Fuggern

„Die wahre Lebenskunst besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.“ Maklerpoesie vom Feinsten. Wer in Großstädten eine bezahlbare Bleibe sucht, wird im Alltäglichen schnell auf den Boden geholt. Im Herzen Kreuzbergs“ ist mittlerweile eine 4-Zimmer-Altbauwohnung mit 165,81 Quadratmeter für4642,68 Euro kalt zu haben. Das ergibt eine Warmmiete von 5062,68,- pro Monat.  Kein Wunder, dass weniger Betuchte wie in Berlin dem Mietendeckel nachtrauern (hat nicht funktioniert) oder dreihunderttausendfach eine Initiative zur Enteignung von großen Wohnungskonzernen unterstützen. (soll im September 2021 per Volksentscheid entschieden werden). Doch es geht auch anders. Ganz anders zum Beispiel in Augsburg.

 

Seit 500 Jahren erfolgreicher sozialer Wohnungsbau. Die Fuggerei in Augsburg. Quelle: Wikipedia

 

In der Fuggerei in Augsburg gibt es die einmalige Chance für einen rheinischen Gulden = 88 Cent im Jahr eine Sozialwohnung zu mieten. Günstiger geht es wirklich nicht. Hinzu kommen noch pro Monat rund 85 Euro Betriebskosten. Das ist der Preis für eine rund 60qm große Wohnung mit kleinem Garten, separatem Eingang und einer mechanischen Türglocke wie zu Opas Zeiten. Dieser traumhafte Niedrigpreis gilt seit genau 500 Jahren. Am 23. August 1521 führte Jakob Fugger der Reiche – „ein langer rainer herr, hips und frölich von andlit“ – den ältesten Mietendeckel der Welt ein, in der älteste Sozialsiedlung der Welt.

Familie Fugger machte ihr Geld mit Tuche, Textilien, Südfrüchten, Juwelen und Gewürzen. Die Fuggers finanzierten Kriege und kassierten beim päpstlichen Ablasshandel bis zu 3% Provision. Eine geschäftstüchtige Familie. So eine Art Amazon des Mittelalters. Allerdings hatte die Familie ein Herz. Die Armut in deren Blüte-Zeit  war groß. Jeder zweite Augsburger zählte im 16. Jahrhundert zu den Habenichtsen. Also ließ Jakob der Reiche ab 1516 eine Siedlung bauen: Für kleine Handwerker, Tagelöhner, kinderreiche Familien und auch einen gewissen Franz Mozart. Der einfache Maurer war übrigens der Urgroßvater des späteren Maestros Wolfgang Amadeus Mozart.

Die Aufnahmebedingungen für eine der 142 Wohnungen in 67 Häusern sind immer noch dieselben wie vor 500 Jahren. Wer in die Fuggerei einziehen will, muss Augsburger und katholisch sein. Und: Er oder sie muss bereit sein, dreimal täglich ein Vaterunser, ein Glaubensbekenntnis für den Stifter Jakob und die Stifterfamilie Fugger zu absolvieren. Ob die tägliche Lobpreisung noch kontrolliert wird, ist unbekannt.

 

Tagsüber (wieder) Touristenmagnet. Abends Stille mit Rad und Brunnen. Das Tor zur Fugger-Siedlung wird um 22 Uhr verschlossen. Quelle: Wikipedia

 

Derzeit wohnen etwa 150 bedürftige Augsburger für eine Jahres(kalt)miete von 88 Cent in der Fuggerei. Subventioniert von den Fugger-Stiftungen, die ihr Vermögen mit Immobilien und Waldbesitz machen. Kein Wunder: Die Bewerberliste hat sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. Zum diesjährigen Jubiläum planen die Fugger-Stiftungen ein „Next 500“. Ihre Idee von günstigen Sozialwohnungen soll weltweit Schule machen. Wäre das nicht die „wahre Lebenskunst“, die „im Alltäglichen das Wunderbare“ sieht? Wohnen ohne Monatsmieten, die Menschen jede Luft zum Atmen nimmt.

 

 

Fuggern wäre doch ein Plan. Wenn es sein muss, auch mit einem täglichen Dankesseufzer „Vater unser, dein Reich komme, im Himmel wie auf Erden…“

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