Krieg der Bilder

Vor etwas mehr als fünf Wochen, genau am 12. März 2022, veröffentlichte ich hier Passagen eines Interviews mit der Autorin Natascha Wodin. Die Russin wurde 1945 als Flüchtlingskind in Deutschland geboren, denn: „Sie kam aus Mariupol.“ In ihrem gleichnamigen, erschütternden Roman schildert sie das Schicksal ihrer Mutter. Ihr Leid war untrennbar mit dem russisch-ukrainischen Drama verknüpft, das schon ein ganzes Jahrhundert währt. Am 16. März 2022 bombardierte ein russisches Kampfflugzeug das Theater von Mariupol. In dessen Keller suchten etwa 1.500 Menschen Schutz. Nach ukrainischen Angaben seien 300 Menschen getötet worden, darunter viele Kinder. Russland behauptet, im Schauspielhaus hätten sich Kämpfer des berüchtigten nationalistischen Asow-Regiments verschanzt. Die 24-jährige Viktoria Dubowyzkij, die mit ihren beiden Kindern den Angriff im Keller überlebte, widerspricht entschieden. Zum Zeitpunkt des Angriffs sei kein einziger Soldat im Gebäude gewesen. „Jeder wusste, dass Kinder im Theater waren“.

 

 

Auf veröffentlichten Satellitenbildern war zu sehen, dass das Wort „Deti“ (Kinder) in großen weißen Buchstaben auf beiden Seiten des Theaters stand. Dennoch warf die russischen Armee gezielt Bomben. Diese Bilder waren nur möglich, weil US-Firmen der Ukraine ihre Kommunikationstechnik zur Verfügung stellten und stellen. Unmittelbar nach Putins Überfall hatte der ukrainische Minister für digitale Transformation Mykhailo Fedorov Tesla-Chef Elon Musk per Twitter um Unterstützung gebeten. Innerhalb weniger Stunden sicherte Musk die Hilfe seines Dienstleistungsunternehmens Starlink zu. Milliardär Musk verfügt über rund 2.000 Starlink-Satelliten im Rahmen seiner SpaceX-Mission im Orbit. Die Russen sind offenbar nicht in der Lage, diese Nachrichtensatelliten auszuschalten.

 

 

Die Ukrainische Armee nutzt das SpaceX-Netzwerk von Elon Musk für Drohnen-Einsätze. Daraus reultieren unter anderem die hohen Verluste der Russen. Zudem kann Präsident Wolodymyr Selenskj weltweit Live-Schaltungen mit Hilfs-Appellen weltweit in Ländern und Parlamenten durchführen, die es wünschen. Möglich sind die Übertragungen auf der Basis sog. Cubesats. Das sind hochkomplexe, aber nur knapp 50 Kilogramm schwere Hightech-Würfel, die in 400 bis 600 Kilometern Höhe um die Erde kreisen. Sie liefern auch Fotos von Truppenbewegungen mit einer Auflösung von maximal 20 Zentimetern. Die russischen Streitkräfte sind nicht in der Lage, die Kommunikationsstruktur der Ukraine zu zerstören.

Putin hatte am 24. Februar 2022 seine Kriegsmission folgendermaßen begründet: „Wir haben nicht vor, die ganze Ukraine zu besetzen, aber sie zu demilitarisieren. Das Ziel der russischen Spezialoperationen ist es, die Menschen zu schützen, die acht Jahre lang vom Kiewer Regime misshandelt und ermordet wurden. Die wahre Stärke liegt in der Gerechtigkeit und Wahrheit, die auf der Seite Russlands stehen.“

 

 

Die Cubesats-Satellitenaufnahmen, die weltweit jederzeit verbreitet werden können, sprechen eine andere Sprache. Sie dokumentieren Kriegsverbrechen und Gräueltaten (auch wenn wie in jedem Krieg jedes Bild sorgfältig zu prüfen ist). Diesen Krieg der Bilder hat Moskau längst verloren. Putin führt seinen Feldzug mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts gegen einen unterlegenen, gleichwohl technologisch hochintelligenten Gegner. Was dabei herauskommt, ist massive Zerstörung. Mariupol droht das Stalingrad des 21. Jahrhunderts zu werden. Die Unglücksstadt an der Wolga war 200 Tage umkämpft. Mariupol ist seit 57 Tagen belagert. Stalingrad stand für die Wende des Zweiten Weltkrieges. Für den Anfang vom Ende, für den Untergang von Adolf Hitler. Wofür wird Mariupol stehen?

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