Alles so schön bunt hier

Als die Computer das Laufen lernten, bauten deren Hersteller für ihre neuen Wunderwerke ganze Paläste. So auch die Stadt Leipzig für ihr VEB-Datenverarbeitungszentrum. Wir schreiben das Jahr 1986. VEB steht für Volkseigener Betrieb. Auf den schwarzen Monitoren der neuen Robotron-Kisten flackern grüne Buchstaben, Zahlen und Männchen. Eine bessere Welt ist das Versprechen. Schneller, effektiver und natürlich sicherer. Das Datenzentrum etablierte sich vis-à-vis vom Sitz der Staatssicherheit. Die Wende bescherte das Ende der volkseigenen Datenerfassung. Längst ist hier die G2 Kunsthalle beheimatet. Dieser spezielle Ort ist wie geschaffen für einen Maler wie Norbert Bisky. Der gebürtige Leipziger will wissen, was aus dem Geist wurde, der einst so vielversprechend aus der Flasche fluppte.

 Bisky nennt diese schöne neue Welt Disinfotainment. Die neue Medienwelt ist für ihn ein Alltag aus Überinformation, Unterhaltung und Desinformation. Trollfarmer (2021) zeigt beispielsweise in bunten Popfarben einen jungen Mann, der völlig versunken vor seinem Gerät nicht einmal den Stinkefinger bemerkt. Bisky reizt das Zeitgeist-Phänomen der Internetsucht, genannt „Doomscrolling“. Gemeint sind Menschen, die unentwegt nach neuen Katastrophen, Clips und Kontakten jagen. Immer auf dem Sprung, stets getrieben von der Angst etwas zu verpassen. Die Apokalypse auf dem Schirm, beschleunigt durch die Einsamkeit in der Quarantäne der Corona-Pandemie. „Ich finde das krass, was da gerade passiert.“

 

 

Das Surfen im Netz als Jagdrevier der einsamen Herzen. Freiwillig folgen sie der Macht der Algorithmen. Sie scrollen durch Kammern der Selbstinszenierung, flanieren abgestumpft in Emotionsblasen aus Hass und Hetze. Bisky zeigt uns Menschen im freien Fall. Es gibt kein Halt mehr. Hurra, die Welt geht unter. Einer von Biskys jungen schönen einsamen Männern heißt Pascal. Kein Zufall. Pascal ist die physikalische Einheit für Druck. Bisky sagt, reale Konflikte werden längst virtuell ausgetragen. So gebe es mittlerweile genügend Menschen, die glaubten, «Probleme wie den Nahostkonflikt auf Instagram zu lösen».

 

 

Mit seinen Ölbildern und Installationen aus Computerschrott der volkseigenen DDR-Achtziger reitet Bisky wie einst Don Quichote gegen die Windmühlen unserer Zeit. Die modernen Räder drehen sich in Echtzeit. Schneller als je zuvor. Das Netz verspricht  Abwechslung, Entertainment und die neuesten News. Bis zum Burnout auf Krankenschein. Bisky stellt die richtigen Fragen. Wie gehen wir mit Überreizung, innerer Unruhe und einer nicht mehr zu stoppenden Bilderflut um? Schnelle Antworten gibt es in Leipzig nicht. Aber viele Denkanstöße.

Norbert Bisky
„Disinfotainment“
G2 Kunsthalle, Leipzig
Bis 26. September 2021

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