzrückgang zu leiden hat. Gene Kelly macht es vor. Was schert ihn schon die prasselnde Himmelskraft. Wenn es lauter Glückshormone regnet.

 

https://youtu.be/D1ZYhVpdXbQ