Kleiner Fabio, was nun?

„Wie kann man lachen, richtig lachen, in solcher Welt mit sanierten Wirtschaftsführern, die tausend Fehler gemacht haben, und kleinen entwürdigten, zertretenen Leuten, die stets ihr Bestes taten?“ Niemand konnte die Sorgen der kleinen Leute genauer beschreiben als Hans Fallada. Vor gut einhundert Jahren landete er mit „Kleiner Mann, was nun?“ einen Riesenerfolg. Heute versucht ein einfacher Abgeordneter der Linken die großen Wirtschaftsführer herauszufordern. Mit Hartnäckigkeit, Herz und Kompetenz. Sein Name: Fabio de Masi. 39 Jahre alt, gebürtiger Hesse, italienische Wurzeln, katholisch, Hamburger aus St. Pauli, Wahlheimat Südafrika. Diplom-Volkswirt, Bundestagsabgeordneter und „überzeugter Linker“.

Sein Großvater war im II. Weltkrieg Partisan im Piemont. Seine Großmutter schmuggelte geheime Botschaften in der Salami. Und der Enkel? Fabio de Masi ist der brillanteste Aufklärer im Wirecard-Untersuchungsausschuss. Für den Abgeordneten der Linken ist Wirecard der größte Finanzskandal der jüngeren Geschichte. „Ein Fenster unserer Zeit“ in die Welt skrupelloser Abzocker getarnt als Finanzdienstleister. Die neuen Masters of the Universe seien mächtiger als Banken. 20 Milliarden Euro hat die „smarte Illusionsfabrik“ Wirecard in den Sand gesetzt. Unzählige Kleinanleger wurden um ihr Vermögen geprellt. Mit im Spiel laut de Masi: Eine unfähige Finanzaufsicht, die statt zu kontrollieren kritische Journalisten verfolgen ließ. Und Lobbyisten von „Kai Diekmann (Ex-BILD) über Karl-Theodor zu Guttenberg (Ex-Verteidigungsminister) bis zum ehemaligen Geheimdienst-Koordinator im Kanzleramt Klaus-Dieter Fritsche“.

 

 

Das Milliarden-Wirecard-Imperium war „ein Luftballon“, der auf den Philippinen platzte. Einer der Chefs sitzt hinter Gittern bzw. ab und zu vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss. Dort kann sich CEO Markus Braun nicht einmal mehr an seine Doktorarbeit erinnern. Der andere Chef, gleichfalls ein Österreicher ist seit Juni 2020 flüchtig. Der gelernte Programmierer Jan Marsalek mit Geheimdienst- und FPÖ-Nähe verschwand mit einer Cessna gen Weißrussland/Belarus. Wo sich der Hochstapler heute befindet, ist unbekannt. Fabio de Masi versucht wie kein anderer die Hintergründe aufzuklären. Der Experte fordert eine Finanz-Elite-Polizei, die Betrüger und deren Netzwerke jagt und nicht wegschaut. Das sei eine wichtige Lehre aus den Pleiten und Betrügereien der letzten Jahre, so der Hamburger de Masio. Die Liste ist lang. Von den Panama-Papers bis zum CumEx-Steuerbetrug.

 

Aktuelles Fahndungsplakat. Jan Marsalek. Ex-Chef con Wirecard.

 

„Es gibt die Weisheit der kleinen Leute“, sagt Fabio de Masi. Aufgabe einer guten Politik sei es, sie zu schützen und ihre Interessen zu vertreten. Doch der furchtlose Aufklärer will nicht mehr. Statt eines möglichen Parteivorsitzes will er im September 2021 als Abgeordneter aufhören. Folge: Das große Problem bleibt, der kleine Fabio geht. Für einen Posten als Parteichef brauche es einen „gemeinsamen Spirit“ in seiner Partei. Er wolle seine Energie nicht „in eingeübten Ritualen und Machtkämpfen verausgaben“. Lieber kümmere er sich um seinen Sohn. Die Begründung seines Rückzuges ist lesenswert. Hier Auszüge:

„Ich habe den politischen Meinungsstreit – gerade mit Konservativen und Liberalen – immer als eine Bereicherung empfunden. Denn Widerspruch schult die eigenen Argumente. Wir müssen lernen, respektvoll miteinander zu streiten – so wie in jedem Dorf, in jeder Familie, in jedem Sportverein und in jedem Freundeskreis.

Es gibt in verschiedenen politischen Spektren und vor allem in den sozialen Medien die Tendenz, Politik nur noch über Moral und Haltungen zu debattieren. Ich halte dies für einen Rückschritt. Werte und Moral sind das Fundament politischer Überzeugungen. Wer jedoch meint, dass alleine die „richtige Haltung“ über „richtig oder falsch“ entscheidet, versucht in Wahrheit den Streit mit rationalen Argumenten zu verhindern.

Identität ist wichtig im Leben. Sie darf aber nicht dazu führen, dass nur noch Unterschiede statt Gemeinsamkeiten zwischen Menschen betont werden und sich nur noch „woke“ Akademiker in Innenstädten angesprochen fühlen. Eine Politik, die nur noch an das Ego und die individuelle Betroffenheit, aber nicht mehr an die Gemeinschaft appelliert, ist auch Donald Trump nicht fremd.“

 

Fabio de Masi. Stilgerecht im Fiat 500. Ob er mit den Ferraris der Finanzelite mithalten kann? Für ihn nicht eine Frage des Tempos, sondern der Hartnäckigkeit. Foto: privat

 

Fabio de Masi hofft bis zum Sommer 2021 vorzeigbare Resultate aus dem Wirecard-Ausschuss der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Alle kleinen und großen Leute dürfen gespannt sein.

 

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