November 1990. Angela Merkel bei den Fischern von Lobbe. Foto: Michael Ebner

Fünf Fischer und eine Frau

Eine bescheidene Hütte. Fünf Männer in Arbeitskluft. Auf dem Kopf eine Mütze. An den Wänden Öljacken. An der Tür ein Zeitungsartikel, der Anleitung zur Ersten Hilfe bei Unfällen verspricht. Fünf Fischer haben sich platziert. Männer, die früh rausfahren, hart anpacken und gerade Pause machen. Einer raucht. Ein anderer schaut aus dem Fenster. Ein Dritter hat die Hände zur Raute gelegt, seinen Blick nach innen gerichtet. Der Mann im Vordergrund mit Kapitäns-Mütze scheint etwas erklären zu wollen. Ein paar fahle Sonnenstrahlen fallen in die verrauchte Stube. Jeder scheint seinen Stammplatz zu haben. Fremde fallen hier auf. Was die Männer eint, ist die Tatsache, dass sie die anwesende Frau keines Blickes würdigen. Als wäre sie nicht da. Was will sie? Wer ist sie? Worum geht es? Das Bild gibt keine schnellen Antworten. Das ist das Geheimnis guter Bilder. Sie lassen uns rätseln.

Die Mittdreißigerin mit weißer Leinenbluse, langem Jeansrock und kurzem Haar beobachtet mit gefalteten Händen ein wenig scheu, aber aufmerksam den bärtigen Mann mit Kapitänsmütze, der ihr gegenübersitzt. Der Brigadechef konzentriert sich auf einen imaginären Punkt, leger die Zigarette in der linken Hand, als habe er in diesem Augenblick die Lösung für alle Fischfangfragen gefunden. Das rauchgeschwängerte Bild vom Damenbesuch in karger Hütte wirkt wie ein Historien-Gemälde von Caspar David Friedrich. Anfang November 1990 gelang dem Fotografen Michael Ebner diese einzigartige Momentaufnahme. Das Bild ging um die Welt.

 

 

Die junge Frau in der Fischerhütte ist Angela Merkel. Die damals 36-jährige war auf ihrer ersten großen Wahlkampftour. Merkel traf die Brigade in Lobbe auf Rügen. Eine wortkarge, trinkfeste Männerrunde, die auf bessere Zeiten hoffte. Die besten Tage des Fischereikollektivs waren vorbei. So erzählten sie von ihren Sorgen und Problemen, die unbekannte Frau von ihren Ideen und Plänen. Zur Aufmunterung trank die Runde angeblich bis zu fünf Schnäpse. Die junge Frau hielt mit und hörte zu. Das imponierte den schweigsamen Seebären. Sie vertrauten Angela Merkel, so berichteten sie später Reportern, obwohl sie die Frau vorher nicht kannten. Aber sie habe zugehört und mitgetrunken, das sei schon einmal ein Anfang. Außerdem warb sie für den berühmten Herrn Kohl, den Kanzler der Einheit, und der versprach blühende Landschaften.

Was folgte, ist schnell erzählt. Mit der Fischerbrigade ging es im vereinten Deutschland bergab, mit der stillen Zuhörerin umso steiler bergauf. Sie wurde zur mächtigsten Frau des Landes. Berufsfischer in Lobbe gibt es schon lange nicht mehr. Rügen werde zum zweiten Sylt, winkt einer der ehemaligen Fischer heute ab. Längst gebe es mehr Ferienwohnungen als ortsansässige Rüganer. Immerhin besuchte Angela Merkel 2009 die Hütte ein zweites Mal. Sie sprach mit den Fischern, die längst keine mehr waren.

 

 

Und heute? Auch Angela Merkel ist mittlerweile im Ruhestand angelangt wie die Männer aus der Fischerhütte. Ob sie noch einmal vorbeikommt, auf einen Tee vielleicht oder einen Schnaps? Die baufällige Fischerbude würde die Kanzlerin nicht mehr finden. Sie wurde vor wenigen Jahren abgerissen, um Platz für eine schicke Ferienanlage zu schaffen.  „Strandoase“ heißt es hier nun. Das Ende für einen kleinen Ort, den der Volksmund einfach nur den „Merkel-Schuppen“ nannte.

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