Archive for : Februar, 2021

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Kleiner Fabio, was nun?

„Wie kann man lachen, richtig lachen, in solcher Welt mit sanierten Wirtschaftsführern, die tausend Fehler gemacht haben, und kleinen entwürdigten, zertretenen Leuten, die stets ihr Bestes taten?“ Niemand konnte die Sorgen der kleinen Leute genauer beschreiben als Hans Fallada. Vor gut einhundert Jahren landete er mit „Kleiner Mann, was nun?“ einen Riesenerfolg. Heute versucht ein einfacher Abgeordneter der Linken die großen Wirtschaftsführer herauszufordern. Mit Hartnäckigkeit, Herz und Kompetenz. Sein Name: Fabio de Masi. 39 Jahre alt, gebürtiger Hesse, italienische Wurzeln, katholisch, Hamburger aus St. Pauli, Wahlheimat Südafrika. Diplom-Volkswirt, Bundestagsabgeordneter und „überzeugter Linker“.

Sein Großvater war im II. Weltkrieg Partisan im Piemont. Seine Großmutter schmuggelte geheime Botschaften in der Salami. Und der Enkel? Fabio de Masi ist der brillanteste Aufklärer im Wirecard-Untersuchungsausschuss. Für den Abgeordneten der Linken ist Wirecard der größte Finanzskandal der jüngeren Geschichte. „Ein Fenster unserer Zeit“ in die Welt skrupelloser Abzocker getarnt als Finanzdienstleister. Die neuen Masters of the Universe seien mächtiger als Banken. 20 Milliarden Euro hat die „smarte Illusionsfabrik“ Wirecard in den Sand gesetzt. Unzählige Kleinanleger wurden um ihr Vermögen geprellt. Mit im Spiel laut de Masi: Eine unfähige Finanzaufsicht, die statt zu kontrollieren kritische Journalisten verfolgen ließ. Und Lobbyisten von „Kai Diekmann (Ex-BILD) über Karl-Theodor zu Guttenberg (Ex-Verteidigungsminister) bis zum ehemaligen Geheimdienst-Koordinator im Kanzleramt Klaus-Dieter Fritsche“.

 

 

Das Milliarden-Wirecard-Imperium war „ein Luftballon“, der auf den Philippinen platzte. Einer der Chefs sitzt hinter Gittern bzw. ab und zu vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss. Dort kann sich CEO Markus Braun nicht einmal mehr an seine Doktorarbeit erinnern. Der andere Chef, gleichfalls ein Österreicher ist seit Juni 2020 flüchtig. Der gelernte Programmierer Jan Marsalek mit Geheimdienst- und FPÖ-Nähe verschwand mit einer Cessna gen Weißrussland/Belarus. Wo sich der Hochstapler heute befindet, ist unbekannt. Fabio de Masi versucht wie kein anderer die Hintergründe aufzuklären. Der Experte fordert eine Finanz-Elite-Polizei, die Betrüger und deren Netzwerke jagt und nicht wegschaut. Das sei eine wichtige Lehre aus den Pleiten und Betrügereien der letzten Jahre, so der Hamburger de Masio. Die Liste ist lang. Von den Panama-Papers bis zum CumEx-Steuerbetrug.

 

Aktuelles Fahndungsplakat. Jan Marsalek. Ex-Chef con Wirecard.

 

„Es gibt die Weisheit der kleinen Leute“, sagt Fabio de Masi. Aufgabe einer guten Politik sei es, sie zu schützen und ihre Interessen zu vertreten. Doch der furchtlose Aufklärer will nicht mehr. Statt eines möglichen Parteivorsitzes will er im September 2021 als Abgeordneter aufhören. Folge: Das große Problem bleibt, der kleine Fabio geht. Für einen Posten als Parteichef brauche es einen „gemeinsamen Spirit“ in seiner Partei. Er wolle seine Energie nicht „in eingeübten Ritualen und Machtkämpfen verausgaben“. Lieber kümmere er sich um seinen Sohn. Die Begründung seines Rückzuges ist lesenswert. Hier Auszüge:

„Ich habe den politischen Meinungsstreit – gerade mit Konservativen und Liberalen – immer als eine Bereicherung empfunden. Denn Widerspruch schult die eigenen Argumente. Wir müssen lernen, respektvoll miteinander zu streiten – so wie in jedem Dorf, in jeder Familie, in jedem Sportverein und in jedem Freundeskreis.

Es gibt in verschiedenen politischen Spektren und vor allem in den sozialen Medien die Tendenz, Politik nur noch über Moral und Haltungen zu debattieren. Ich halte dies für einen Rückschritt. Werte und Moral sind das Fundament politischer Überzeugungen. Wer jedoch meint, dass alleine die „richtige Haltung“ über „richtig oder falsch“ entscheidet, versucht in Wahrheit den Streit mit rationalen Argumenten zu verhindern.

Identität ist wichtig im Leben. Sie darf aber nicht dazu führen, dass nur noch Unterschiede statt Gemeinsamkeiten zwischen Menschen betont werden und sich nur noch „woke“ Akademiker in Innenstädten angesprochen fühlen. Eine Politik, die nur noch an das Ego und die individuelle Betroffenheit, aber nicht mehr an die Gemeinschaft appelliert, ist auch Donald Trump nicht fremd.“

 

Fabio de Masi. Stilgerecht im Fiat 500. Ob er mit den Ferraris der Finanzelite mithalten kann? Für ihn nicht eine Frage des Tempos, sondern der Hartnäckigkeit. Foto: privat

 

Fabio de Masi hofft bis zum Sommer 2021 vorzeigbare Resultate aus dem Wirecard-Ausschuss der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Alle kleinen und großen Leute dürfen gespannt sein.

 

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Oh, wie schön ist Janosch

Ein gewisser Herr Wondrak unterwegs ins Grüne: „Herr Janosch, welches ist die richtige Haltung beim Radfahren? »Luise sitzt vorbildlich aufrecht. Und Wondrak hält Ausschau nach hinten und achtet im Übrigen darauf, dass er nicht stört.« Typisch Janosch. Das Leben ist so schön. Der Meister des heiteren Müßiggangs und Wegbegleiter vieler Kinder-Generationen. Ein Mann der feinen Ironie. Berühmt geworden als Vater der Tigerente. Legendär sein Oh, wie schön ist Panama. Kaum zu glauben. Janosch wird bald Neunzig.

Als Horst Eckert erblickt er am 11. März 1931 in Hindenburg (das heutige polnische Zabre) in einer schlesischen Malochergegend das Licht der Welt. Janosch: „Aus Versehen geboren, und dann selig über die Erde getorkelt. Wie ein Bote, der hier etwas abzuliefern, aber den Empfänger vielleicht doch noch nicht gefunden hat, ihn auch gar nicht mehr sucht.“ Einer der erfolgreichsten deutschen Kinderbuchautoren aller Zeiten hatte von Anfang an eine schwierige Kindheit. Der Vater war ein prügelnder Nazi. Dann Krieg, Flucht, Vertreibung und Neuanfang in München. Dort wollte er Kunst studieren. Der Professor warf ihn raus, wegen „mangelnder Begabung“.

 

Janosch: „Ich hatte die Schnauze voll von Kinderbüchern. Keiner kaufte die. Und da wollte ich einen Racheakt an der Welt landen. Ich wollte ein Kitschbuch machen. Da gibt es so ein paar Regeln. Da muss ein Kuschelbär dabei sein und der Bär muss eine Reise machen und muss einen Freund haben und schon fangen die Weiber an zu heulen.“

Der Durchbruch kam mit Waldbär und Tigerente in seiner Panama-Geschichte. Da war er 47 Jahre alt. Der Erfolg machte ihn nicht glücklich. Im Gegenteil. Nach dem Welterfolg  ließ er sich von abgebrühten Werbeleuten über den Tisch ziehen. Die cleveren Vermarkter organisierten die Nutzungsrechte, packten die Tigerente auf Kaffeetassen oder auf die Putenbrust und verdienen fortan an Janosch prächtig.

 

Kinderfreund und Lebensphilosoph Janosch 2002. Foto: Wikipedia

 

Sein Glück fand Janosch in den Bergen von Teneriffa. In einer Hütte lebt er bescheiden und zurückgezogen mit seiner Frau. Vielleicht döst der begnadete Melancholiker gerade in seiner Hängematte. Motto: Wer fast nichts braucht, hat alles. Janosch: „Alle Leute suchen nach dem Glück. Das ist etwas zu viel verlangt. Ich würde nicht mal danach suchen. Die beschäftigen sich ein ganzes Leben damit, das Glück zu suchen. Wozu?“ Interviews hasst er. Kinder liebt er, nicht aber deren Eltern. Janosch bleibt ein schrullig-liebenswerter Anarchist und Aussteiger. Wie sein Herr Wondrak, der viele Jahre im Zeit-Magazin Mitmenschen ihre Sorgen vertrieb. Froh, heiter und gelassen. Und wenn es nur für einen kurzen Augenblick war, der ein Lächeln bescherte.

 

 

Mit seinen Helden, dem Umwelthäuptling Emil Grünbär, der klugen Graugans Dolli Einstein und dem gütigen Hund Rüdi von Lieberbaum versucht er auf seine Art Natur und Klima zu retten. Seit vielen Jahren setzt sich Janosch für Projekte gegen Armut ein. In seinem Geburtsort Zabrze (Polen) kauft er Wohnplätze für Waisenkinder, lässt seine Bilder für SOS Kinderdörfer, medizinische Hilfe in Afrika, die Krebshilfe und den Tierschutz versteigern.

 

 

Was bleibt mit Neunzig? Vor einiger Zeit sagte Janosch über das Älterwerden: „Das ist die beste Zeit meines Lebens das Alter. Es ist so was von schön. Das kann ich jedem nur empfehlen. – Was ist am Alter so schön? – Der Geschlechtstrieb ist abgestorben bzw. beseitigt. Man wird nicht mehr ernst genommen von den Leuten. Man kann machen, was man will.“

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Glücks-Produktion

Was ist Glück? Keine Termine und leicht einen sitzen, meinte Entertainer Harald Juhnke. Prost! Für heutige Zeitgenossen sind es eher möglichst viele Likes für ihre Posts. Für fast alle Menschen aber bleiben Bäume Symbole des Glücks. Am besten vor dem Fenster, in der Straße, im Park. Auf alle Fälle mitten in der Stadt. Denn: Wir zerstören, was wir lieben: Wälder, Wiesen und wilde Rückzugsorte. Digitale Konzerne versuchen mittlerweile künstliche Oasen zu schaffen. Grün ist gut für das Marketing. Greenwashing nennt sich das.

Internetriese Amazon baut in Arlington am Rande der US-Hauptstadt Washington sein neues HQ2, Headquarter 2. Hier entsteht ein 22-stöckiges „Baumhaus“ in Form einer Doppelhelix. Der zweite Firmensitz des Megakonzerns soll zu 100 Prozent mit Sonnenenergie beheizt und gekühlt werden. Das Baumhaus wird von Parks mit einheimischen Pflanzen umgeben, so das Versprechen. Das Design sei »von der Natur durchzogen« und soll so „Wohlbefinden und Kreativität“ fördern. Der Lieferriese im neuen, zeitgemäß grünen Blättergewande.

 

 

Der Doppelhelix des Architekturbüros NBBJ soll von außen begehbar sein, auf »zwei landschaftlich gestalteten Pfaden, die spiralförmig nach oben klimmen, mit Pflanzen, die auf einer Wanderung in den Blue-Ridge-Bergen von Virginia zu finden sind«. Den Beschäftigten verspricht Amazon eine »Vielzahl« verschiedener Arbeitsplätze – »inmitten üppiger Gärten und blühender Bäume«. Die Öffentlichkeit soll keineswegs ausgesperrt bleiben. Für 2025 ist die Fertigstellung des neuen Amazon-Hauptquartiers angekündigt.

Amazon als Landschaftsgärtner? Eine schicke Öko-Zentrale als Prestigeprojekt der Besserverdienenden? So könnten wohl Anflüge von schlechtem Gewissen besser besänftigt werden, um weiter rastlos um die Welt jetten zu können. Zudem soll das Baumhaus angenehm auf das Wohlbefinden der Belegschaft wirken. So brauchen die Amazoner weder über Betriebsräte nachzudenken und können das Zusammenbrechen ganzer Branchenzweige leichter verdrängen, wie zum Beispiel den kleinen Laden um die Ecke.

 

Die neue Amazon-Zentrale in Arlington bei Washington. 2025 soll sie fertig sein.

 

Amazon scheint erkannt zu haben: Bäume bringen Rendite. Bäume machen glücklich. Architekt und Vordenker Friedensreich Hundertwasser (1928-2000) erklärte einmal, warum und wodurch Bäume so wertvoll sind: „Mit Sauerstoff, durch seine Staubschluckkapazität, als Anti-Lärmmaschine durch Erzeugung von Ruhe, durch Giftvertilgung, durch Reinigung des verseuchten Regenwassers, als Produzent des Glücks und der Gesundheit, als Schmetterlingsbringer und durch Schönheit und mit vielen anderen Valuten.“ Die einfache Erkenntnis: Ohne Bäume kein Leben. Kein Sauerstoff. Keine Zukunft. Eine einhundertjährige Buche gibt innerhalb von einer Stunde so viel Sauerstoff ab, wie fünfzig Menschen zum Atmen brauchen.

 

Vordenker einer „Baumpflicht“ und weit seiner Zeit voraus. Friedrich Stowasser alias Friedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbunt. (1928-2000)

 

Wer mehr über Baumhäuser und Green Building erfahren will, kann ein virtueller Rundgang empfohlen werden. Mehr geht ja gerade nicht. Einfach grün. Greening the city heißt eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt. Wieder zu begehen, sobald die grassierende Krankheit der Moderne, die Covid-Pandemie es zulässt. Merke: Wirklich reich ist nicht derjenige, der viel hat sondern der wenig braucht.

 

Hotel Therme Rogner Bad Blumau in der Steiermark, Österreich. Ein Hundertwasser-Haus. (1993-1997)

Kraft der Kunst

„Sie hörten genau hin. Sie waren voll dabei. Sie waren begeistert. Wunderschön“ Mit Glanz in den Augen erzählt Christoph Schlingensief, wie Rach 3 – das Klavierkonzert Nummer 3 von Sergej Rachmaninov – bei seinen Hauptdarstellern angekommen ist. Seine Helden sind die Insassen im Tiele-Winkler-Haus der Diakonie am Berliner Stadtrand. Wir befinden uns im Jahre 2002, vor knapp zwanzig Jahren. Es geht um die Stars der Freakshow 3000. Ein herrlich politisch unkorrektes, provokatives Projekt von Theatermacher Schlingensief. Geistig und körperlich Behinderte spielten in einer sechsteiligen TV-Hitparade mehr oder weniger bekannte Promis wie Moderator Michel Friedman oder Herzenstrompeter Stefan Mross. Eine lupenreine Fernsehparodie. Ein riskantes Wagnis, hart an der Kante zwischen Genialität und Peinlichkeit.

 

 

Kritiker warfen Schlingensief kindlichen Klamauk vor. Er sei ein selbstverliebter Theaterclown. Ich erlebte ihn in meiner aspekte-Zeit anders. Ernsthaft, an Erkenntnis und Ergebnissen interessiert. In seiner Freak Star 3000 ließ er im Sommer 2002 einen geistig Behinderten den vom RAF-Vordenker zum Hitlergläubigen mutierten Horst Mahler spielen. Ein Körperbehinderter übernahm die Rolle des allwissenden Moderators Michel Friedman. Schlingensiefs Antwort auf das alltägliche mediale Polit-Theater. Moralisten mäkelten, er betreibe Missbrauch mit Abhängigen. Ich kann mich gut erinnern. Die Darsteller liebten Schlingensief und das Stück. Ich brachte als Dankeschön ins abgelegene Heim von Berlin-Lichtenrade eine DVD unseres Beitrags für das ZDF. Musikalisch unterlegt mit dem Beginn aus Rach 3.

 

 

In einem Land, in dem nahezu alles korrekt geregelt werden soll, mit Beauftragten für alles und jedes, was sperrig oder anders ist, war Christoph Schlingensief ein Meister der Provokation. Immer wieder hielt er der Gesellschaft den Spiegel vor. Chance 2000. U 3000. Scheitern als Chance. Das deutsche Kettensägenmassaker. 1000 Jahre Adolf Hitler. Tötet Helmut Kohl.

Unsere heutigen Zeiten mit Empörungswellen, gewürzt mit Shit Storms, Cancel Culture und Gender-Correctness, wäre für den Apothekersohn aus Oberhausen eine echte Herausforderung. Was für ein Stoff. Im kurzatmigen Twitter-Gewitter überholt die Wirklichkeit jede Phantasie und Vorstellungskraft selbst eines kreativen Provokateurs. Der Mitmensch als Feind. Die andere Position, die es auszuschalten gilt. Unsere Covid-19-Gegenwart sorgt für eine aktuelle Pointe: Eine Pandemie, die alles Kreative an die Kette legt und in der Isolation des Lockdowns noch verrücktere Verschwörungsobsessionen und Provokationen blühen lässt. Schlingensief fehlt.

 

 

Bei Christoph Schlingensief standen Außenseiter im Mittelpunkt. Sie durften sich selbst als Stars erfinden, wurden jedoch nicht vorgeführt. Die hohe Kunst der Vermischung von Parodie, Show, Lebensfreude, Behinderung, Stolz und Eigensinn. Im Garten des Heims hörten wir Rach 3. Opus 30 in D-Moll. Das ganze Konzert. Gut 40 Minuten lang. Niemand ging. Am Ende klatschten alle vor Freude. Wie die Augen leuchteten.