Archive for : Juli, 2021

Machs gut, Ben

Einen alten Baum… verpflanzt man nicht, schrieb ich vor gut einem Monat. Hätte ich ihn doch besucht. Ben Wagin. Bildhauer, Baumpate, Lebenskünstler, Maler und unermüdlicher Kämpfer „Komm einfach vorbei“ knurrte er ins Telefon. „Die Deppen von der Firma verstehen sowieso nichts von Kunst. Das soll alles weg. Die Welt ist so.“ Pause. „Vom Fernsehen bist Du? – Ja, vielleicht hilft´s, antworte ich. „Du weißt ja, wo ich wohne…“ Ich kam nicht vorbei. Weder mit noch ohne Kamera. Niemand wollte die Geschichte über das Wegsanieren seines letzten großen Wandbildes in Berlin. Also besuchte ich ihn nicht. Ein Fehler. Ende Juli ist Ben Wagin im Alter von 91 Jahren gestorben „wie er gelebt hat: munter, mutig, heiter“, erklärte sein Baumpatenverein.

Ben war eine Berliner Pflanze. Er duzte jede(n), den mächtigen Minister wie die eifrige Feministin. Ben war Ende Juni sauer: Sein Weckruf für mehr Umweltschutz aus den Achtzigern sollte weichen. Pointe: Im Namen des Umweltschutzes. Die schwarzbraun, verrußte Ziegelwand am S-Bahnhof Savignyplatz soll einen modernen Dämmputz erhalten. Nun kann der Investor loslegen. Der grantige Kauz ist nicht mehr. Doch seine Botschaft vom pfleglichen Umgang mit der Natur bleibt. Dafür stand er.

 

Weltenbaum II am S-Bahnhof Savignyplatz. 105 Meter lange Street Art. Vielleicht kann die Denkmalpflege das Werk aus den Achtzigern retten. Es soll verschwinden.

 

„Wir trinken was wir pinkeln!“ habe ich unzählige Male am S-Bahnhof Savignyplatz auf seinen Weltenbaum II gesehen. Meistens so lange, bis die nächste Bahn kam. Sein Werk ist 105 Meter lange kostenlose Kunst. Ein Riesenbaum mit Ästen, züngelnder Schlange, verzweifelten Gesichtern, Trauernden, Toten, dazwischen ein Mädchen, das lächelt. „Idealisten sind immer in der Gefahr/An ihrem Idealismus zugrunde zu gehen.“ Schiller grüßt. Ben schrieb es in den achtziger Jahren an die Wand, als die Züge viel seltener fuhren, als die Mauer den Weg in der Stadt versperrte.

 

 

„Die Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen die Natur.“ Sein Satz auf seinem riesigem in die Jahre gekommenen Wandbild hat sich mir eingebrannt. Ob die Smartphone-Generation Bens Botschaften noch wahrnimmt? Heute heißt auf den Zug warten, aufs Gerät starren und zum nächsten Bild wischen. Der Weltenbaum II verbindet bekannte Künstler wie Beuys, Grass oder Frida Kahlo. Das Wagin-Gesamtwerk, 2013 komplett saniert, schlägt eine Brücke von den Nazi-Jahren bis zur Umweltzerstörung unserer Tage. Bens Werk soll gerettet werden. Nach Vorstellung der Investoren am besten im Internet. Als Instagram-News.

Als 14-jähriger Junge musste er am Ende des II. Weltkrieges aus seiner westpreußischen Heimatstadt Jastrow flüchten. Er versteckte sich in Pommern hinter einem schützenden Baum, als die Kugeln umherflogen. Sein ganzes späteres Leben stellte er sich folgerichtig vor die Bäume. Er vergaß nie die Worte seines Großvaters, der ihm mit auf den Weg gab: „Egal, was kommen wird, die Bäume werden zu dir sprechen.“ Sein bekanntes Parlament der Bäume am Reichstag genießt mittlerweile Denkmalschutz. Weltweit pflanzte Ben an die 50.000 Bäume.

 

 

Weltenbaum II ist (noch) zu sehen am S-Bahnhof Savignyplatz. 24/7. Eintritt frei. Den Sound liefert die Berliner S-Bahn. Ebenfalls umsonst und draußen.

Ben, mach´s gut!

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Sei du selbst

Auf Island suchen viele Menschen das, was sie zuhause nicht finden. Weite, Wärme, Ruhe, Geborgenheit. Eine unberührte Natur, so schön wie schroff, so wild wie verwegen. Ende Februar 2020, wenige Tage vor dem großen Lockdown in Europa, reiste die polnische Pianistin Hania Rani in den äußersten Südosten der Vulkaninsel. Sie inszenierte am Ende der Welt ihren Song „F Major“.  Der Filmemacher Neels Castillon drehte das Video in einem einzigen Mastershot, ohne einen einzigen Schnitt. Eine Herausforderung bei minus sieben Grad für alle Beteiligten. Für Hania Rania, die drei Tänzerinnen Mellina Boubetra, Janina Sarantsina und Fanny Sage und das Team. Ihr Motiv? Die Suche nach dem einzigartigen Moment der Wahrhaftigkeit. Die entscheidende Voraussetzung für Kunst, die wirklich etwas zu sagen hat.

 

 

Hania Rani sagt: „Ich glaube, ich bin als Musiker wie als Privatperson der gleiche Mensch. Musik ist meine Art zu kommunizieren und ich sehe die Kunst, die Musik als ein großes Ganzes, ohne Grenzen, Unterteilungen, oder sogar Genres.“ Die Pianistin und Komponistin lebt teils in Warschau teils in Berlin. Die deutsche Hauptstadt ist für die 30-Jährige Polin ein Place to be: „Hier hast du die Freiheit, du selbst zu sein“, betont sie.

 

 

Rani wuchs in einer musikalischen Familie in Danzig/Gdansk auf. Ursprünglich wollte sie Klassische Musik studieren, doch sie entschied sich für Jazz und Elektronische Musik, „mixte Chopin & Schostakovitch mit Dave Brubeck und Moderat.“ Ihre Vorbilder sind Komponisten und Musiker wie Max Richter, Esbjorn Svensson, Miles Davis, Nils Frahm, Murcof, Portico Quartet, Radiohead oder die Beatles. „Das, was alle Künstler, die mich inspirieren, verbindet, ist ihre spezielle Herangehensweise an die Musik und ihren Sound. Für mich haben sie alle ein großes Herz und einen riesigen Verstand.“

 

 

Mittlerweile ist die Pianistin auf großen Bühnen wie in der Nationalphilharmonie Warschau, im Funkhaus Berlin oder im Londoner Roundhouse aufgetreten. Ihr zweites Album „Home“ legte sie im Mai 2021 vor. Dabei versucht sie ihren musikalischen Radius zu erweitern, setzt die eigene Stimme ein und wird auf einigen Stücken von Bassist Ziemowit Klimek und Schlagzeuger Wojtek Warmijak begleitet. „Home“ ist für Rani die Fortsetzung ihrer musikalischen Lebensreise, die auf „Esja“ ihren Anfang nahm. Wie rasch die Lebensentwürfe anders verlaufen können, hat die bleierne Corona-Zeit gezeigt. Mutter Natur zeigt ihre Krallen. Die Menschen reagieren aggressiv, hilflos oder überfordert. Plötzlich steht alles still. Dann bleibt nur die Reise zu uns selbst. Für solche Momente ist Hania Reni eine wunderbare Gefährtin.

 

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Über den Berg

Neue Ideen nehmen ihren Anfang häufig vom Ende der Welt. Halberstadt ist eine kleine Provinzstadt mitten in Deutschland, in Sachsen-Anhalt. Mittendrin, aber abseits. Eine Region die viele nicht kennen, maximal als nervige Wegstrecke zwischen Hannover und Berlin. Nun wollen die Halberstädter nach ihrer John Cage-Performance eine neue spektakuläre Aktion starten. Sie nennen es „Keine Handbreit Wasser“. Rund 200 Freiwillige wollen im Schweiße ihres Angesichts 100 Paddelboote ohne eine Handbreit Wasser unter dem Kiel über einen Berg schleppen. Geht`s noch? Während gerade der Südwesten Deutschlands in brauntrüben Fluten untergeht, ziehen die Halberstädter gegen den weltweit dramatischen Wassermangel zu Berge.

Überschwemmungen und Dürre, Sintfluten und Trockenheit, Bäche, die zu reißenden Flüssen werden und Wasserknappheit sind Extreme aber zwei Seiten einer Medaille. Mutter Natur rächt sich. Der Mensch zahlt die Rechnung. Hunger nimmt weltweit wieder zu. Folge von Pandemie, Klimawandel, gewaltsamen Konflikten und Ergebnis grotesker Ungleichheit. Wie kommen wir über diesen Berg? Ilka Leukefeld lacht. Die Künstlerin hat sich das Huy-Projekt „Keine Handbreit Wasser“ ausgedacht. „Wir sitzen alle in einem Boot. Wir müssen zusammen in eine Richtung rudern. Nicht im Kreis herum. Dann funktioniert`s.“ Die Kunstaktion am 24. Juli 2021 will zeigen, dass Menschen viel bewegen können, wenn sie es gemeinsam versuchen.

 

„Boote im Wald – Karawane im Huy“ – Kunstaktion in Halberstadt/Sachsen-Anhalt. Foto: „Keine Handbreit Wasser“

 

Leukefeld: „Es ist fünf nach zwölf. Wir wollen eine Aktion starten, die Mut macht.“ Die Grundwasservorräte seien endlich, in vielen Regionen der Welt würden die Wasservorräte sinken. „Wir leben in Halberstadt im Vorharz. Wir sind bereits im dritten Jahr mit großer Trockenheit. Oder wir haben Extremregen. Deshalb tragen wir 100 Boote über den Berg. Das ist eine Versinnbildlichung für den Zustand, wenn kein Wasser mehr da ist.“ Am Zielpunkt in einer Scheune in Huy-Neinstadt werden die Boote hängend installiert. Auftakt für insgesamt vier Podien im Sommer und eine Abschlussveranstaltung am 2. Oktober. „Die Resonanz ist gut. Schüler, Studenten, Rollstuhl-Fahrer, Mitarbeiter von Stadtwerken oder Diakonischem Werk, aber auch Flüchtlinge machen mit“. Jede(r) zählt. Noch werden Freiwillige gesucht.

 

14 Kilometer 100 Boote tragen – Sinnbild, wenn das Wasser fehlt. Foto: „Keine Handbreit Wasser“

 

Die Halberstädter haben einen langen Atem. Ihr international beachtetes Orgelprojekt „As slow as possible“ in einem ehemaligen Kloster ist auf 639 Jahre angelegt. Die Hommage an den Komponisten John Cage zieht seit über zwanzig Jahren Publikum aus der ganzen Welt an. Jeder Tonwechsel ist ein Grund zum Feiern. Nun zieht eine Boot-Karawane über den Berg. Ist das nicht Größenwahn, eine Art Klein-Fitzcarraldo im Harzvorland? Nein, meint Ilka Leukefeld, die nach zwanzig Jahren künstlerischer Arbeit in London in ihre Heimat zurückgekehrt ist. „Wir machen das absolut freiwillig. Für mich wäre es schon ein Erfolg, wenn auch nur ein einziges Boot die 15-Kilometer lange Strecke über den Berg getragen wird.“

 

Freiwillige für die Kunstaktion am 24. Juli 2021 können sich noch melden. Foto: „Keine Handbreit Wasser“

 

Am Morgen des 24. Juli 2021 soll eine Kilometer-lange Karawane in Halberstadt aufbrechen, um zu zeigen, dass Menschen nicht alle Katastrophen klaglos hinnehmen wollen. Die Kunst-Aktion mag verrückt sein. Aber kommen die besten Ideen aus den Zentren der Macht? Sie wachsen woanders. Zum Beispiel in Halberstadt. Auf geht´s. Das Unmögliche wagen. Das Mögliche machen. Über den Berg.

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Das Amt für Glück  

Aufschneider, Besserwisser, Coach-Helden, Damen-Imitatoren, Dampfplauderer, Fitness-Gurus, Freisprecherinnen, Narzissten, Positionierungsexperten, Salon-Löwen, Selbstdarsteller, Sinnsucher, Spielwütige, Schönheiten, Talker, Yoga-Krieger-Übende, Zyniker und noch mehr Zeitgeisthelden sind ständig online. Viele suchen das kleine oder große Glück. Andere teilen ihren Kummer, ihre Ratlosigkeit und Wut. Aber alle wollen Aufmerksamkeit, Klicks, Likes und möglichst viele Follower. Vom Glück ein gesundes Baby in Corona-Zeiten zu bekommen, erzählt diese Twitter-Episode. Die Geschichte mit dem neuen Menschenkind nimmt rasch eine unschöne Wendung. Die Folge: Eine alleinstehende Mutter* verzweifelt an der Berliner Bürokratie. Doch der Reihe nach.

Anfang Juni 2021 war eine werdende Mutter kurz vor der Entbindung Covid-19-positiv getestet worden. Der Nachwuchs kam in der Charité mit Hilfe eines Kaiserschnitts zur Welt. Alles lief gut. Wegen des positiven Tests wurden Mutter und Kind isoliert. So hatte die frisch gebackene Mutter keine Möglichkeit ihr Kind bei der Geburtenmeldestelle anzumelden. Als sie das Krankenhaus verlassen konnte, ergab sich eine bizarre bürokratische Odyssee: ohne Geburtsurkunde kein Mutterschaftsgeld, kein Elterngeld, kein Kindergeld, kein Kinderzuschlag, kein Überbrückungsgeld. Nichts. Die Mutter berichtet: „Der erste Anruf beim Standesamt Berlin-Mitte war deprimierend. Die Dame am Telefon war unfreundlich und pampig zu mir. Wär ja mein Problem, dass ich mein Kind nicht In der Klinik gemeldet habe. Sie hätte die Geburt noch nicht im PC, ich solle kommende Woche noch mal anrufen aber mich nach Beantragen auf 12 Wochen Bearbeitungszeit einstellen.“ Das sind exakt drei Monate.

 

 

Verzweifelt rief die Mutter bei ihrer Krankenkasse an. Die Reaktion? „Ich schilderte meine Situation: Dass ich gerne bereit bin eine Kopie vom U-Heft oder Eintrag im Mutterpass als Beweis senden würde, dass mein Kind existiert. Dass ich auf mein Mutterschaftsgeld angewiesen bin und bat um irgendein Entgegenkommen. Keine Chance. Als ich anfing aus Verzweiflung zu weinen, wurde der Mann leicht pampig. Ich müsse Verständnis haben, dass sie nun mal ihre Vorgaben haben. Ich hätte mir Empathie gewünscht, dass ich ohne Mutterschaftsgeld, ohne Familienversicherung für mein Neugeborenes nun mal verzweifelt bin und nicht weiß, wie ich ihn ernähren soll.“

Doch auch Jobcenter und Sozialamt lassen die Anfragen der berufstätigen Erzieherin nach Überbrückungsgeld ins Leere laufen. Die unverschuldet in Notlage geratene Mutter schreibt: „Sie haben mich wegtreten lassen zwecks Überbrückungsgeld, weil ich ja prinzipiell einen Job habe und nur in Elternzeit bin. Ich wurde sogar dafür geshamed und als „selbst schuld“ angeprangert, weil ich alleinerziehend bin und derzeit auch keinen Unterhalt bekomme. Ich stehe derzeit also da, mit einem Kind, das versorgt werden muss. Mit 450 Euro weniger im Monat und bald komplett ohne einen Cent, weil das Elterngeld und Kindergeld ja erst bearbeitet werden muss“.

 

Verwaltung ist Herrschaft. (Max Weber) Der Rückstau. Rund 250.000 unerledigte Fälle in Berliner Bürgerämtern. Foto: 99pixel

 

In Berlin warten derzeit rund 250.000 Bürgeranfragen auf einen Termin. Ob Geburts- oder Sterbeurkunde, neuer Ausweis oder Wohnsitz-Ummeldung (alles gesetzlich vorgeschrieben): die durchschnittliche Wartezeit liegt bei drei Monaten. Verwaltung ist Herrschaft sagt ein alter Grundsatz. Und Kurt Tucholsky spöttelte: „Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehen. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen.“ Diese Lebenswirklichkeit beschrieb er vor genau 91 Jahren. Im Fall der jungen Mutter habe ich Anfang Juli 2021 beim zuständigen Bezirksamt Berlin-Mitte nachgefragt. Man habe von dem Fall gehört, hieß es, man müsse die Zuständigkeit prüfen. Geschehen ist seitdem – nichts.

 

*Die Mutter will namentlich nicht genannt werden.

Am Ende hilft zur Wirklichkeitsbeschreibung nur Loriot.

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Die letzten Reporter

Wenn Ihr den Zug der Zeit verpasst, dann werdet Ihr „Cadavers on the floor“. Auslaufmodelle. Dinos. Fossile. Die taffe Expertin rät: „Ihr müsst eine Marke werden. Macht Digital Storytelling. Ihr braucht neue, moderne Ausspielkanäle auf Notebook, Tablet oder Smartphone. Die alte Zeitung hat keine Zukunft.“ Die junge Marketingexpertin schaut in die ratlosen Gesichter der alten Hasen. Eine Spezies Berichterstatter, die sich verzweifelt an Stift, Notizbuch und ihre Überzeugung klammert. Journalisten sollten Inhalte transportieren und keine Klickzahlen produzieren. Der neue Dok-Film Die letzten Reporter erzählt drei bewegende Geschichten aus einer Welt, die dem Untergang geweiht zu sein scheint.

 

Thomas Willmann. Sportreporter. Jedes Wochenende im Einsatz. Jetzt auch auf Facebook.

 

Da ist Sportreporter Thomas Willmann aus Schwerin. Motto: Auf dem Platz ist die Wahrheit. Mit stoischer Ruhe berichtet er Wochenende für Wochenende vom Dorf-Kick, Radball oder Ringen. Er hört zu. Jeder kennt ihn. Ein Reporter mit Notizbuch und Nokia-Handknochen, der sich von nichts ablenken lässt. Der seinen Job liebt, dem die Ehefrau weggelaufen ist. Egal. Hauptsache, die Zeitung bleibt. Nun soll er seine „Storys“ auf Instagram und Facebook posten. Wie das?

 

Werner Hülsmann. Immer auf Draht. 30 Jahre lang Osnabrücks Boulevard-König.

 

Amüsant der Promi-Reporter von Osnabrück Werner Hülsmann. Dreißig Jahre lang hauchte er in seiner Kolumne Werners Cocktail dem Provinzdasein Glanz und Glamour ein.  Ob Peter-Maffay-Verschnitt oder blondierte Operndiva, die fürs Autohaus Werbearien trällert, dieser Gerhard Schröder in der Osnabrück-Ausgabe – Motto: Wie war ich? – hatte sie alle. Sogar Thomas Gottschalk. Auch er muss sich umstellen, in Rekordzeit den Quantensprung zum Multitasking-Media-Mann wagen. Als Entertainer alter Schule weiß er allerdings: „Heißer Scheiß“ verkauft sich immer besser als „alter Scheiß“.

 

Anna Petersen. Ganz nah dran. Nachwuchshoffnung aus Lüneburg.

 

Und da ist Anna Petersen, 25-jährige blonde Berichterstatterin aus Bienenbüttel. Sie berichtet für die „Lüneburger Landeszeitung“ über Rentnerinnen im Rufbus, besorgte Bauern, übende Feuerwehrwehrleute und wegdämmernde Ratsmitglieder. Besonders sensibel porträtiert die junge Lokalreporterin eine schicksalsgebeutelte Tochter einer Alkoholikerin. Petersen will dicht dran sein an den Leuten, über die sie schreibt. Nicht weit weg, wie bei ihrer Ausbildung in der Süddeutschen Zeitung, wo sie in der 9. Etage eines gläsernen Hochhauses fremdelte. Anna Petersen hat Zukunft. Sie macht Mut. Für ihr mehrteiliges Porträt „Chaos im Kopf“ über die junge, leidgeprüfte Frau erhielt sie vor wenigen Tagen den renommierten Theodor-Wolff-Preis für Lokaljournalismus.

 

 

Filmemacher Jean Boué ist eine eindrucksvolle Hommage an Die Letzten Reporter gelungen.  Menschen, die schlecht bezahlt in einem prekären 60 Stunden-Wochen-Job drei bis vier Geschichten am Tag abliefern müssen. Getriebene, die gegen dramatisch sinkende Auflagen anschreiben. Immer im Wettlauf mit der Zeit und nun auch „On-Air“. Diese Reporter trinken den Kaffee nicht, sie stürzen ihn weg. Am Ende zeigt der Film fast wehmütig, wie Zeitungsjournalisten gegen den Lauf der Zeit anrennen – wie einst die Bergleute in ihren Zechen und Gruben.