Amour fou

Die Menschen strömen an einem kalten Novemberabend ins Berliner Ensemble. Am Eingang bitten Besucher auf Pappschildern um Karten. Das Brecht-Haus am Schiffbauerdamm in Berlin-Mitte ist restlos ausverkauft. Ein erwartungsfrohes Publikum im gehobenen Alter wartet sehnsüchtig auf Neues, Intimes, Klatsch und Tratsch, kurz auf Szenen einer Ehe. Es geht um eine verrückte Liebe. Um Lust und Leidenschaft, Eitelkeit und Eifersucht, um das kleine und große Glück, das wir alle suchen. Im Mittelpunkt zwei längst verstorbene Größen des deutschen Literaturbetriebs: Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Zwei Ikonen der Dichtkunst, für knapp vier Jahre ein gemeinsames Paar. „Wir haben es nicht gut gemacht“, steht auf einem Transparent, das über der Bühne des großen Hauses hängt. Das ist der Titel des nun erschienenen tausendseitigen Briefwechsels zwischen dem einstigen Spiegel-Covergirl Ingeborg Bachmann und Macho-Max Frisch.

Als nach einem Vorwort von Herausgeber Thomas Strässle Constanze Becker und Matthias Brandt die Bühne betreten, brandet dankbarer Vorschuss-Beifall auf. Die beiden schlüpfen in die Rolle der beiden Nachkriegs-Literaturhelden Bachmann & Frisch. Und los geht es mit den ersten zarten Anbandelungsversuchen vom Frühjahr 1958. Als der dreißig Jahre ältere Max der „jungen Dichterin“ Ingeborg den Hof macht, während sie überraschend bereitwillig auf seine Avancen eingeht. Was sich nun entwickelt, ist eine Amour fou, eine Hass-Liebe zwischen „Herr und Magd“, zwischen Anziehung und Abscheu, Erotik und Enttäuschung. Es geht zur Sache. Sehr persönlich, intim, literarisch auf höchstem Niveau. „Wir sind halt ein berühmtes Paar gewesen, leider“. Das geneigte Publikum im BE-Saal lacht, stöhnt, zischt und kichert, als im schnellen Wechsel aus den Briefen voller Anklagen, Wutausbrüchen und Versöhnungsversuchen vorgelesen wird. Eine Frau in der Reihe hinter mir raunt unüberhörbar: „Richtig so!“ Soeben hatte Ingeborg ihrem „Bär“, so nennt sie zeitweise ihren Ehemann Max, die kalte Schulter gezeigt, nachdem er wieder seine Pfauenfedern gespreizt hatte.

 

Ingeborg Bachmann und Max Frisch, ca. 1960. Foto-Collage: Buhs/Remmler/Ullstein, Picture Alliance/Keystone.

 

Die Liebe zwischen Ingeborg und Max kann nicht funktionieren. Das wird an diesem Abend rasch klar. Zu hoch die Ansprüche, zu empfindlich die Gemüter. Aber wie sie scheitert, das ist von einmaliger Größe; zeitlos, aufwühlend und leidenschaftlich. Unser Glück ist, dass immerhin dreihundert Briefe erhalten blieben, obwohl Ingeborg viele Max-Briefe vernichtet hat. Unser Glück ist auch, dass sich die beiden nicht auf WhatsApp schrieben, sondern Briefe austauschten, die tagelang zwischen Klagenfurt und Zürich, Berlin, Paris und Rom unterwegs waren. Am Ende des Abends ist die „Große Liebe“ verloschen. Matthias Brandt und Constanze Becker erhalten ihren verdienten langen Schlussbeifall. Sie kassierten im Fluge die Botschaft des Banners auf der Bühne: „Wir haben es nicht gut gemacht“. Es war ein nicht nur ein guter, es war ein grandioser Abend. Einige Stellen aus dem Briefwechsel will ich in loser Folge vorstellen, weil es spannend und vergnüglich ist, was sich die beiden Briefeschreiber Ingeborg Bachmann und Max Frisch in ihrer fulminanten Zweierbeziehung zu sagen hatten.

 

 

Max Frisch in Montauk. Eine Erzählung (1975)

„Ich hatte zu tun beim Sender in Hamburg und ließ mir das Hörspiel vorführen, dann schrieb ich einen Brief an die junge Dichterin, die ich persönlich nicht kannte: wie gut es sei, wie wichtig, dass die andere Seite die Frau sich ausdrückt. Sie hörte Lob genug und großes Lob, das wusste ich, trotzdem drängt es mich zu dem Brief. Ich wollte sagen wir brauchen die Darstellung des Mannes durch die Frau, die Selbstdarstellung der Frau.“

 

9. Juni 1958 München – Ingeborg Bachmann an Max Frisch

„Verehrter, lieber Max Frisch, Ihr Brief ist mir schon so vieles gewesen in dieser Zeit die schönste Überraschung, ein beklemmender Zuspruch und zuletzt noch Trost nach den argen Kritiken, die dieses Stück bekommen hat. (…) So will ich den Brief rasch abschicken mit der Frage, ob ich Sie, wenn ich Sonntag nach Zürich komme, sehen darf. Ich könnte 2, 3 oder 4 Tage bleiben, und ich hoffe so sehr ohne rechte Überlegung, dass auch Sie es wünschen könnten. (…)  Es wäre zu schön und ist nur fast zu viel verlangt. Sie haben mich schon sehr glücklich gemacht! Meine besten Wünsche sind bei ihnen und ihrer Arbeit. Ihre Ingeborg Bachmann.“

 

6. Juli 1958 Paris – Max Frisch an Ingeborg Bachmann

„Ich liege neben dir Ingeborg, und du bist nicht da. Wirst du je wieder da sein? ich bin glücklich und ratlos. Ich liebe eine Frau, die mich liebt, und Du trittst in mein Leben, Ingeborg, wie ein lang gefürchteter Engel, der fragt Ja oder Nein. Und ich bin glücklich und ratlos und zu feig, um über die Stunde hinaus zu denken. Ich will den Sommer mit dir. Ich bin nicht verliebt, Ingeborg, aber erfüllt von Dir, Du bist ein Meertier, das nur im Wasser seine Farben zeigt, Du bist schön, wenn man dich liebt, und ich liebe Dich.“

 

28. Juli 1958 Neapel – Ingeborg Bachmann an Max Frisch

„Und ich bin sehr allein und nicht traurig drum im Augenblick, sondern nur, wenn ich weiterdenke. Die Fahnen vom Verlag sind gekommen, vom „Guten Gott“, ich kann nicht mehr viel verändern, was uns alles neu gesetzt werden müsste, aber sie haben das Buch nicht schlecht gemacht, glaube ich – es sieht viel besser aus als die Fahnen, die Du gesehen hast, und einiges kann ich doch noch so machen, wie Du´s mir geraten hast. Ich ginge so gern zu dir hinüber ins Nebenzimmer, um Dich zu fragen wegen der Beistriche, und für jeden müsste ich Dich dann einmal umarmen, oder viele Male, und für die Rufzeichen bekämst Du lauter Küsse. Gute Nacht! Ingeborg.“

Fortsetzung folgt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.