„Drei-Treppen-hoch-Leute“
Eine schöne Wohnung. Hell, geräumig, bezahlbar. Mitten in Berlin. Am besten mit Dachterrasse. Blick auf Fernsehturm, Park und Spree. In der verkehrsberuhigten, begrünten Straße Kneipe, Club und in der Nähe einen gepflegten Italiener. Dazu nette Nachbarn. Hausfeste. Stets ein Parkplatz vor der Tür. Wenn´s sein soll, Nightlife – bis der Arzt kommt. Wer will das nicht? Alles eine Frage des Portemonnaies. Wer zahlungskräftig ist, kann in der Hauptstadt eine Menge haben. Der Boom will nicht enden. Wer nicht mithalten kann, hat Pech gehabt. Alles neu? Von wegen. Geschichte wiederholt sich.
Der Mann – ein renommierter Dichter, aber knapp bei Kasse – ist Anfang fünfzig, im besten Alter. Frau, vier Kinder. Die Familie ist „Trockenbewohner“ einer feuchten Parterrewohnung am Landwehrkanal. Der Eigentümer, ein Holzhändler, erhöht kräftig die Miete. „Geht nicht anders. Ich will auch vom Leben was haben.“ Der arme Poet bittet um Gnade. Es hilft kein Betteln, kein Klagen. Die sechsköpfige Familie in der Tempelhofer 51, parterre, muss raus. Wir schreiben das Jahr 1871. Berlin ist im Gründerrausch. Der gekündigte Parterrebewohner heißt Theodor Fontane. Nun beginnen seine mühsamen Wanderungen auf dem Wohnungsmarkt.
Nur wenig später, im März 1872 müssen die Fontanes auch ihre nächste Bleibe am einstigen Anhalter Bahnhof in der heutigen Stresemannstraße verlassen. Wieder zu teuer. Familie Fontane macht ein weiteres Mal Bekanntschaft mit drastischen Mietsteigerungen, Verdrängung und herzlosen Vermietern. Fontane schreibt an seine Freundin Mathilde von Rohr: „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen schon schrieb, dass unser Haus verkauft ist, dass die Mieten mindestens verdoppelt werden, und dass wir alle ziehen.“
Am 3. Oktober 1872 ziehen die Fontanes in die Potsdamerstr. 134 c. Drei Treppen links. Hier tanzen Kakerlaken auf den Dielen. Es stinkt erbärmlich. Sohn Friedrich beschreibt die neue Bleibe als schäbig und furchtbar heruntergekommen. Egal. Die Familie wohnt nun immerhin im Vorderhaus. Doch die Vormieterin, eine ältere alleinstehende Frau muss weichen. Sie zischt beim Auszug dem neuen Nachmieter Fontane zu: „Na, Freude soll er hier nicht erleben.“ Fontanes sind von nun an „Drei-Treppen-hoch-Leute“. Fontane ist zufrieden. „Drei Treppen hoch wohnt sich´s gut“. Der soziale Aufstieg. Hier schreibt er seine letzten großen Romane über den Untergang einer ganzen Epoche. Effi Briest lässt grüßen. Hier bleibt der Mieter Fontane bis zu seinem Tode 1898.