Archive for : Oktober, 2022

post image

Mambo, Mozart und mehr

Wann gibt es das in der Berliner Philharmonie? Heiße Rhythmen, rhythmisches Klatschen, kreisende Hüften und tanzende Menschen im Foyer. Ausgelassen, spontan, begeistert zwischen Ausgang und Garderobe, ohne Programmankündigung und Sitzplatzreservierung. Die kubanischen Musiker des Havana Lyceum Orchestra verlängerten ihr zweistündiges Konzert im Kammermusiksaal und zogen in der Zugabe fröhlich-beschwingt aus dem Saal in die Empfangshalle. Dort sangen und improvisierten sie weiter, Chan Chan und Guantamera. So viel Lebensfreude, so viel Energie war schon lange nicht mehr in der eher hüftsteifen Philharmonie. Ein Konzerttempel, in der das gesetzte Publikum höchstens in Satzpausen mit einem spontanen Hustenkonzert auffällt. Mitten in der tanzenden Menge Hornistin Sarah Willis, lachend, ohne ihr Instrument, dafür mit neuen CDs, die sie dem Publikum hüftkreisend entgegenstreckt. Als wollte sie die ganze Welt umarmen. Was für ein wunderbarer Abend! Musik kann Flügel verleihen.

 

 

„Mozart y Mambo“ ist eine Erfolgsgeschichte. Das Crossover-Projekt ist ein Kind von Sarah Willis. Die Hornistin der Berliner Philharmoniker küsste nach einem ersten privaten Kubabesuch 2017 eine Idee. Warum nicht Mozart und Mambo miteinander verbinden? Warum nicht europäische Klassiker mit kubanischen Rhythmen würzen? Geht das? Das Waldhorn, das sie spielt, ist ein lautes, dominantes Instrument. Wer ins Horn bläst, muss ständig üben, sitzt im Orchester ganz hinten, braucht viel Puste und noch bessere Zähne. Lippenstift ist tabu. Seit 2001 riskiert die Amerikanerin bei den Philharmonikern eine „dicke Lippe“, um das Publikum mit ihrer Spielfreude zu erfreuen. Der Schritt zum Salsa war für sie ein sehr kurzer. Es hat sie einfach gepackt. Angeregt durch Wim Wenders Buena Vista Social Club-Doku besuchte sie Kuba und verliebte sich in Musik und Insel.

 

 

Die gebürtige US-Bürgerin aus Bethseda, Maryland hat keine Berührungsängste. Musik ist ihre Sprache. So knüpfte sie in der Trump-Ära Bande zum Havana Lyceum Orchestra. Das 2020 veröffentlichte Album setzte sich in vielen Ländern sofort an die Spitze der Klassikcharts. Jetzt ist „Mozart y Mambo“ erschienen. An diesem wunderbar leichten Berliner Abend, fernab vom Krisenmodus dieser Welt, legte das Orchester unter Leitung von José Méndez los. Hier ein „klassischer“ Mozart, dort kubanische Volkslieder, dazwischen fetzige Jazz-Improvisationen vom Feinsten, mittendrin die Weltbürgerin Sarah Willis, die mit Waldhornsoli und ihrem Mozart y Mambo-Projekt Herz und Seele verzauberte.

 

 

What a wonderful world! Lasst Musik sprechen. Eine andere, bessere Welt ist möglich.

post image

„Sein oder Nichtsein“

Die Hitlers kommen und gehen. Das Theater bleibt. Das ist die Geschichte von Sein oder Nichtsein. Shakespeare at its best. Polen, zu Beginn des II. Weltkrieges. Ein kleines Ensemble probiert, parodiert und präsentiert pointiert Hamlet. Das Team steht mit dem Rücken zur Wand, gibt alles, in den besten Momenten bringt es die Allmächtigen dieser Welt zum Wanken. So entsteht eine Parabel mit viel Galgenhumor, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt. New York 1942. Vor genau achtzig Jahren, als die Nazis auf dem Höhepunkt ihrer Macht sind, feiert die Tragikomödie Sein oder Nichtsein Premiere. Im Mittelpunkt eine Theatergruppe im von Deutschland überfallenen und besetzen Polen. Der Film wurde damals kein Kassenschlager. Das Echo auf die Hollywood-Produktion von Ernst Lubitsch war geteilt. Die Hitler-Parodie wurde vielfach als geschmacklos bezeichnet. Heute heißt es über den Klassiker: „Der Antifaschismus war niemals witziger“.

 

 

Regisseur Ernst Lubitsch, ein deutscher Jude, war 1922 in die USA ausgewandert. Auf die Kritik antwortete er: „Ich gebe zu, dass ich die Nazis nicht so dargestellt habe, wie das Filme und Theaterstücke sonst tun, wenn sie Naziterror zeigen. Keine Folterkammer, keine Auspeitschung; meine Nazis sind anders: Brutalität und Tortur sind ihre Alltagsroutine. Sie reden darüber wie ein Geschäftsmann über den Verkauf einer Handtasche. Sie machen ihre Witze über das KZ und die Leiden ihrer Opfer.“ Lubitschs Film basiert auf dem Theaterstück „Noch ist Polen nicht verloren“ des ungarischen Dramatikers Melchior Lengyel. Der Plot handelt von einer Warschauer Schauspieltruppe, die in verschiedenen Rollen und Verkleidungen die deutschen NS-Besatzer überlisten will.

 

Ernst Lubitsch. Deutscher Regisseur in den USA. (*1892 in Berlin. 1947 in Los Angeles) Foto: Wikipedia

 

Im Mittelpunkt das Schauspielerpaar Joseph und Maria Tura. Joseph freut sich, auf der Bühne, statt einer abgesagten Hitler-Parodie mit Hamlet glänzen zu können. Doch merkwürdigerweise verlässt immer bei seinen entscheidenden Worten Sein oder Nichtsein ein junger Mann den Saal. Dieser Leutnant ist ein aktiver Widerstandskämpfer und pflegt ein inniges Verhältnis mit seiner Frau. Bühne frei für Verwechslungen und überraschende Wendungen mitten in der NS-Besatzung. Längst geht es für alle im Ensemble ums nackte Überleben. Lubitsch: „Ich hatte die zwei etablierten und anerkannten Rezepte satt: Drama mit entlastender komödiantischer Einlage und Komödie mit dramatischen Elementen. Ich wollte niemanden zu keinem Zeitpunkt von nichts entlasten: Es sollte dramatisch sein, wenn es die Situation verlangt, und Satire und Komödie dort geben, wo sie angebracht sind.“

 

 

Beispiel gefällig? Hamlet-Mime Joseph Tura trifft als Fake-Professor den Gestapo-Chef: „Sie sind in London sehr berühmt. Wissen Sie, wie man Sie nennt? Man nennt Sie Konzentrationslager-Erhardt.“ – „Ach wirklich? Tatsächlich?“ – „Also man nennt mich Konzentrationslager-Erhardt!“ – „Ich habe doch gewusst, dass Sie so reagieren!“ Um den Warschauer Widerstand aber auch sich selbst zu retten, muss das Ensemble alles geben – und buchstäblich um Sein oder Nichtsein spielen.  Tatsächlich gibt es ein Happy End. Das Team wächst über sich hinaus. Dem Ensemble gelingt das Stück des (Über-)Lebens. Lubitschs Film ist eine zeitlose Komödie über die Kraft der Kreativität in Zeiten einer übermächtigen Besatzungsmacht, die am Ende mit Mut und Witz ausgetrickst werden kann. Das Ensemble kann sich nach England retten. Sein oder Nichtsein. 80 Jahre jung und kein bisschen veraltet.

post image

Hemingway in Charkiw

Was kann Literatur in Kriegszeiten bewirken? Die erste Aufgabe ist es, Augenzeuge zu sein. Festhalten, was geschieht. Die zweite muss sein, zu reflektieren, was möglich wird, was anders gemacht werden kann, was zu lernen ist. Das Internet ist voll mit russischen und ukrainischen Texten. Fast 80% der aktuellen Texte sind Kriegserzählungen, Liebesgeschichten fehlen. „Krieg zerstört die Sprache. Das führt zur Sprachlosigkeit“, sagt Serhij Zhadan. Schreibender, singender und freiwilliger Helfer an der Front. Ein mehr als aktiver Poet aus Charkiw. Seine geschundene Heimatstadt im Osten der Ukraine steht seit dem ersten Tag des Überfalls unter Beschuss. Doch die Charkiwer geben nicht auf, obwohl die Russen ihre Stadt seit seinem halben Jahr in ein Trümmerfeld verwandeln. Mittlerweile kehrt die Sprache zurück, sagt Zhadan, den man gut und gerne als Campino der Ukraine bezeichnen kann. Zhadans Kultband heißt übrigens „Hunde im Weltall“.

 

Serhij Zhadan in Toronto, 2019. Ukrainischer Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels 2022. Foto: Wikipedia

 

Sein soeben erschienenes Kriegstagebuch Himmel über Charkiw geht unter die Haut. Darin schildert er Belagerung, Beschuss und den Behauptungswillen einer jungen, multikulturellen Millionenstadt aus der Sicht eines Augenzeugen . Seit dem 24. Februar 2022 wird Charkiw beschossen: Wohnhäuser, Universitätsgebäude, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Sportanlagen, Kirchen, Theater, Kinos, Denkmäler, einfach alles. Der Himmel über Charkiw verdunkelt sich an vielen Tagen. Zhadan erklärt mir seinen Buchtitel Himmel über Charkiw wie folgt: «Himmel“ ist eine sehr universelle Metapher, es ist ein poetisches Wort. Aber gleichzeitig ist es eine sehr poetische Wahl. Seit dem Beginn dieses Krieges, dem Großen Krieg, nach dem Angriff Russlands, ist der Himmel für uns, für diejenigen, die in der Frontstadt Charkow leben, zu einer Quelle der Hoffnung geworden. Denn wenn der Himmel klar ist, gibt es keine Flugzeuge, keine Raketen, das bedeutet, dass alles in Ordnung ist. Aber es ist auch eine Quelle von Angst und Gefahr. Weil die Raketen von dort kommen. Dementsprechend schauen wir alle in den Himmel.“

 

 

Vor allem die Kinder von Charkiw hatten in den ersten Wochen Angst. „Sie haben geheult. Sie blieben in der U-Bahn. Viele leben bis heute in den Metroschächten“. Das Verrückte sei, so Zhadan, dass junge wie alte Charkiwer rasch den Umgang mit dem Krieg lernten. „Wir sind so stark wie noch nie. Wir betreuen das kulturelle Leben. Wir singen mit Kindern. Wir veranstalten literarische Feste und Lesungen. Menschen, auch Soldaten, brauchen Kultur. Wir organisieren zum Beispiel das Projekt „Charkiw Nummer 5“. Viele Künstler würden aber auch mit der Waffe an der Front kämpfen. Es sei ein „Volkskrieg“. In seinem Tagebuch notiert er am 14. März 22 über seine Stammkneipe: „Das Aushängeschild verkündet (natürlich auf Russisch): „Staryi Hem. Kaltes Bier, heiße Mädchen. Was für eine ideale Reklame. Ich mochte das Lokal sehr: ziemlich unprätentiös, dafür immer lebendig und fröhlich. Im Winter 2014 war es praktisch das Hauptquartier des Euromaidan. Am Hem stand ein Hemingway-Denkmal. Das habe ich immer Besuchern gezeigt. Im Sinne von – das gibt´s nirgends sonst, nur bei uns. Heute haben sie das Gebäude getroffen. Die Rede ist von Opfern, Verschütteten, Toten und Verletzten.“

 

Ernest Hemingway-Denkmal in Charkiw vor der Zerstörung am 14. März 2022. Quelle: BBC

 

Wem die Stunde schlägt. Aufzeichnungen aus einem Krieg. Serhij Zhadan hält in seinen atmosphärisch dichten Notizen fest, wie sich seine Heimatstadt erfolgreich  wehrt. Wie sie sich nicht den Traum nehmen lässt, Hemingway, das Hem und die ganze zerstörte Kultur wieder neu und noch glanzvoller aufbauen zu wollen. Wer verstehen möchte, was in der Ukraine geschieht, ist bei Serhij Zhadan bestens aufgehoben. Für sein „Kriegstagebuch“ wird dem 48-jährigen Rockpoeten auf der Frankfurter Buchmesse der „Friedenspreis“ verliehen. Es mag widersprüchlich klingen. Doch dieser Krieg ist selbst ein einziger Widerspruch. Geführt von Machthabern in Moskau, die im Namen des Antifaschismus ihren Nachbarn mit Raketen, Bomben und Lügen von sich selbst befreien wollen. Antwort Zhadan im Tagebuch: „Charkiw wird weiter eine Stadt der Dichter und Universitäten sein, ihr werdet sehen. Über der Stadt weht weiter die Staatsflagge. Die russische große humanistische Kultur sinkt auf den Grund wie die schwerfällige Titanic.“

 

Charkiw, Straße der Freiheit. Das Wohnhaus mit der Kneipe Hem und dem zerstörten Hemingway-Denkmal nach dem russischen Raketenangriff vom 14. März 2022. Quelle: BBC

post image

Solo Wolfgang

Anfang Oktober. Das Einheitswochenende. Schloss Neuhardenberg bei Berlin lädt zu einer Lesung. „Begräbnis einer Gräfin“ steht auf dem Programm, gelesen von der Schauspielerin Jutta Hoffmann. Es geht um die verwitwete Gräfin von Schwerin, die letzte Herrin auf Schloss Stolpe. Sie flüchtet 1945 vor der Roten Armee nach Lüneburg in den Westen. Als die Gräfin 1957 stirbt, soll sie wunschgemäß in ihrer märkischen Heimat bestattet werden. Der Transport über die deutsch-deutsche Grenze wird zur verwickelten Reise als „Stückgut“ zum heimischen Dorffriedhof. Eine wahre Begebenheit, dem Leben abgeschaut. Eine maßgeschneiderte Geschichte für Wolfgang Kohlhaase. Er machte daraus eine heiter-makabre Erzählung über Nachkriegszeit und deutsche Teilung. Die Lesung mit Jutta Hoffmann und Wolfgang Kohlhaase soll ein lebhafter Nachmittag gewesen sein. Ich wollte hin, hatte den Sonntag verpasst. Zu spät! Keine drei Tage später ist Kohlhaase tot.

 

Wolfgang Kohlhaase mit Regisseur Konrad Wolf. Dreharbeiten zu Solo Sunny, 1978/79. Foto: Dieter Lück, DEFA-Stiftung

 

„Wer nicht mehr neugierig ist, der ist alt“, sagte der Drehbuchautor und Schriftsteller einmal. In diesem Sinne war der waschechte Berliner aus Adlershof bis zuletzt jung geblieben. Er überlebte 91-jährig drei politische Systeme und hielt sein Leben lang klaren Kurs. Vater Kohlhaase, ein Maschinenschlosser, förderte sein Talent. Wolfgang volontierte gleich nach Kriegsende bei dem neuen Magazin „Start“, später bei der „Jungen Welt“. Da war er sechzehn. Beide Zeitungen trugen einen programmatischen Titel. Start, Neuanfang, eine bessere Gesellschaft aufbauen, ohne Willkür, aber mit Gedankenfreiheit. War das nicht ein wunderbares Ziel? Kohlhaase landete bald als Geschichten(er)finder bei der neuen DEFA in Babelsberg, der Traumfabrik des Sozialismus, dem märkischen Hollywood.

 

 

Den Berliner interessierten nicht große Abenteuer- oder Liebesdramen. Kohlhaase suchte und fand seine Stoffe vor der Haustür. Er beschrieb Menschen, „die durch die Welt geweht wurden“. Er fragte sich und sein Publikum, wie die kleinen mit den großen Geschichten zusammenhängen. „Filmemachen ist eine Reise des Herzens, zu der man das Publikum einlädt“. So schilderte er seine Heldinnen und Helden mit Respekt und aus nächster Umgebung. Texte, die stets stimmig waren: Treffsicher, schlagfertig, lakonisch. Wirklichkeitsnähe war für Kohlhaase kein Marketing-Versprechen, sondern sein Markenzeichen. Ob als deutscher Soldat Gregor in „Ich war neunzehn“ oder bei „Solo Sunny“, wo die schnoddrige Alte aus dem Hinterhaus Sängerin Sunny mit auf den Weg gibt: „Unterm Chauffeur ist schlimmer als unterm Auto“.

„Sommer vorm Balkon“. Take „Brauch ich nicht unbedingt…“

 

Wer kennt schon die Schreiberlinge? Die Kinostars stehen im Rampenlicht, können glänzen, werden berühmt. Doch die Akteure können nur so gut sein, wie die Geschichten und Schicksale, die sie verkörpern. Wolfgang Kohlhaase blieb wie so viele Drehbuchautoren der bescheidene Ideengeber im Hintergrund. Und doch fielen seine Texte auf, hatten stets eine eigene Handschrift. In „Sommer vorm Balkon“  erwartet der LKW-Chauffeur nach vollzogenem Akt von seiner neuen Bekanntschaft ein Frühstück. Ihre Ansage ist unmissverständlich: „Ist nicht im Preis inbegriffen und Tschüss!“

Wolfgang Kohlhaase blieb ewig jung. Im hochrespektablen Alter von Mitte Achtzig erzählte er die Geschichte einer Clique in der wilden Leipziger Nachwendezeit. Jugendliche zwischen Euphorie, Drogen und Depression. „Als wir träumten“ (2015), verfilmt von Andreas Dresen, ist typisch für den Mann, dem es gelang, Menschen wie dir und mir ein Gesicht zu geben. Und tollen Stoff zum Träumen.