Machs gut, Ben
Einen alten Baum… verpflanzt man nicht, schrieb ich vor gut einem Monat. Hätte ich ihn doch besucht. Ben Wagin. Bildhauer, Baumpate, Lebenskünstler, Maler und unermüdlicher Kämpfer „Komm einfach vorbei“ knurrte er ins Telefon. „Die Deppen von der Firma verstehen sowieso nichts von Kunst. Das soll alles weg. Die Welt ist so.“ Pause. „Vom Fernsehen bist Du? – Ja, vielleicht hilft´s, antworte ich. „Du weißt ja, wo ich wohne…“ Ich kam nicht vorbei. Weder mit noch ohne Kamera. Niemand wollte die Geschichte über das Wegsanieren seines letzten großen Wandbildes in Berlin. Also besuchte ich ihn nicht. Ein Fehler. Ende Juli ist Ben Wagin im Alter von 91 Jahren gestorben „wie er gelebt hat: munter, mutig, heiter“, erklärte sein Baumpatenverein.
Ben war eine Berliner Pflanze. Er duzte jede(n), den mächtigen Minister wie die eifrige Feministin. Ben war Ende Juni sauer: Sein Weckruf für mehr Umweltschutz aus den Achtzigern sollte weichen. Pointe: Im Namen des Umweltschutzes. Die schwarzbraun, verrußte Ziegelwand am S-Bahnhof Savignyplatz soll einen modernen Dämmputz erhalten. Nun kann der Investor loslegen. Der grantige Kauz ist nicht mehr. Doch seine Botschaft vom pfleglichen Umgang mit der Natur bleibt. Dafür stand er.
„Wir trinken was wir pinkeln!“ habe ich unzählige Male am S-Bahnhof Savignyplatz auf seinen Weltenbaum II gesehen. Meistens so lange, bis die nächste Bahn kam. Sein Werk ist 105 Meter lange kostenlose Kunst. Ein Riesenbaum mit Ästen, züngelnder Schlange, verzweifelten Gesichtern, Trauernden, Toten, dazwischen ein Mädchen, das lächelt. „Idealisten sind immer in der Gefahr/An ihrem Idealismus zugrunde zu gehen.“ Schiller grüßt. Ben schrieb es in den achtziger Jahren an die Wand, als die Züge viel seltener fuhren, als die Mauer den Weg in der Stadt versperrte.
„Die Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen die Natur.“ Sein Satz auf seinem riesigem in die Jahre gekommenen Wandbild hat sich mir eingebrannt. Ob die Smartphone-Generation Bens Botschaften noch wahrnimmt? Heute heißt auf den Zug warten, aufs Gerät starren und zum nächsten Bild wischen. Der Weltenbaum II verbindet bekannte Künstler wie Beuys, Grass oder Frida Kahlo. Das Wagin-Gesamtwerk, 2013 komplett saniert, schlägt eine Brücke von den Nazi-Jahren bis zur Umweltzerstörung unserer Tage. Bens Werk soll gerettet werden. Nach Vorstellung der Investoren am besten im Internet. Als Instagram-News.
Als 14-jähriger Junge musste er am Ende des II. Weltkrieges aus seiner westpreußischen Heimatstadt Jastrow flüchten. Er versteckte sich in Pommern hinter einem schützenden Baum, als die Kugeln umherflogen. Sein ganzes späteres Leben stellte er sich folgerichtig vor die Bäume. Er vergaß nie die Worte seines Großvaters, der ihm mit auf den Weg gab: „Egal, was kommen wird, die Bäume werden zu dir sprechen.“ Sein bekanntes Parlament der Bäume am Reichstag genießt mittlerweile Denkmalschutz. Weltweit pflanzte Ben an die 50.000 Bäume.
Weltenbaum II ist (noch) zu sehen am S-Bahnhof Savignyplatz. 24/7. Eintritt frei. Den Sound liefert die Berliner S-Bahn. Ebenfalls umsonst und draußen.
Ben, mach´s gut!