Wen wählen?
Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit einem durchschnittlichen Wähler, brummte einmal der konservative Winston Churchill über die Tücken von Wahlen. Und heute? Fast vierzig Parteien stehen demnächst auf dem Zettel. Eine Vielfalt, die alles verspricht. Sie heißen Liebe, Demokratie in Bewegung, V-Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer, Gartenpartei, Tierschutzpartei, Die Urbane HiphopPartei, Bürgerbewegung für Fortschritt und Wandel, Die Pinken, Der Dritte Weg oder Menschliche Partei für das Wohl und Glücklichsein aller. Das Blaue vom Himmel und ewiger Jahrmarkt auf Erden verheißen die Programme. Natürlich stehen die Etablierten ganz oben auf der Liste. Von CDU, SPD, FDP, Grüne, AfD bis Linke. Aber wen wählen?
Man kann es sich leicht machen. Über Dilettanten-Personal, Bullerbü-Wahlkampf, 16-Jahre-Merkel-sind-genug und Nicht-schon-wieder-SPD schimpfen und digital herumholzen. Über eine Politik des Zu-Spät und des Zu-Wenig klagen. Über eine Gesellschaft, die immer stärker ihren Zusammenhalt verliert und dabei ständig neue Verlierer produziert. Zetern wie einst Nietzsche über den Pöbel der höheren Stände. Das altvertraute Populismus-Modell aus der Schublade holen: Das Volk ist gut, die Eliten sind verdorben. Dabei wissen wir: Alles wird knapp. Rohstoffe, intakte Umwelt, Gerechtigkeit und besonders die Fähigkeit, neu zu denken und für andere zu handeln. Das Bequemste in Zeiten der „verwirrenden Unübersichtlichkeit“ ist daher einfach nichts zu tun. Keine Experimente. Weiter so! Wird schon werden…
Wir können weiter die Augen verschließen und den Kopf in den Sand stecken. Das hat den Vorteil, dass es kuschelig bleibt. Man sieht, hört und fühlt nichts. Dummerweise wächst die Chance, in dieser Pose kräftig ins Hinterteil getreten zu werden. „Traumtänzer sind die, die glauben, dass alles so bleiben kann, wie es ist,“ sagen die Initiatoren der Freiburger Diskurse. Sie rufen ins Land: „Wahlprogramm sucht Partei!“ Sie sagen, es reiche nicht, den Müll zu trennen, ab und zu mal ein veganes Schnitzel zu bestellen oder eine Solaranlage subventioniert aufs Dach zu stellen. In der Mitte sei es noch zu vielen zu gemütlich, um auch nur irgendetwas zu ändern. Klima, Katastrophen, Pandemie und Desaster wie in Afghanistan hin oder her. Solange die Krise draußen vor der Tür bleibt, ist doch alles gut.
Die Freiburger Diskurse bieten frischen Wind für eine runderneuerte Gesellschaft in Politik, Gesellschaft und Umwelt. Neu denken, nachdenken, vordenken. Die Freiburger Denkschule fordert uns und die Parteien auf, sich zu ändern. Ist dieser Aufwand nicht ein wenig Lebenszeit wert, bevor das Kreuzchen mit schlechtem Gewissen wieder beim kleinsten aller Übel gemacht wird? Eine funktionierende Demokratie sollte uns doch mehr als fünf Minuten wert sein. Der alte Griesgram Churchill muss nicht immer recht behalten.